9/2025 9/2025

„Bevölkerung nicht im Stich lassen“

Interview

Welche Zukunft hat der Standort Groß-Sand vor dem Hintergrund der Krankenhausreform? Dr. Michael Groening erklärt, warum grundlegende Strukturen für eine Stadtteilklinik bereits vorhanden sind – und wie der Übergang gelingen könnte.

Sie leiten die Innere Medizin des Wilhelmsburger Krankenhauses Groß-Sand und sind ärztlicher Leiter des dortigen MVZ. Wird es beides in einem Jahr noch geben?

Groening: Die geriatrische Versorgung und die neurologische Früh­rehabilitation des Krankenhauses Groß-Sand sollen mittelfristig an das Katholische Marienkrankenhaus überführt werden. Das MVZ soll jedoch am Standort erhalten bleiben. Zudem ist vorgesehen, die verbleibenden Betten der bisherigen Inneren Abteilung in eine Stadtteilklinik zu überführen, die von der Stadt Hamburg ausgeschrieben wird. Damit bleibt ein wohnortnahes Versorgungsangebot für Wilhelmsburg bestehen.

Ein vollständiger Abbau der stationären Versorgung ist also nicht vorgesehen?

groening: Nein. Das Zielbild ist die Transformation in eine Stadtteilklinik. Im Rahmen der Krankenhausreform sind sektorenübergreifende Versorgungseinrichtungen vorgesehen – früher auch als „Level-1i-Häuser“ bezeichnet. Diese neuen Versorgungsformen beinhalten ausdrücklich auch stationäre Bettenkapazitäten, allerdings in einem anderen Zuschnitt als klassische Krankenhäuser. Für eine solche Stadtteilklinik ist der Standort Groß-Sand gut geeignet, denn wir beteiligen uns beispielsweise schon heute am Modellprojekt STATAMED (stationäre Allgemeinmedizin) – einem vom Gemeinsamen Bundesausschuss geförderten Innovationsfondsprojekt von der AOK Rheinland/Hamburg und der AOK Niedersachsen. Hier werden Patientinnen und Patienten behandelt, die eine kurzzeitige, niedrigschwellige stationäre Versorgung benötigen – zum Beispiel ältere Menschen mit mehreren chronischen Erkrankungen. Das Projekt zeigt, dass es zwischen ambulanter Versorgung und hochspezialisierter Krankenhausmedizin einen relevanten Bedarf gibt. Genau hier kann eine zukünftige Stadtteilklinik ansetzen – mit dem Ziel, stationäre Versorgung bedarfsgerecht, wohnortnah und zukunftsfähig zu gestalten. Ein vollständiger Abbau stationärer Angebote ist daher nicht vorgesehen, sondern vielmehr ihre Weiterentwicklung in neuer Form.

STATAMED könnte der Ausgangspunkt für die neue Stadtteilklinik werden?

groening: Ja, unbedingt. STATAMED ist ein gutes Modell, das auf die konkreten Bedarfe in einem Stadtteil wie Wilhelmsburg zugeschnitten ist. Es bietet die Chance, mit einem sektorenübergreifenden Ansatz Versorgungslücken zu schließen. Ich habe das Konzept entwickelt, weil ich aus meiner langjährigen Erfahrung als Leiter einer großen Notaufnahme weiß, dass es viele Patientinnen und Patienten gibt, die ein Krankenhausbett brauchen – aber keine hochspezialisierte Fachabteilung. Wenn diese Menschen künftig in einer Stadtteilklinik vor Ort versorgt werden können, ist das ein Gewinn für alle: für die Patientinnen und Patienten, für die Notaufnahmen der Maximalversorger – und nicht zuletzt für den Rettungsdienst.

Wie arbeitet STATAMED mit den einweisenden Ärztinnen und Ärzten zusammen?

groening: Die Zusammenarbeit soll persönlich, verlässlich und unkompliziert sein – genau so, wie sie aus Sicht der Hausärztinnen und Hausärzte sein sollte. Ich kenne diese Perspektive gut, weil ich selbst im MVZ als Hausarzt tätig bin und meine allgemeinmedizinische Weiterbildung in einer Hamburger Praxis absolviert habe. Aus dieser Erfahrung heraus war es mir besonders wichtig, mit STATAMED ein Modell zu schaffen, das eine echte Brücke zwischen ambulanter und stationärer Versorgung baut. Konkret heißt das: Es gibt ein direktes Einweisungsgespräch zwischen der Praxis und dem leitenden Arzt auf Station. Absprachen erfolgen gemeinsam, die medizinischen Einschätzungen und Erwartungen aus der Praxis fließen in die stationäre Versorgung ein – und werden nicht, wie früher oft erlebt, übergangen. Die Patientin oder der Patient wird aufgenommen, betreut und nach dem Aufenthalt durch sogenannte „Flying Nurses“ eng begleitet. Mittlerweile gibt es viele niedergelassene Ärztinnen und Ärzte, die Patienten über STATAMED nach Groß-Sand einweisen – übrigens nicht nur in Wilhelmsburg und Harburg, sondern auch in Altona, Sankt Pauli und Osdorf.

