9/2025 9/2025

Versorgung im Umbruch

Von Dr. med. Peter Witzel

Das Krankenhaus Groß-Sand in Wilhelmsburg schließt – doch die geplante Stadtteilklinik ist möglicherweise noch Jahre entfernt. Welche medizinischen Strukturen braucht der Stadtteil?

Jahrelang hat das Erzbistum Hamburg vergeblich versucht, einen Käufer für das in finanzielle Schieflage geratene Krankenhaus Groß-Sand in Wilhelmsburg zu finden.
Das Ende kam dennoch überraschend: Am 27. Mai 2025 wurde bekannt, dass die Chirurgie und die Notaufnahme des Krankenhauses zum 15. Juli 2025 schließen. Weitere stationäre Bereiche (Geriatrie, Früh­rehabilitation) sollen im kommenden Jahr ans Marienkrankenhaus verlegt werden, das ebenfalls vom Bistum getragen wird.

Wir niedergelassenen Ärztinnen und Ärzte in Wilhelmsburg haben mit den Kollegen am Krankenhaus Groß-Sand gut und vertrauensvoll zusammengearbeitet. Es hätte sich gehört, dass uns das Bistum oder die Krankenhausleitung über die Schließung informiert. Doch es gab keine Ankündigung oder Vorwarnung. Wir erfuhren davon aus der Presse.

Die Stadt will das Grundstück und die Immobilie kaufen, um am Standort eine Stadtteilklinik einzurichten. Offenbar erwägt das Erzbistum, sich als Träger dieses neuen Versorgungsmodells wieder ins Spiel zu bringen. Das finde ich schon erstaunlich, denn das Erzbistum hätte jede Möglichkeit gehabt, selbst einen nahtlosen Übergang zu organisieren.

Es ist nicht nachvollziehbar, warum der Abbau des Krankenhauses jetzt so eilig vorangetrieben wird. Den Verantwortlichen muss klar gewesen sein, dass ein unkoordinierter Rückzug ein großes Loch in die medizinische Versorgung Wilhelmsburgs reißen würde. Doch offenbar fehlte der Wille, den Betrieb eines vielleicht verkleinerten oder umstrukturierten Krankenhauses mit Unterstützung der Sozialbehörde so lange aufrechtzuerhalten, bis klar ist, wie es weitergeht.

Was brauchen wir in Wilhelmsburg?

Das von der Stadt präferierte Konzept einer Stadtteilklinik könnte meines Erachtens durchaus funktionieren. Eine Voraussetzung dafür ist allerdings, dass die Stadt, die KV und der Träger mit den Niedergelassenen in den Diskurs gehen und klären: Welche Art von Versorgung brauchen wir hier in Wilhelmsburg?

In den vergangenen Jahren hat das Krankenhaus Groß-Sand fachärztliche Sitze aufgekauft und an sein MVZ verlegt. Ein chirurgischer Sitz, der auch die berufsgenossenschaftliche Zulassung für Arbeitsunfälle hatte, wurde weiterverkauft und in einen anderen Stadtteil verlegt. Die Versorgung von Arbeitsunfällen ging ans Krankenhaus – in die chirurgische Abteilung.

Wer stellt sicher, dass es nach Schließung dieser Abteilung in Wilhelmsburg künftig eine berufsgenossenschaftliche Versorgung für Unfälle gibt? Wer stellt die chirurgische Versorgung sicher? Schon heute übernehmen die Hausärzte in Wilhelmsburg viele chirurgische Tätigkeiten, weil es schwierig ist, jemanden zu finden, der Wunden versorgt und Verbände wechselt. Die Praxen arbeiten am Limit. Den chirurgischen Versorgungsbedarf, der bisher im Krankenhaus abgearbeitet wurde, werden die Praxen der Umgebung sicher nicht auffangen können.

Ungeklärt ist auch, wer die internistische Versorgung übernehmen soll, die bisher am Krankenhaus durchgeführt wurde – besonders im Bereich der Gastroenterologie. Die niedergelassenen fachärztlichen Internisten sind immer weniger geworden, so haben wir nur noch eine nephrologische Filiale hier.

Und welchen Ersatz gibt es für die Notaufnahme? Einer Stellungnahme des Senats zufolge wurden im Jahr 2024 fast 13.000 Patientinnen und Patienten in der Notaufnahme von Groß-Sand behandelt. Etwa 2.300 davon wurden im Anschluss stationär aufgenommen (Schriftliche kleine Anfrage, Drucksache 23/491 vom 3.6.2025). Was geschieht künftig mit solchen Patienten?

Zumindest eine Akutversorgung außerhalb der Praxis-Öffnungszeiten, die Unfälle und akute internistische Beschwerden abdeckt, sollte auf jeden Fall gewährleistet sein. Damit könnten die ambulanten Akutfälle weiterversorgt werden. Die stationären Fälle müssten dann in andere Stadtteile verlegt werden.

Das MVZ als Ankerpunkt

Sozialsenatorin Melanie Schlotzhauer sieht das zum Krankenhaus Groß-Sand gehörende MVZ als „Ankerpunkt“ für die künftige Versorgung. Dort gibt es meines Wissens drei Orthopäden und drei Hausärzte. Der Standort ist auch Teil des STATAMED-Konzepts, das eine allgemeinmedizinische ambulante Versorgung mit einer allgemeinmedizinischen Kurzliege-Station kombiniert. Das ist ein gutes Konzept – doch allzu weit kommt man damit nicht.

