Darf man seine Praxis an einen Investor verkaufen?
Kolumne
von Dr. Matthias Soyka
Orthopäde in Hamburg-Bergedorf
Eine der schönsten Seiten am Kolumnenschreiben sind die sich daraus ergebenden Gespräche mit Kollegen. Man bekommt zustimmende und ablehnende E-Mails, wird angerufen oder findet sich in anregenden Diskussionen wieder – zum Beispiel über den Praxisverkauf.
Ziemlich oft wurde ich schon nach meiner Meinung gefragt, ob es moralisch in Ordnung sei, die eigene Praxis an einen Investor oder eine Klinikkette zu verkaufen.
Denn bekanntlich finde ich es nicht gut, dass immer mehr inhabergeführte Praxen in den Besitz von Kapitalgesellschaften überführt werden. Ich glaube, dass durch die Industrialisierung der Medizin der Schaden, den die Bürokratie am Gesundheitswesen angerichtet hat, noch einmal potenziert wird.
Trotzdem kann ich nichts Verwerfliches daran finden, seine Praxis an einen Investor oder einen Konzern zu verkaufen. Oft findet man ja gar keine anderen Nachfolger, oder der angebotene Preis ist viel schlechter als das Angebot eines Investors.
Der Grund für dieses Problem ist seit Jahren bekannt – die miserable Honorarsituation. Deutschland gibt lieber Geld für 100 Krankenkassen aus, als seine Ärzte vernünftig zu bezahlen. Das Investitionsklima ist inzwischen so nachhaltig ruiniert, dass sogar gut gehende Praxen Schwierigkeiten bei der Nachfolge haben.
Die Politik weiß das und sie will offensichtlich nichts daran ändern. Stattdessen erzählt sie lieber das Märchen, junge Ärzte würden sich so sehr um ihre Work-Life-Balance kümmern, dass sie eine Anstellung vorziehen. So als ob ein Angestelltenjob in der ambulanten Medizin das reine Zuckerschlecken sei.
Natürlich kann man als angestellter Arzt eine Krankheit eher auskurieren als ein Selbständiger. Man ist auch weniger direkt mit Bürokratie beschäftigt. Auch um die Personaleinstellungen muss man sich nicht kümmern. Aber hier wird schon ein Nachteil der Anstellung deutlich. Man kann auch nicht entscheiden, mit wem man zusammen den Praxisalltag erlebt.
Natürlich arbeiten Selbstständige oft „selbst und ständig“, aber sie entscheiden auch selbst, wann und wieviel und mit wem. Und das ist selbst in der größten Krise ein „Wert an sich“. Die Mehrheit der alten und erfahrenen Kollegen würde daher – genau wie auch ich – immer wieder die selbständige Praxis bevorzugen.
Wie schön wäre es erst und wie würde es die Motivation steigern, wenn das auch noch gerecht bezahlt würde. Man könnte sich vor potentiellen Praxiskäufern kaum retten.
Aber die Politik will das nicht. Stattdessen präferiert sie das Eindringen von Klinikkonzernen und Investoren in den ambulanten Bereich.
Warum also sollte ein verkaufswilliger Arzt die niedrigen Honorare der letzten Jahre auch noch mit einem niedrigen Kaufpreis krönen?
Die Industrialisierung der Medizin kann man nur politisch bekämpfen, durchaus auch im Kleinen, zum Beispiel im Gespräch mit seinen Patienten.
Was nicht funktioniert, ist die Kompensation der politisch gewollten Misere durch einen Akt des massiven Altruismus am Ende seines Berufslebens. Zumal der Erfolg noch nicht einmal sicher wäre. Wer seine Praxis günstiger verkauft in der Hoffnung, dass die Nachfolger diese in seinem Sinne fortführen, kann heftige Enttäuschungen erleben. Nicht einmal bei den eigenen Kindern wäre das garantiert – erst recht nicht bei fremden Dritten. Es kann ja passieren, dass sich der Nachfolger, von dem man sich so viel versprochen hat, als gierig oder fachlich weniger kompetent erweist als gedacht. Auch die Behandlung des eigenen Personals entspricht möglicherweise nicht dem, was sich der Praxis-Abgeber erhoffte. Wenn die Praxisphilosophie erodiert, weil schon kurz nach dem Ausstieg die ersten MFA flüchten, kann man eigentlich auch gleich an einen Investor verkaufen. Allein um solche Enttäuschungen zu vermeiden, sollte man beim Praxis-Verkauf seine Interessen nicht vergessen.
