6/2023 6/2023

Hamburg wird Modellregion für Digitalisierung

Von Dr. Jens Heidrich und Dr. Andreas Schüßeler

Unter Leitung des ÄrzteNetzes Hamburg werden in Hamburg und der Metropolregion künftig digitale Anwendungen der Gematik getestet, bevor sie bundesweit eingeführt werden. Damit bekommen Ärztinnen und Ärzte die Chance, wieder mehr Einfluss auf die Digitalisierung des Gesundheitswesens zu nehmen.

Die Gematik hat „Hamburg & Umland“ als erste Testregion für die Digitalisierung des Gesundheitswesens ausgewählt. Eine Bietergemeinschaft unter Leitung des ÄrzteNetzes Hamburg hatte sich auf eine öffentliche Ausschreibung beworben und den Zuschlag erhalten. Gesundheits-Einrichtungen der Region werden künftig digitale Anwendungen der Gematik im Alltagsgebrauch testen, bevor sie in ganz Deutschland eingeführt werden. Im Rahmen der Bewerbung hatten sich rund 90 Arztpraxen, 15 Krankenhäuser sowie Zahnarztpraxen, Apotheken, Pflegeheime und weitere Einrichtungen dazu bereit erklärt, als Test-Institutionen mitzuwirken. Daneben hatten auch weitere Organisationen wie die Ärztekammer Hamburg, die KV Hamburg, Berufsverbände, Krankenkassen, PVS-Hersteller sowie diverse IT-Firmen die Bewerbung unterstützt und sich als Kooperationspartner angeboten.

Die Gematik konnte mit dem Hamburger Konzept, das auch Einrichtungen aus dem ländlichen Umland mit einbindet, offenbar auf Anhieb überzeugt werden. Hierbei spielte das ÄrzteNetz im Zentrum der Organisationsstruktur mit seinem direkten Zugang zu Praxen und anderen Gesundheits-Einrichtungen als sog. Leistungserbringerinstitutionen (LEI) über alle Sektoren und Fachbereiche hinweg sicher eine entscheidende Rolle. Es soll noch eine weitere Modellregion in Deutschland geben. Das Bewerbungsverfahren hierfür ist jedoch noch nicht abgeschlossen.

Der Grundstein für die Modellregion "Hamburg & Umland" wurde in einer Arbeitsgruppe des ÄrzteNetzes Hamburg gelegt: Vor nunmehr 1,5 Jahren gründete der Vorstand des ÄrzteNetzes die sogenannte „Digital AG“ mit dem Ziel, die Hamburger Kliniken mit den niedergelassenen Praxen auch digital besser zu vernetzen, sodass endlich Befunde und Arztbriefe digital und strukturiert ausgetauscht werden können.

Die entsprechende Digital-Kompetenz war im Netz bereits zu diesem Zeitpunkt über verschiedene Mitgliedsinstitutionen vorhanden: So verfügen Labore beispielsweise schon lange über ein Order-Entry-System zur Anforderung von Laborbefunden und bieten Apps für ihre Einsender an. Daneben sind vor allem radiologische Praxen digital gut aufgestellt, um auf sicherem Wege Bilder zu verschicken oder im Verbund eine gute digitale Vernetzung untereinander sicherzustellen.

Das primäre Ziel der Arbeitsgruppe „Digital-AG“ war es, endlich Arztpraxen und Kliniken digital miteinander zu vernetzen. Daher wurden zunächst nur Hamburger Klinikchefs und deren IT-Experten mit ausgewählten Vertretern aus dem niedergelassenen Bereich zu den Sitzungen eingeladen, um sie mit weiteren relevanten Institutionen (u. a. Hamburger Datenschutzbehörde, Sozialbehörde und KV) zusammen zu bringen. Es entstand sogar die Idee, eine eigene regionale Struktur für die digitale Vernetzung im Gesundheitswesen aufzubauen: „Wir sind ein Stadtstaat, wir können uns von der Telematikinfrastruktur abkoppeln“, so die ersten Ideen vor dem Hintergrund der Frustrationen mit der aus Berlin diktierten Telematik-Infrastruktur in den letzten Jahren. Zunächst allerdings wollte man sich darüber informieren, wie es auf Bundesebene weitergehen sollte. Vertreter der Gematik wurden gebeten, nach Hamburg zu kommen, um über ihre Pläne und Projekte zu referieren. Die alte Garde der Gematik war größtenteils bereits abgelöst worden. Die jüngeren Vertreter gaben sich durchaus selbstkritisch; sie wussten, dass vieles schiefgegangen war.

