Welche Erfahrungen haben Sie in Ihrer Praxis mit Gegnern der Pandemie-Eindämmungsmaßnahmen gemacht?
Nachgefragt
Anonymer Brief eines Impfgegners
Von unseren Patientinnen und Patienten hat niemand gegen die in der Praxis geltenden Hygieneregeln protestiert. Der Aufforderung, eine Maske zu tragen, kamen alle Patienten nach. Auch als Impfgegner gab sich keiner unserer Patienten zu erkennen. Allerdings erhielten wir im August 2021 einen anonymen Brief mit der Aufforderung, das Impfen gegen Covid einzustellen. "… vielen informierten Menschen in Ihrem Umfeld missfällt, was Sie da täglich tun“, hieß es in dem Brief. Und dann: „Weitermachen wird Sie nicht retten vor dem, was kommt." Offenbar wurde das Schreiben auch an andere Praxen in Hamburg verschickt. Darüber hinaus gehende Drohungen gab es nicht.
Verharmlosung der Pandemie
Totale Leugnung ist mir nicht begegnet, jedoch Verharmlosung, Bagatellisierung, auch Mythenbildung und Abwertung der Pandemie. Dazu gehört auch, die Maßnahmen wie beispielsweise Maskenpflicht oder Lüftung in Frage zu stellen. In der Praxis ist mir wichtig, dass wir als Behandler:innen die Maßnahmen für den Praxisalltag integrieren, die wir selbst auch einhalten. Gleichzeitig versuche ich in der Sprechstunde, die Denkweise und den Hintergrund von Corona-Skeptiker:innen besser zu verstehen, um bei Indikation eine ambulante Psychotherapie ermöglichen zu können. Im Notfall zeige ich jedoch auch deutliche Grenzen auf, falls psychische Störungsbilder oder der biografische Hintergrund eine Radikalität begünstigt haben und zum Beispiel antisemitische oder rechts-populistische Äußerungen gemacht werden. Denn erst ein sicherer, am besten in Präsenz vermittelter Rahmen für Patient:in und Behandler:in bietet meines Erachtens die Basis für eine gute psychotherapeutische Beziehungsarbeit.
Vehemente Ablehnung der Impfung
Ich hatte in meiner Praxis eine Person in Behandlung, die vielleicht in gewisser Weise repräsentativ für einen Teil der Impfgegner:innen ist. Aus meiner Sicht konnten wir sehr gut psychodynamisch mit ihrem vehementen Wunsch arbeiten, sich nicht impfen zu lassen. Ihr erstes Argument war, dass sie "die Impfung ihrem Körper nicht antun" wolle. Darüber mussten wir beide spontan lachen, weil wir wussten, was sie ihrem Körper alles zugemutet hatte. Ehemals hatte sie eine Substanzabhängigkeit und noch immer mit Rückfällen zu kämpfen. Aber dieser im Raum stehende Widerspruch brachte sie dazu, darüber nachzudenken, was denn wirklich der Grund sein könnte. Es stellte sich heraus, dass es ihr im Besonderen um Selbstbestimmung über ihren Körper gehe, was ich gut nachvollziehen konnte. Das Thema "Selbstbestimmung" spielt sicher eine große, wenn auch möglicherweise oft unbewusste Rolle bei vielen Impfgegner:innen.