Zumal bei einem Verkauf an einen Investor auch nicht der Weltuntergang droht. Viele Kollegen arbeiten ja gern als angestellte Ärzte und machen gute Arbeit, zumal diejenigen, die zuvor in eigener Praxis gearbeitet haben.
Moralisch gibt es also keinen wirklich guten Grund, auf einen Verkauf an einen Investor zu verzichten. Man sollte aber bedenken, dass man selbst noch drei Jahre bei dem Konzern oder dem Investor als Angestellter arbeiten muss. Das ist nicht nur eine gesetzliche Regelung, sondern auch für den Käufer von Vorteil. Er kauft nicht nur die Patientenbindung, sondern auch das Know-how und die Arbeitseinstellung des ehemals Selbstständigen mit ein.
Viele Kollegen, die ihre Praxis verkauften, sind mit ihrer angestellten Tätigkeit zufrieden, aber bei Weitem nicht alle. Einige erleben die Nachteile der Nicht-Selbstständigkeit als sehr belastend und wissen erst im Nachhinein, was sie an der Selbständigkeit hatten. Sie klagen über unmotivierte Medizinische Fachangestellte, bürokratisierte Abläufe und immer häufiger auch über echte Zumutungen.
Statt wie versprochen seine alten Patienten weiter zu behandeln, wird der Arzt zum Beispiel als Heimarzt eingesetzt, weil dies lukrativer sei als eine normale Sprechstunde. So haben sich viele ihre letzten Berufsjahre auch nicht vorgestellt. Andere quälen sich damit, dass der Anschluss an eine Klinik bedeuten kann, dass Empfehlungen für Operationen und Operateure nicht mehr ganz so frei ausgesprochen werden dürfen.
Und neuerdings – die Leser Hamburger Zeitungen wissen es – gibt es immer häufiger noch ein anderes Problem. Es ist nämlich gar nicht so sicher, dass das vereinbarte Gehalt auch zuverlässig gezahlt wird. Immer häufiger müssen Kollegen um ihr Gehalt prozessieren, weil der Investor in finanzielle Schwierigkeiten geraten ist. Selbst der Kaufpreis muss oft eingeklagt werden, während man schon beim Gegner dieser Klage angestellt ist.
Denn immer häufiger geraten Investoren in wirtschaftliche Schieflage – die Folge ihrer Hybris. Viele forsche Investoren glauben die Lüge, dass die Einnahmen in der ambulanten Medizin schon völlig ausreichend sind und es nur einer besseren wirtschaftlichen Führung bedürfe, um Praxen profitabel werden zu lassen.
Dabei haben die meisten Ärzte ihre Praxisabläufe in den letzten Jahren immer mehr optimiert und mit einer gehörigen Portion Selbstausbeutung ergänzt. Viel mehr lässt sich aus einer Praxis nicht herausholen. Der Umsatz reicht keineswegs für ein zusätzliches Geschäftsführergehalt und eine ordentliche Profitmarge. Mich wundern die Probleme vieler Investoren daher nicht.
Deshalb muss sich ein Praxisverkäufer zwar keine moralischen Sorgen machen, wenn er an einen Investor verkauft, aber einige finanzielle. Mein persönlicher Praxistipp: Geben Sie das Kommando erst aus der Hand, wenn der Kaufpreis auf einem Notar-Anderkonto eingezahlt ist.
DR. MATTHIAS SOYKA ist Orthopäde und Buchautor.
Aktuell im Buchhandel: „Dein Rückenretter bist du selbst“, Ellert&Richter / Hamburg
www.dr-soyka.de
Youtube Kanal „Hilfe zur Selbsthilfe“
In dieser Rubrik drucken wir abwechselnd Texte von Dr. Matthias Soyka, Dr. Bernd Hontschik und Dr. Christine Löber.