Eine Stadtteilklinik, die einem Krankenhaus mit 200 Betten und 600 Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern nachfolgt, muss eine robuste, leistungsfähige und breit aufgestellte ambulante Versorgung anbieten. Aufgabe der KV wäre es, diesen Bedarf auszuweisen, Niederlassungsmöglichkeiten zu schaffen und konkrete Anreize zu bieten, um Praxen an den Standort zu locken.

Wie viele Betten braucht eine Stadtteilklinik? Die Beleg-Station der Stadtteilklinik Mümmelmannsberg (ein Standort, der ebenfalls gerade im Umbruch ist) verfügt über 15 Betten, hat aber einen kleineren Einzugsbereich. Auch in Wilhelmsburg wird die sektorenübergreifende Versorgung nur funktionieren, wenn niedergelassene Ärztinnen und Ärzte ihre Akutfälle einweisen, OP-Säle im Gebäude nutzen und die Betten belegen.

Ich höre von Seiten der Politik, dass ein großes Interesse daran besteht, die medizinische Versorgung in Wilhelmsburg zu sichern und dafür auch Geld in die Hand zu nehmen. Doch das Bistum hat versäumt, rechtzeitig den Übergang zu organisieren oder zu ermöglichen.

Es gab eine funktionierende Chirurgie am Krankenhaus. Es gab eine funktionierende Gastroenterologie. Es gab eine funktionierende Notaufnahme. Nun werden diese Strukturen abgebaut, und es kann einige Jahre dauern, bis eine Stadtteilklinik ihren Betrieb aufnimmt.

Die Ärztinnen und Ärzte sowie die Pflegekräfte leben unterdessen nicht von Arbeitslosengeld. Sie werden sich umorientieren. Man wird das Personal neu anwerben, neu einarbeiten müssen. Man wird die Versorgung aus dem Nichts wieder neu aufbauen müssen.

Letztverantwortung liegt bei der Stadt

Immer wieder wird darüber diskutiert, ob die Stadt das Krankenhaus Groß-Sand selbst hätte übernehmen können. Rechtlich wäre das möglich gewesen. Und ich bin schon der Ansicht, dass die Stadt in der Verpflichtung ist, für einen gleichwertigen Zugang all ihrer Bürgerinnen und Bürger zu medizinischer Versorgung zu sorgen.

Privatunternehmen und Investoren sind nicht gemeinwohlgebunden. Sie haben eine eigene Agenda, wollen Geld verdienen. Das funktioniert nicht immer im erwarteten Ausmaß – vor allem nicht in den ärmeren Stadtteilen. Die Besitzer der Versorgungseinrichtungen wechseln. Und wenn unrentable Bereiche geschlossen werden oder die Besitzer das Interesse am Standort verlieren, ist es die Stadt, die einspringen und sich um Sanierungskonzepte bemühen muss. Da wäre eine städtische Trägerschaft für grundlegende Gesundheitseinrichtungen in einigen Stadtteilen sicherlich die verlässlichste Lösung.

Das Erzbistum würde wohl ebenfalls für sich in Anspruch nehmen, gemeinwohlorientiert zu agieren. Und dem Vernehmen nach war es bisher ein guter Arbeitgeber. Doch es hat den Standort nicht weiterentwickelt, obwohl die Stadt dazu bereit war, einen zweistelligen Millionenbetrag für eine Modernisierung beizusteuern. Und auch das Bistum weiß natürlich: Letztverantwortlich für die Gesundheitsversorgung der Wilhelmsburger ist nicht die Kirche, sondern die Stadt.

Laut Morbiditätsatlas hat Wilhelmsburg eine überdurchschnittlich kranke Patientenpopulation. Die Lebenssituation vieler Einwohner ist gesundheitlich belastend. Oftmals gibt es Sprachbarrieren, was die Behandlung aufwändiger macht – und eine Orientierung der Patientinnen und Patienten im Gesundheitssystem erschwert.

Derzeit hat Wilhelmsburg etwa 60.000 Einwohner. Doch es ist ein aufstrebender, wachsender Stadtteil. Durch die Entstehung von Neubaugebieten könnten in den nächsten Jahren etwa 20.000 Einwohner hinzukommen. Außerdem arbeiten etwa 40.000 Menschen im Einzugsbereich der Klinik. „120.000 Menschen: So viele Einwohner haben beispielsweise Bremerhaven (zwei Krankenhäuser), Bottrop (zwei) oder Göttingen (sechs)“, schreibt das Hamburger Abendblatt am 25. Juni 2025.

Der Aufbau medizinischer Versorgung ist immer etwas im Verzug, wenn die Bevölkerung eines Stadtteils zunimmt. Umso wichtiger ist, dass die Stadtteilklinik in Wilhelmsburg jetzt möglichst rasch ihren Betrieb aufnimmt – und die Stadt bei der Kalkulation des Behandlungsbedarfs auch die wachsenden Patientenzahlen berücksichtigt.

DR. MED. PETER WITZEL
Diabetologe in Wilhelmsburg und Vorsitzender des Vereins Wilhelmsburger Ärzteschaft

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