6/2025 6/2025

Nachgefragt: Was halten Sie vom Plan der Regierung, ein Primärarztsystem einzuführen?

Klare Abläufe und koordinierte Versorgung

Das deutsche Gesundheitssystem ist überkomplex, was es für Patient:innen sehr schwierig macht, die richtige Anlaufstelle für ihre jeweiligen Beschwerden zu finden. Folge sind unter anderem Über-, Fehl- und Unterversorgung, Terminstau durch „Ärztehopping“ und unerwünschte Wechselwirkungen bei Medikamenten.
Als Verband setzen wir uns mit der hausarztzentrierten Versorgung (HZV) bereits seit Jahren für ein freiwilliges Primärarztsystem ein. Evaluationen zeigen, dass die Verträge die Effizienz und die Qualität der Versorgung verbessern. Daher halten wir es für den richtigen Schritt, dass die Politik sich zu einem Primärarztsystem bekennt und dabei auch auf die HZV setzt.
Mit den richtigen Rahmenbedingungen (Qualität, Struktur, Vergütung etc.) kann ein Primärarztmodell alle im Gesundheitssystem entlasten. Was vielen nicht bewusst ist: Wir können 80 Prozent aller Beratungsanlässe bei uns in der Hausarztpraxis abschließend behandeln! Unsere fachärztlichen Kolleg:innen können sich endlich auf die Fälle konzentrieren, die wirklich ihr Spezialwissen benötigen. Dadurch werden auch Kapazitäten für Termine frei, für die Menschen, die sie wirklich brauchen. Für die Hausarztpraxen wird die Versorgung ihrer Patient:innen übersichtlicher, da sie stets den Überblick über die Behandlungssituation behalten.
Klare Abläufe und eine koordinierte Versorgung können administrative Aufgaben reduzieren und ermöglichen eine schnellere Diagnostik, da alle Gesundheitsdaten gesammelt in der Hausarztpraxis vorliegen. Es wird so vermieden, dass sich Behandlungen deutlich länger als notwendig in die Länge ziehen – die enge Zusammenarbeit mit unseren fachärztlichen Kolleg:innen im Falle von Überweisungen minimiert zudem den Abstimmungsbedarf und Rückfragen.
Fakt ist: Ein „Weiter so!“ wird unser System nicht länger durchhalten. Um weiterhin mit den vorhandenen Ressourcen die medizinisch notwendigen Behandlungen zeitgerecht durchführen zu können, muss die Versorgung in entsprechende Bahnen gelenkt werden.

Echte Lotsenfunktion

Als BDI begrüßen wir eine verpflichtende Patientensteuerung ausdrücklich. Eine bedarfsgerechte, effektive Steuerung ist essenziell, um die knappen medizinischen Ressourcen sinnvoll zu nutzen. Entscheidend dabei ist jedoch, dass die Steuerung nicht ausschließlich über Hausärztinnen und Hausärzte erfolgt. Das wäre weder medizinisch sinnvoll noch realistisch. Insbesondere internistische Fachärztinnen und Fachärzte müssen systematisch einbezogen werden, weil wir für viele chronisch Kranke der primäre Ansprechpartner sind. Außerdem sollte die Steuerung sowohl über die HZV in Kombination mit Facharztverträgen als auch über den Kollektivvertrag erfolgen. In einem gesteuerten System müssen die Fachärzte endlich entbudgetiert werden. Wer im gesteuerten System indizierte Leistungen erbringt, muss voll vergütet werden. Kurz: Primärarztsystem heißt echte Lotsenfunktion, interdisziplinär organisiert und konsequent entbudgetiert – nur so verkürzen wir Wartezeiten, sichern Qualität und stärken die ambulante Versorgung.

Strukturierte Wege

Die Gesellschaft wird immer älter, auch das führt zu einer erhöhten Inanspruchnahme an medizinischen Leistungen. Gleichzeitig gehen in den kommenden Jahren vor allem viele Hausärztinnen und Hausärzte in den Ruhestand. Dabei ist es schon heute für 95 Prozent der Hamburgerinnen und Hamburger eine zentrale gesundheitspolitische Frage, wie man schnell und einfach an einen Arzttermin kommt. Dies zeigt eine Forsa-Umfrage im Auftrag der Landesvertretung Hamburg der Techniker Krankenkasse (TK).
Die ambulante ärztliche Versorgung braucht daher künftig klar strukturierte Wege und neue Ideen, damit Patientinnen und Patienten schneller die für sie richtige Versorgung erhalten. Die neue Koalition auf Bundesebene geht mit ihrem Plan eines Primärversorgungssystems mutig in die richtige Richtung. Aus TK-Sicht ist eine Kombination aus digitaler Ersteinschätzung und einer stärkeren Koordination durch Hausärztinnen und Hausärzte ein vielversprechender Ansatz. Entscheidend ist dabei, wie so oft, wie die Pläne im Detail umgesetzt werden.