7-8/2025 7-8/2025

»Licht am Ende des Tunnels«

Interview

John Afful und Dr. Björn Parey erklären, warum die hausärztlichen Auszahlungsquoten in Hamburg so niedrig sind – und was die Entbudgetierung für Hausärztinnen und Hausärzte konkret bedeutet.

Die Entbudgetierung der hausärztlichen Leistungen rückt näher. Doch einstweilen verharrt die hausärztliche Auszahlungsquote bei unter 70 Prozent. Wie kommen solche Quoten zustande?

Afful: Das von den Kassen zur Verfügung gestellte Geld reicht nicht aus, um die von den Ärztinnen und Ärzten erbrachten Leistungen voll zu vergüten. Grund dafür ist nicht ein schlecht verhandelter Vertrag, sondern eine gesetzliche Regelung. Das ist die Ausgangslage. Nun zum Mechanismus der Quote: Die Hausärztinnen und Hausärzte in Hamburg haben sich für das Garantiequoten-System entschieden, um das begrenzte Geld zu verteilen. Vor Beginn des Quartals wird festgelegt, zu welchem Prozentsatz die erbrachten Leistungen mindestens vergütet werden.

Der Prozentsatz ist für alle Hausärztinnen und Hausärzte in Hamburg gleich?

afful: Ja. Jede Hausärztin und jeder Hausarzt kann sich darauf einstellen, dass die von ihr oder ihm erbrachten Leistungen mindestens zu der vorab bekannt gegebenen Quote bezahlt werden. Das ist die „Garantiequote“. Wenn nach der Gesamtabrechnung des Quartals bekannt ist, wie groß die Leistungsmenge tatsächlich war, wird die endgültige Quote berechnet. Das ist die „Auszahlungsquote“. Im Quartal 3/2024 beispielsweise gab es eine Garantiequote von 62 Prozent, die Auszahlungsquote betrug 67 Prozent (siehe Grafik unten).

Parey: Man muss dazusagen: Wir sprechen hier über den budgetierten Teil des Honorars – also über die sogenannte Morbiditätsorientierte Gesamtvergütung (MGV). Daneben gibt es noch die die Extrabudgetäre Gesamtvergütung (EGV) – also Honorar für Leistungen, die voll vergütet werden. Bei den Hausärztinnen und Hausärzten werden beispielsweise Präventionsleistungen, Impfungen sowie Haus- und Heimbesuche voll vergütet. Der EGV-Anteil ist bei den Hausärztinnen und Hausärzten aber geringer als bei vielen spezialärztlichen Gruppen.

WIE SETZT SICH DAS HAUSÄRZTLICHE HONORAR ZUSAMMEN?

Die Hausärztinnen und Hausärzte sind also von der Budgetierung besonders stark betroffen?

afful: Ja. Bei den Gynäkologen besteht etwa die Hälfte des Umsatzes aus MGV-Honoraren, die andere Hälfte aus EGV-Honoraren. Davon sind wir bei den Hausärzten weit entfernt. Im hausärztlichen Bereich macht der Umsatz aus EGV-Honoraren etwa 35 Prozent aus. Hausärztinnen und Hausärzte haben wenig Möglichkeiten, strategisch in den EGV-Bereich auszuweichen. Offene Sprechstunden beispielsweise werden für Fachärzte extrabudgetär bezahlt – für Hausärzte nicht. Man kann sagen: Die Honorarabzüge durch Budgetierung sind bei den Hausärzten auf einem Niveau, das keine andere Fachgruppe in Hamburg kennt. Auch im Vergleich zu Hausärzten in anderen KV-Regionen stehen die Hamburger Hausärzte schlecht da.

Wie kommt das?