Wie passt die fachärztliche Versorgung zu diesem Konzept?

groening: Modelle wie STATAMED und die geplante Stadtteilklinik leben davon, dass hausärztliche und fachärztliche Kompetenzen gut ineinandergreifen. Dafür ist eine enge Zusammenarbeit mit den Praxen unabdingbar.

Welche Notfallkapazitäten braucht Wilhelmsburg?

groening: Patienten mit Schlaganfall oder Herzinfarkt sind schon seit vielen Jahren nicht mehr nach Groß-Sand gebracht worden, weil wir für solche Notfälle gar nicht über die entsprechende Fachabteilung verfügen. In der IT-gestützen Dispositionslogik der Rettungsdienste war Groß-Sand nur mit den Abteilungen Allgemeine Innere und Chirurgie vorhanden. Was der Bevölkerung hier unter den Nägeln brennt, ist ja vor allem die Akutversorgung von Unfällen: Arbeits-Unfälle aus den umliegenden Betrieben, Schulweg-Unfälle, Sport-Unfälle, Unfälle im Haushalt. Diese Fälle passieren meist tagsüber – und lassen sich gut in einer klassischen Unfallambulanz behandeln. Das könnten auch niedergelassene Chirurgen sicherstellen.

Eine Notaufnahme halten Sie nicht für notwendig?

groening: Es ist für die Bevölkerung natürlich immer beunruhigend, wenn eine Notaufnahme wegfällt. Ich weiß von einem Standort mit einem kleinen Krankenhaus, wo das schon vor einem Jahr geschehen ist. Dort wurde die Notfall-Versorgung auf die normalen Geschäfts-Öffnungszeiten reduziert. Inzwischen hat sich die Bevölkerung damit arrangiert. In der Nacht ist der Bedarf für eine Notfall-Ambulanz ja ziemlich gering. Herzinfarkte und Schlaganfälle können natürlich auch in der Nacht passieren. Doch ein Herzinfarkt- oder Schlaganfall-Patient wird mit Blaulicht in ein dafür gerüstetes Zentrum gebracht, wo die Technik, das Personal und das Know how 24/7 vorhanden sind. Dass er nicht in der Notaufnahme eines kleinen Krankenhauses versorgt wird, sondern in einem Zentrum, ist für ihn von Vorteil. Das verbessert nachweislich die Prognose.

Wäre die Schließung des Krankenhauses Groß-Sand im Rahmen der Krankenhausreform früher oder später unvermeidlich gewesen?

Groening: Die Krankenhausreform bringt bundesweit Veränderungen mit sich – insbesondere für kleinere Standorte. Ziel ist es, Strukturen neu zu ordnen, Leistungen stärker zu bündeln und dabei gleichzeitig eine flächendeckende Versorgung sicherzustellen. In diesem Kontext ist auch die Neuausrichtung von Groß-Sand zu sehen. Wichtig ist: Der Standort bleibt erhalten – mit einem neuen medizinischen Profil und neuen Per­spektiven. Für die Region Süderelbe ist es von großer Bedeutung, dass weiterhin eine wohnortnahe stationäre Versorgung angeboten wird – nicht zuletzt zur Entlastung der umliegenden Notaufnahmen in Harburg oder am Marienkrankenhaus. Die geplante Stadtteilklinik bietet die Chance, Versorgung neu und zukunftsfähig zu denken – orientiert am tatsächlichen Bedarf der Menschen vor Ort.

Wie reagieren Ihre Patienten auf die anstehenden Umbrüche in der Versorgungsstruktur?

groening: Verunsichert und besorgt. Jeder zweite Patient, den wir im MVZ behandeln, fragt uns: „Bleiben Sie denn hier?“ Und ich antworte immer: „Ja, davon bin ich fest überzeugt.“ Ich hoffe, dass dieser Weg erfolgreich umgesetzt wird – mit dem Ziel, die medizinische Versorgung für die Menschen weiterhin wohnortnah und verlässlich sicherzustellen. Die Bevölkerung in Wilhelmsburg hätte es nicht verdient, im Stich gelassen zu werden.

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