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Schlafmittel mit neuem Wirkmechanismus

Von Dr. Rainer Ullmann

Daridorexant ist zugelassen zur Behandlung von Erwachsenen mit Insomnie, deren Symptome seit mindestens drei Monaten anhalten und eine beträchtliche Auswirkung auf die Tagesaktivität haben. Das IQWiG und die AKDÄ sehen nur einen geringen Zusatznutzen des neuen Mittels gegenüber Placebo bzw. Zolpidem. Über das Abhängigkeitsrisiko kann wegen der kurzen Studiendauern noch nichts Sicheres ausgesagt werden. Der Preis ist im Vergleich zu Zolpidem hoch.

Daridorexant (Quvivig®) gehört zu einer neuen Gruppe von Schlafmitteln, die nicht wie Benzodiazepine, Z-Substanzen und Barbiturate am GABA-A-Rezeptor ansetzen, sondern die Bindung der die Wachheit fördernden Orexine an den Rezeptoren blockieren.

Der erste Orexinhemmer (Suvorexant) wurde 2014 in den USA zugelassen. In Studien wurde Daridorexant meist gegen Placebo, gelegentlich gegen das in den USA viel gebrauchte Zolpidem untersucht. Die Wirkung auf den Schlaf ist mit kürzerer Einschlafzeit und längerem Schlaf bis zum ersten Aufwachen etwas besser als mit Zolpidem. Die Tagesschläfrigkeit wurde auch mit der höchsten Dosis (50mg) nur wenig gebessert (a-t- 2023, CDER 6.3.2.3).

Erhofft wird ein gegenüber Benzodiazepinen und Z-Substanzen geringeres Abhängigkeitsrisiko. Missbrauch war unter Studienbedingungen selten und gering ausgeprägt.

Bei Testpersonen in einer Gruppe mit anamnestischem Missbrauch oder Abhängigkeit von Alkohol oder anderen Substanzen entsprach es dem Risiko von Zolpidem. Entzugssymptome wurden bei den maximal 12 Monate dauernden Studien nicht beobachtet (Kunz 2022). Einschlaf- und Wachliegezeiten nahmen allerdings nach dem Absetzen besonders bei älteren Menschen über das anfängliche Maß zu. Das lässt befürchten, dass es älteren Menschen schwerfallen könnte, das Medikament abzusetzen (CDER 7.7.4.1.3.). In den Studien wurden nur wenige Fälle von Depression und Suizidgedanken beobachtet; allerdings waren Patienten mit psychiatrischen Vorerkrankungen ausgeschlossen (CDER 7.7.3; Mignot 2022).

Nach der S3 Leitlinie Schlafstörungen ist die kognitive Verhaltenstherapie (KVT) Behandlung erster Wahl. Sie ist daher nach den Vorgaben des Gemeinsamen Bundesausschusses (GBA) die zweckmäßige Vergleichstherapie (ZVT), gegen die ein Arzneimittel getestet werden muss.

Das IQWiG kam bei der Bewertung von Daridorexant zu dem Urteil: „Zusatznutzen nicht belegt“, da keine relevante Studie für die Bewertung des Zusatznutzens von Daridorexant im Vergleich zu dieser Vergleichstherapie vorgelegen habe.

Das IQWiG hat zwar den fehlenden Anhalt für ein Abhängigkeitsrisiko erwähnt, aber wegen zu kurzer Studiendauer für eine nach der Fachinformation mögliche langfristige Therapie auch hier keinen Zusatznutzen festgestellt.

Die AKDÄ hält den vom GBA und vom IQWiG geforderten Vergleich mit der kognitiven Verhaltenstherapie für wenig praktikabel. Doch auch die AKDÄ billigt dem Medikament nach den vorliegenden Studien höchstens einen geringen Zusatznutzen zu, da ein relevanter Effekt gegenüber der Vergleichstherapie mit Zolpidem nicht belegt ist und da sich zum Abhängigkeitsrisiko nach den Studiendaten keine validen Aussagen machen lassen. (AKDÄ S 11).

Die üblichen rezeptpflichtigen Hypnotika dürfen nach den Fachinformationen wegen des Abhängigkeitsrisikos nur für vier Wochen und nur mit besonderer Begründung längerfristig verordnet werden. Daridorexant hat eine europäische Zulassung für die Behandlung von Schlafstörungen (Insomnie), deren Symptome seit mindestens drei Monaten anhalten und eine beträchtliche Auswirkung auf die Tagesaktivität haben. Die Behandlungsdauer sollte so kurz wie möglich sein. Die Zweckmäßigkeit einer Weiterbehandlung sollte innerhalb von drei Monaten und anschließend in regelmäßigen Abständen beurteilt werden (Quviviq-epar-product-information).

Die Verordnung von Hypnotika zu Lasten der GKV ist in der Anlage III Nr. 32 der Arzneimittel-Richtlinie geregelt. Der GBA hat am 11. Oktober 2022 für Daridorexant einen Ausnahmetatbestand beschlossen, der allerdings noch nicht rechtskräftig ist (Stand 2.5.23). Demnach darf Daridorexant entsprechend der Zulassung der EMA langfristig verordnet werden. Die Zweckmäßigkeit einer Weiterbehandlung ist innerhalb der ersten drei Monate und anschließend in regelmäßigen Abständen zu beurteilen.