Afful: Ein Grund dafür ist, dass wir in Hamburg keine freien Hausarztsitze haben. Die zur Verfügung stehende Geldmenge ist unabhängig von der Zahl der Ärztinnen und Ärzte. In KV-Regionen, in denen viele Sitze nicht besetzt werden können, ist das Verhältnis zwischen der zur Verfügung stehenden Geldmenge und den abgerechneten Leistungen günstiger. In Baden-Württemberg beispielsweise sind etwa 1.000 von 8.000 Hausarztsitzen nicht besetzt. Entsprechend länger reicht das Budget. Hätten wir in Hamburg 25 Prozent weniger Hausärztinnen und Hausärzte, könnten deren Leistungen vollständig bezahlt werden. Doch Hamburg ist sehr gut versorgt. Alle Hausarztsitze sind besetzt, die Wege für die Patientinnen und Patienten zu den Praxen sind kurz.

parey: Die gute Erreichbarkeit der Hausarztpraxen in Hamburg führt sicherlich dazu, dass die Inanspruchnahme von Leistungen höher ist als in ländlichen Regionen. Vielleicht tragen auch die sozialen Probleme in einem Ballungsgebiet dazu bei, dass die Menschen öfter zum Arzt gehen.

Ist auch die Hausarztzentrierte Versorgung (HZV) mitverantwortlich für die schlechte Auszahlungsquote?

Parey: Nein. Zwar wandert ein Teil des Honorars in den HZV-Bereich. Dadurch wird das für die Regelversorgung zur Verfügung stehende Budget geringer. Doch es wird ja auch ein entsprechend größerer Anteil der Leistungen im HZV-Bereich erbracht. Deshalb hat die HZV unterm Strich keinen nennenswerten Effekt auf die Auszahlungsquote in der Regelversorgung.

Hätte es in der Rückschau Entscheidungsspielräume der KV gegeben, um die niedrigen Auszahlungsquoten für Hausärztinnen und Hausärzte zu verhindern?

parey: Ja. Es gibt auch einen wichtigen historischen Grund dafür, warum die Hausärztinnen und Hausärzte in Hamburg eine besonders schlechte Auszahlungsquote haben. Ab dem Jahr 2000 wurde in Hamburg die Trennung der hausärztlichen und der fachärztlichen Vergütung umgesetzt. Die Internisten mussten sich entscheiden, ob sie künftig dem hausärztlichen oder fachärztlichen Bereich zugeordnet werden wollen. Eine sehr große Anzahl der Internisten entschieden sich für den fachärztlichen Bereich – und konnten ihren Budgetanteil dorthin mitnehmen. Dieser Honorartransfer ist nicht in allen KV-Regionen so vollzogen worden – in Hamburg aber schon. Und das in einer relevanten Größenordnung. Etwa zehn Prozent des hausärztlichen Budgets waren plötzlich weg. Gleichzeitig wurden die hausärztlichen Sitze, die von den Internisten verlassen worden waren, neu besetzt. Damit musste die gleiche Anzahl an Hausärztinnen und Hausärzten mit 90 Prozent des Budgets zurechtkommen.

Wäre es nicht möglich gewesen, das Honorar später zwischen dem hausärztlichen und fachärztlichen Bereich neu aufzuteilen?

parey: Nein. Sobald die Trennung vollzogen war, hatten diese beiden Honorarbereiche nichts mehr mit­einander zu tun. Es ist aus juristischen Gründen nicht möglich, Honorar aus dem einen in den anderen Bereich zu verschieben. Leistungssteigerungen im fachärztlichen Bereich haben keine Auswirkungen auf den hausärztlichen Bereich und umgekehrt. Es gibt eine strikte Trennung.

afful: Die Folgen der Honorar­trennung sind noch heute wirksam, denn wir haben im budgetierten Bereich einen Vergangenheitsbezug. Das Budget wird zwar entsprechend der Anzahl, dem Alter und der Morbidität der Bevölkerung jährlich angepasst. Doch die Steigerung bezieht sich auf das Vorjahr. Bis heute fehlen den Hausärzten zehn Prozent des Budgets.

parey: Das heißt: Die Spezialisten profitieren noch heute und in Zukunft von der Art und Weise, wie die Honorartrennung vor 25 Jahren in Hamburg durchgeführt wurde. Auf die heutige Zeit umgerechnet, ist dem hausärztlichen Bereich insgesamt eine halbe Milliarde Euro verloren gegangen: Zehn Prozent des hausärztlichen Budgets – das entspricht etwa 5 Millionen pro Quartal, also 20 Millionen im Jahr. Von 2000 bis heute, das sind 25 Jahre. 25 Jahre jeweils 20 Millionen ergeben insgesamt 500 Millionen. Dieses Geld fehlte und fehlt aktuell dem hausärztlichen Versorgungsbereich. Doch zumindest die Fortschreibung dieses strukturellen Defizits in die Zukunft wird durch die Entbudgetierung beendet.

