9/2023 9/2023

Nachgefragt

Ist die kinderärztliche Versorgung in den Stadtteilen Horn/Billstedt/Mümmelmannsberg Ihrer Erfahrung nach ausreichend?

A. Rose,
Mitinitiatorin der Elterninitiative „Kinderarzt für Mümmel"

Versorgung ist desolat

Die ärztliche Versorgung der Kinder in Mümmelmannsberg ist desolat. Es gibt nur eine einzige Kinderarztpraxis. Diese wird vom Krankenhaus Wilhelmstift betrieben, ist aber völlig unterbesetzt und hat keine gesicherten Öffnungszeiten. Es kann passieren, dass man mit seinem kranken Kind vor verschlossenen Türen steht. Ob die Praxis geöffnet ist, lässt sich vorab nicht klären, denn telefonisch ist oftmals niemand zu erreichen, und die Angaben auf der Website sind unzuverlässig.

Weil alle umliegenden Kinderarzt-Praxen einen Aufnahmestopp verhängt haben, bleibt den Eltern oft nichts anderes übrig als zu warten, bis abends die Notfallpraxis Wilhelmstift öffnet. Das ist aber natürlich keine Lösung. Wer möchte mit seinem kranken Kind im Bus zu einer überfüllten Notfallpraxis fahren, um drei Stunden zu warten und dann zu überlegen, wie man nachts wieder nach Hause kommt?

Aufgrund der kinderärztlichen Unterversorgung haben in Mümmelmannsberg sehr lange und besonders zu Corona-Zeiten keine U-Untersuchungen und die Impfungen erst sehr spät stattgefunden. Ohne Masernimpfung kein Kitaplatz: Manchen Eltern, die arbeiten müssen, droht der Jobverlust. Gewalt gegen Kinder oder deren Vernachlässigung werden leichter übersehen, wenn die kinderärztliche Kontrolle fehlt. Es kann einfach nicht sein, dass in einem derart kinderreichen Stadtteil wie Mümmelmannsberg die kinderärztliche Versorgung nicht funktioniert!

Dr. Susanne Epplée,
Geschäftsführerin und ärztliche Leiterin des Sozialpädiatrischen Zentrums Hamburg-Ost

Dramatische Situation

Zu Beginn der Corona-Pandemie warnte ich in der Sendung „Hart aber Fair“ vor einer Patientenwelle, die infolge von Lockdowns die Armutsviertel überrollt. Gab es früher in unserem Sozialpädiatrischen Zentrum fast keine Wartezeiten, standen im Mai 2021 schon 400 Kinder auf der Warteliste, die wir nicht versorgen konnten.

Seitdem verschärfte sich die Situation dramatisch. Während wir bis zu 800 Patienten mehr behandelt haben, als vergütet wurden, wuchs die Welle ungebrochen an. Aktuell warten 1.300 Patienten auf einen Termin, dreimal so viele wie 2021.

Fatal daran ist, dass sich eine unbehandelte Entwicklungsstörung beim Kind manifestiert, je länger aber die Fehlentwicklung, desto länger die Therapie. Also: Mit wachsender Wartezeit wachsen die Heilungskosten.

Positiv stimmt, dass die kritische Versorgungslage Sozialpädiatrische Zentren und Krankenkassen dazu bewogen hat, eine Ausweitung der Kapazitäten zu erörtern. Es gibt Anlass zur Hoffnung, dass zukünftig erheblich mehr Patienten im Hamburger Osten versorgt werden können.

Bettina Rosenbusch,
Netzwerkkoordinatorin im Billenetz / Lokale Vernetzungsstelle MüHoBi

KV muss dringend aktiv werden

Im „Billenetz“ haben sich mehr als 60 engagierte Einrichtungen aus den Hamburger Bille-Stadtteilen zusammengeschlossen. Außerdem ist hier auch die Lokale Vernetzungsstelle Prävention MüHoBi angesiedelt. Während der Gesprächsrunden und Treffen wird immer wieder deutlich, dass die schlechte kinderärztliche Versorgung in Mümmelmannsberg, Horn und Billstedt ein großes Problem darstellt.

Für 20.175 Kinder in Mümmelmannsberg, Horn und Billstedt gibt es nur drei Kinderarztpraxen. Und das vor dem Hintergrund, dass die Bevölkerung in sozial schlechter gestellten Regionen gesundheitlich bekanntlich stärker belastet ist als in anderen Stadtteilen. So zeigen sich bereits bei Kindern Auswirkungen auf Risikofaktoren wie zum Beispiel Adipositas und eine größere Erkrankungshäufigkeit zum Beispiel bei infektiösen und Darm-Krankheiten. Bereits in der Vergangenheit, und um ein Vielfaches verstärkt duch Corona, kommt es aufgrund der sozialen Lage und Situation auch zu sensitiven Persönlichkeitsstörungen, motorischen Entwicklungsstörungen und Störungen der Sprachentwicklung bei Kindern. Umso schlimmer, dass keine Logopäden und Ergotherapeuten in der Region ansässig sind.

Die Kassenärztliche Vereinigung muss dringend aktiv werden, um die Notlage bei der Kinderärztlichen Versorgung in der Region zu beheben. Auch Anreize zum Erhalt und zur Eröffnung von Praxen sind nötig. Wie vor einiger Zeit ein Arzt zu mir gesagt hat: “In keinem anderen Stadtteil habe ich so viel Abwechslung, Herausforderungen und gleichzeitig Erfolgserlebnisse wie im Hamburger Osten.”