In dieser Situation erfuhr die Digital AG von der bundesweiten Ausschreibung der Gematik für zwei Modellregionen zur Testung neuer Digital-Anwendungen, um Ärztinnen und Ärzte künftig enger mit einzubeziehen. Das ÄrzteNetz Hamburg sah sofort eine gute Chance für eine sehr gute Bewerbung, denn alle Kompetenzen waren in ihrer Digital AG gebündelt. Eine gute Gelegenheit, die weitere Entwicklung der Digitalisierung maßgeblich mit zu beeinflussen und die Vertragsärzteschaft wieder stärker ins Spiel zu bringen.

Diese Chance ist nun real geworden, und Hamburg kann zum Vorreiter für ganz Deutschland werden! Es soll klein angefangen werden, mit verschiedenen Pilotierungs-Clustern, um das digitale Kommunikationsnetz dann schrittweise auszubauen. Fehler rechtzeitig erkennen, die Praxen kompetent begleiten.

Projektleiter für die Testregion "Hamburg & Umland" ist der Arzt und IT-Experte Markus Habetha. Er ist Leiter der IT im Kath. Marienkrankenhaus Hamburg. Die teilnehmenden Einrichtungen erhalten für das Testen der Digital-Anwendungen eine Aufwandsentschädigung. Daneben bekommen die Ärztinnen und Ärzte aber vor allem die Unterstützung erstklassiger IT-Experten bei der Einrichtung und Nutzung der Anwendungen und Dienste, die ohnehin verpflichtend sind beziehungsweise sein werden.

Ein ausreichend großer Pool an unterschiedlichen Leistungserbringerinstitutionen konnte bereits re­krutiert werden. Dennoch ist geplant, dass noch gezielt auf einige Einrichtungen zugegangen wird, wenn im Rahmen anstehender Pilotierungen Vertreter bestimmter Sektoren oder Fachrichtungen fehlen sollten. Es sollten zum Beispiel alle relevanten Praxis-EDV-Systeme getestet werden.

Noch in diesem Jahr soll das Projekt mit der Testung des TI-M (TI-Messenger) starten. Andere Anwendungen werden folgen, darunter voraussichtlich neue Versionen der elektronischen AU, des elektronischen Rezepts und vor allem der elektronischen Patientenakte. Die Leistungserbringerinstitutionen werden die Prototypen testen und im Feld zusammen mit den Praxis-Teams zum Laufen bringen.

Der TI-M soll medizinischen Einrichtungen ermöglichen, einfach und komfortabel untereinander zu kommunizieren – ein Dienst zum Senden und Empfangen von Nachrichten, Bildern und PDFs. Wenn der TI-M gut konzipiert ist, könnte er den E-Mail-Dienst KIM (Kommunikation im Medizinwesen) beinahe überflüssig machen.

Zugriff auf die Kommunikation via TI-M bekommen nur Personen, die dafür zertifiziert sind und eine eindeutige Identifikation hinterlegt haben. So könnte beispielsweise die Notärztin eine Nachricht an den Hausarzt schicken: „Ich bitte um die schnelle Zusendung von Befunden Ihres Patienten.“ Oder die Pflegeeinrichtung könnte das Krankenhaus um eine Mitteilung zur letzten Medikation bitten. Je strukturierter die Daten sind, desto besser – das gilt für die analoge, wie auch für die digitale Welt.

Zum Start der Modellregion „Hamburg & Umland“ wollen wir – zusammen mit den Vertretern der Gematik – ein schlagkräftiges Team bilden. Es geht darum, am selben Strang zu ziehen und für gute, nützliche Lösungen zu sorgen. Je früher die Einbindung der Nutzer, desto besser. Wir haben nicht nur die digitale Kompetenz, sondern wissen auch, was eine Anwendung können muss, um bei den Ärztinnen und Ärzten erfolgreich zu sein. Und das bitte bald ohne die leidigen Konnektoren.

DR. JENS HEIDRICH
ist niedergelassener Facharzt für Laboratoriumsmedizin und Vorstandsmitglied des ÄrzteNetz Hamburg, verantwortlich für die Digital AG

DR. ANDREAS SCHÜSSELER
ist Orthopäde und Unfallchirurg, Vorstandsvorsitzender des ÄrzteNetz Hamburg

Kontakt: info@aerztenetz-hamburg.de