Afful: Die Entbudgetierung der hausärztlichen Leistungen hat für Hamburg eine sehr viel größere Bedeutung als für die meisten anderen KV-Regionen. Es wird einen sehr deutlich spürbaren Effekt geben: Wir rechnen mit einem Plus von 16 bis 20 Prozent – bezogen auf das Gesamthonorar, also MGV und EGV zusammengenommen.

Könnte das ein vorübergehender Effekt sein? Ist es möglich, dass das hausärztliche Honorar danach wieder abstürzt auf den alten Stand?

parey: Nein. Die massive Steigerung wird zwar einmalig sein. Doch wir werden das erhöhte Niveau halten. Einen Absturz auf den alten Stand wird es nicht geben. Selbst wenn die Politik auf die Idee kommen sollte, die hausärztlichen Leistungen wieder zu budgetieren, würde die Budgetierung auf dem erhöhten Niveau aufsetzen. Der Bezug zur unseligen Honorartrennung von 2000 wäre gekappt.

Werden alle von Hausärztinnen und Hausärzten erbrachten Leistungen künftig vollständig vergütet?

parey: Vollständig vergütet wird das EBM-Kapitel 3 für den hausärztlichen Versorgungsbereich, also die Abrechnungsziffern, die mit 03 beginnen. Außerdem werden die hausärztlichen Hausbesuche ohne Budgetierung bezahlt – das ist in Hamburg allerdings schon heute so. Alle anderen Leistungen, die von Hausärztinnen und Hausärzten abgerechnet werden, beispielsweise die Bereiche Psychosomatik, Ultraschall oder kleine Chirurgie, bleiben im Budget.

Afful: Es gibt noch eine Einschränkung: Die Gesprächsleistung im Kapitel der Hausärzte (EBM 03230) ist in ihrer Zahl limitiert. Fast alle Hausarztpraxen erbringen deutlich mehr Gesprächsleistungen, als sie abrechnen können. In diesem Bereich haben wir zwei hintereinander geschaltete Honorarkürzungsmechanismen: Kontingentierung plus Budgetierung. Nehmen wir an, eine Praxis erbringt Gesprächsleistungen für 10.000 Euro. Davon wird nur die Hälfte berücksichtigt. Und von diesen 5.000 Euro bekommt man aktuell wegen der Budgetierung nur 67 Prozent ausgezahlt.

Und wenn die Budgetierung aufgehoben wird?

afful: Dann wird eine der beiden Einschränkungen aufgehoben: Die Auszahlungsquote steigt auf 100 Prozent. Doch die Kontingentierung der Gesprächsleistungen bleibt bestehen.

parey: Das ist natürlich eine krasse Diskrepanz zu den Bedürfnissen der Patientinnen und Patienten, die sich mehr Gespräche wünschen. Gesprächsleistungen sind im EBM ganz grundsätzlich unterdurchschnittlich abgebildet. Wenn seitens der Gesellschaft gefordert wird, dass Ärztinnen und Ärzte mehr mit den Patienten sprechen, wäre es natürlich einerseits eine sehr gute Idee, dieses Kontingent aufzuheben und andererseits auch die Psychosomatische Grundversorgung im Hausärztlichen Versorgungsbereich von der Budgetierung zu befreien.

Wie geht es jetzt weiter? Wann werden die Hausärztinnen und Hausärzte etwas von der Entbudgetierung spüren?

afful: Ab dem vierten Quartal 2025 werden die hausärztlichen Leistungen vollständig vergütet. Deshalb wird es möglich sein, die Vorauszahlungen an die Praxen ab Oktober entsprechend zu erhöhen. Wie das konkret umgesetzt wird, teilen wir noch mit.

parey: Wir wissen, dass die Hausarztpraxen in Hamburg noch eine paar schwere Monate vor sich haben. Aber jetzt sehen wir Licht am Ende des Tunnels. Es lohnt sich, durchzuhalten.

Das Interview bezieht sich auf den hausärztlichen Bereich. Die Verteilung des Honorarbudgets im fachärztlichen Bereich erfolgt nach einem anderen Mechanismus. Siehe dazu: www.kvhh.de

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