6/2024 6/2024

Alles falsch gemacht?

Kolumne

von Dr. Christine Löber, HNO-Ärztin in Hamburg-Farmsen

Einigen ist es vielleicht nicht ganz unbekannt. Die Sprechstunde ist überfüllt, alle möchten irgendwas, die MFA steht permanent in der Tür, der Kopf brennt.
Man ruft den nächsten Patienten auf, er ist ganz aufgebracht. Während er noch Krankenhausunterlagen aus einer Plastikfolie kramt, beginnt er, laut und wütend zu berichten, was in der Klinik vorgefallen ist. Das sei alles nicht abgesprochen gewesen, niemand habe ihm was gesagt, bei der Operation seien Fehler gemacht worden, weshalb er nochmal operiert werden musste. „Die haben alles falsch gemacht!“

Man hört zu, während man versucht, die Unterlagen zu sortieren, und sagt empathisch, vielleicht einfach nur so nebenbei: „Das ist ja wirklich nicht gut gelaufen.“
Und da schnappt die Falle vielleicht schon zu. Für jemand anderen.

Das Wort „Behandlungsfehler“ fällt sehr schnell, und Vielen ist gar nicht so klar, was das überhaupt bedeutet. Patient:innen können nicht wissen, was das ist, hat man ja glücklicherweise im Leben wenig damit zu tun. Für Patient:innen sind Behandlungsfehler meistens alles, was bei irgendeiner Behandlung irgendwie nicht so war, wie sie es sich vorgestellt haben.

Eine gute Vorbereitung in der Praxis und/oder Klinik kann hier sehr hilfreich sein, löst aber auch nicht immer alles. Medizinische Behandlungen sind für viele Menschen Stresssituationen, sind mit Ängsten verbunden und vor allem häufig vollkommen fremd. Auch von der sorgsamsten, ausgedehntesten Aufklärung wird im Schnitt nur ungefähr die Hälfte mitgenommen. Hinzu kommt das ubiquitär vorhandene Zeitproblem. Alles ist schnell, alles ist verkürzt.

Patient:innen können sich kostenlos an die Krankenkasse oder die Schlichtungsstelle wenden, wenn sie den Eindruck haben, dass sich ein Behandlungsfehler ereignet hat.
Diese Möglichkeit ist wichtig und richtig, auch wenn es sich im Nachhinein nur sehr selten um echte Behandlungsfehler handelt. In der Regel werden in diesen Fällen kommunikative oder medizinische Missverständnisse aufgearbeitet. Die Zahl der „echten“ Behandlungsfehler ist seit Jahren auf niedrigem Niveau stabil.

Wünschenswert wäre es natürlich, dass die medizinischen Zusammenhänge den Patient:innen im Vorhinein schon so dargelegt würden, dass es gar nicht zu einer Auseinandersetzung mittels Fragenkatalogen und Dokumentensammlungen kommt.
Das lässt sich in der Realität wahrscheinlich in naher Zukunft nicht ganz verwirklichen, aber damit kann und muss man leben.
Viel schwieriger ist unsere ärztliche Rolle. Wie eingangs beschrieben, sind wir als Behandler:innen in einer merkwürdigen Situation, wenn es zu einem Disput zwischen unseren Patient:innen und anderen Behandler:innen kommt.

Wer schon mal in ein Schlichtungsstellenverfahren geraten ist, weiß, wie unangenehm das ist, selbst wenn man sicher ist, dass man nichts falsch gemacht hat.
Die Patient:innen kommen in einem hochemotionalen Zustand, haben Bilder und Konstrukte im Kopf und werfen sie uns hin. Wir möchten an dieser Stelle vielleicht auffangen und unterstützen. Das ist absolut nicht verboten, aber hierbei gibt es Dinge zu beachten:

• Wir sind nicht der Rechtsbeistand unserer Patien:innen und haben nicht die Aufgabe, Beratungen in juristischen Angelegenheiten durchzuführen.

• Wir können die vom Patienten geschilderte Situation nicht nachvollziehen. Die Emotion ja, den Sachverhalt ganz überwiegend nicht. Wir haben die mündliche Aussage eines medizinischen Laien zu einem Vorfall, über den uns maximal ein Entlassungsbrief informiert.

• Wir spielen in der Situation des Patienten eine tragende Rolle. Wir sind die good cops, die Verbündeten.

Der Patient bringt viel confirmation bias mit, und jedes unterstützende Wort, das wir vorbringen, bestärkt ihn weiter in der Annahme, dass die anderen alles falsch gemacht haben. Und bestärkt ihn auch in weiteren rechtlichen Schritten, die nun auf einen Kollegen abzielen, von dem wir überhaupt nicht wissen, was er getan hat.
Auch außerhalb unseres Berufes herrschen die unreflektierten, voreiligen Meinungen. So schnell kann man gar nicht weiterscrollen, wie sich schon wieder jemand berufen fühlt, als Richter der Welt aufzutreten.

Viele Menschen sehen in der Zurückhaltung bei der Kritik ärztlicher Kolleg:innen das Bild mit den nicht augenaushackenden Krähen.
Das ist mitnichten so. Haben wir den Eindruck, dass etwas nicht gut gelaufen ist, besitzen wir alle ein Telefon. Nachfragen, erklären lassen, berichten. Der größte Teil aller Missverständnisse lässt sich so ausräumen.

Ich habe mal so einen Anruf bekommen aus einer Klinik, die (aus meiner Erfahrung) gehäuft Patient:innen mitteilt, dass alle anderen alles falsch machen.
Der Anruf kam, nachdem eine Patientin bereits nachhaltig bestärkt wurde, sich zu beschweren, was sie auch tat. Die Kollegin am Telefon hat sich nach zehn Minuten entschuldigt, das war allerdings schon zu spät.
Ziemlich sicher kann man sagen, dass man sehr viel falsch macht, wenn man diese Anrufe erst hinterher tätigt.

Als sehr positives Gegenbeispiel hat mich als Assistentin in der Klinik einmal ein niedergelassener Kollege angerufen, weil sich nach einer schwierigen Septumoperation bei jemandem eine Perforation gebildet hatte. Das war kein Behandlungsfehler, aber für den Patienten eine unschöne Komplikation. Der Kollege hat mir sehr freundliche Worte gesagt, weil ich wohl merklich unglücklich war und hat gefragt, ob er den Patienten nochmal schicken könnte. „Ihr könnt das ja wieder zumachen.“
Der Patient wusste bei der nächsten Vorstellung, was das Problem war, warum er nochmal operiert wird und hatte alle seine Nachsorgetermine schon dabei. So geht es eben auch.
Dies sind nur einzelne Aspekte des großen Themas „Alles falsch gemacht“, aber einen roten Faden erkennt man gut: Ein Hauptproblem ist oft die Kommunikation zwischen allen Beteiligten. Zeitmangel, Egoprobleme, vorschnelle Überzeugungen und Ungenauigkeit sowie fehlende Neutralität sind andere.

Im Sinne der Patient:innen und Kolleg:innen tun wir gut daran, in unübersichtlichen Situationen einmal kurz still zu sein und nachzudenken. Das kann man dann auch gleich in die übrigen Teile des Lebens mitnehmen.

DR. CHRISTINE LÖBER ist HNO-Ärztin und Buchautorin.
Aktuell im Buchhandel: „Immer der Nase nach“ (zusammen mit Hanna Grabbe), Mosaik Verlag / Hamburg

In dieser Rubrik drucken wir abwechselnd Texte von Dr. Christine Löber, Dr. Matthias Soyka und Dr. Bernd Hontschik.

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