Der GBA begründet diese Ausnahme damit, dass klinische Studien keine Anzeichen für eine körperliche Abhängigkeit nach Absetzen ergeben hätten. Das Missbrauchs- und Abhängigkeitsrisiko ist wohl nach theoretischen Überlegungen, den Ergebnissen von Tierversuchen (Born u.a.) und ersten Beobachtungen (keine Entzugssymptomatik nach Einnahme über 3 Monate (Mignot 2022) oder über 12 Monate (Kunz 2023)) geringer als das der Benzodiazepine und möglicherweise auch der Z-Substanzen.

Dennoch werden in den USA Orexinhemmer – ebenso wie Benzodiazepine und Z-Substanzen - in die Gruppe IV der kontrollierten Substanzen eingestuft (Substanzen mit einem geringen Risiko für Missbrauch und Abhängigkeit). Librium kam 1960, Diazepam 1962 auf den Markt. Bis in die 1980er wurde heftig über die Abhängigkeit von Benzodiazepinen gestritten.

Wenn man sich daran erinnert, wie lange es hier gedauert hat, bis das Abhängigkeitsrisiko belegt und allgemein akzeptiert wurde, ist die bisherige Anwendungszeit von Daridorexant für eine eindeutige Aussage zum Abhängigkeitsrisiko sicher zu kurz. Zolpidem gibt es in Deutschland seit 1988, Zopiclon seit 1990. Das Abhängigkeitsrisiko ist bei den Z-Substanzen sicher geringer als das der Benzodiazepine und tritt dann eher bei Patienten mit einer Abhängigkeit in der Vorgeschichte auf (Hajak u.a. 2003).

Die Ausnahmeregelung für Daridorexant in der Anlage III der Arzneimittel-Richtlinie erscheint zu früh, auch wenn sehr zu hoffen ist, dass ein Schlafmittel ohne Abhängigkeitsrisiko zur Verfügung steht. Diese Hoffnung lässt sich die Firma gut bezahlen: Die Behandlung mit Daridorexant ist etwa zehnmal so teuer wie die Behandlung mit Benzodiazepinen und Z-Substanzen. Bei fehlendem Zusatznutzen bei kurzfristiger und bei fehlenden Daten zur Sicherheit bei langfristiger Behandlung (besonders zur Entwicklung einer Abhängigkeit) ist eine Verordnung kritisch zu prüfen.

DR. RAINER ULLMANN
beratender Arzt in der Abteilung „Verordnung und Beratung“
Tel: 040 / 22802 - 571, -572
E-Mail: verordnung@kvhh.de

Literatur

• AKDÄ 2023 Stellungnahme der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft zur frühen Nutzenbewertung gemäß § 35a SGB V Daridorexant Insomnie

• a-t 2023; 54: 1-3, Neu auf dem Markt SCHLAFMITTEL DARIDOREXANT (QUVIVIQ)

• Born S u.a. 2017 , Preclinical assessment of the abuse potential of the orexin receptor antagonist, suvorexant; Regulatory Toxicology and Pharmacology Volume 86, June 2017, Pages 181-192; https://doi.org/10.1016/j.yrtph.2017.03.006

• CDER 2020 CENTER FOR DRUG EVALUATION AND RESEARCH; APPLICATION NUMBER: 214985Orig1s000; 505(b)1 NME NDA 214985 Daridorexant (Quviviq) for Insomnia

• Quviviq-epar-product-information Zusammenfassung der Merkmale des Arzneimittels https://www.ema.europa.eu/en/documents/product-information/quviviq-epar-product-information_de.pdf

• Gemeinsamer Bundesausschuss: Tragende Gründe zum Beschluss des GBA zur Änderung der AM-RL Anlage III Nr. 32 (Daridorexant)

• Hajak, G u.a. 2003: Abuse and dependence potential for the non-benzodiazepine hypnotics zolpidem and zopiclone: a review of case reports and epidemiological, ADDICTION, Ausgabe 98 (2003), Seiten: 1371-1378

• Kunz D u.a. 2023 Long‑Term Safety and Tolerability of Daridorexant in Patients with Insomnia Disorder, CNS Drugs (2023) 37:93–106; https://doi.org/10.1007/s40263-022-00980-8

• IQWiG 2023 Daridorexant (Insomnie) Nutzenbewertung gemäß § 35a SGB V Projekt: A22-123 Version: 1.0 Stand: 08.02.2023 IQWiG-Berichte – Nr. 1512

• Mignot E u.a. 2022 Safety and efficacy of daridorexant in patients with insomnia disorder: results from two multicentre, randomised, double-blind, placebo-controlled, phase 3 trials. Lancet Neurol 2022; 21(2):125-139.

• S3-Leitlinie Nicht erholsamer Schlaf/Schlafstörungen; Kapitel „Insomnie bei Erwachsenen“ (AWMFRegisternummer 063-003), Update 2016