"Auf die Nutzer abgestimmt"
Interview
Die KV Hamburg hat eine App für den Arztruf Hamburg entwickelt. Der Spezialist für Leitstellen-Technik Marco Behns koordiniert das Projekt. Er erklärt, wie das Tool aufgebaut ist – und wie es bei der Dienstplanung und während des Einsatzes genutzt werden kann.
Warum wurde die KVH-App entwickelt?
marco behns: Im Arztruf Hamburg wird eine Software zur Steuerung der Einsätze auf den mobilen Endgeräten im Auto des fahrenden Dienstes und der Telefonberatung verwendet. Die Software war in die Jahre gekommen, so dass sie mit den aktuellen Mobilgeräten nicht mehr kompatibel war. Wir hatten jedoch nicht nur die Idee, die Software zu erneuern, sondern wir wollten dieses Projekt auch nutzen, um die Services rund um die Abholung der Ärztinnen und Ärzte im fahrenden Dienst als auch die Dienstorganisation für alle am Notdienst Beteiligten zu verbessern. So ist die Idee entstanden, eine eigene Applikation (App) zu entwickeln.
Wie sind Sie dabei vorgegangen?
marco behns: Wir haben ein Projektteam mit Kolleginnen und Kollegen aus dem Notdienstbereich der KV ins Leben gerufen. Seitens der Selbstverwaltung haben wir den Notdienstausschuss eingebunden. Zudem haben wir eine Befragung unter den Ärztinnen und Ärzten des Notdienstes durchgeführt, um die Funktionen der App möglichst gut auf die Bedürfnisse der Nutzer abzustimmen. Das ist die Stärke des Projektes: Wir haben all diejenigen, die mit der App arbeiten sollen, eng in die Entwicklung eingebunden. Die Ergebnisse sind dann in das Lastenheft für die Programmierung eingeflossen und wurden als Entscheidungsvorlage an die Gremien gegeben.
Marco Behns unterstützt die KV Hamburg als externer Berater bei der Neuausrichtung des Arztruf Hamburg. Ab 1. Juli 2023 stellt ein neuer Dienstleister, die WISAG, den Fuhrpark und das rettungsdienstliche Fahrpersonal für den fahrenden Notdienst. Gleichzeitig wird die Software des Notdienstes erneuert. Teil dieses Projekts ist die Entwicklung und Implementierung der KVHH-App.
Was kann die App?
marco behns: Die App nimmt die zentralen Themen Dienstplan, Einsatzsteuerung und Informationsübermittlung auf.
Wie ist die App konkret aufgebaut?
marco behns: Auf der Startseite wird der Nutzerin oder dem Nutzer individuell der nächste Dienst angezeigt – zusammen mit allen Informationen, die gebraucht werden. Zum Beispiel: „Ärztin im Fahrdienst, Bezirk Wandsbek, Spätdienst, Werktags, 1.6.2023, 14:00 – 00:00 Uhr“. Hier kann der Abholort ausgewählt und die Dienstbereitschaft bestätigt werden. Über das Menü kann der Dienstplan aufgerufen werden. Hier können Dienste verwaltet, vakante Dienste eingesehen und Angebote für Dienste abgegeben werden. Außerdem können Abwesenheitszeiten erfasst werden, wenn die Ärztin oder der Arzt für bestimmte Dienste nicht zur Verfügung steht. Über die App kann man sich auch krankmelden, so dass ein automatischer digitaler Nachbesetzungsprozess in Gang gesetzt wird. Unter dem Hauptpunkt „Notdienst“ sind häufig genutzte Rufnummern eingetragen, um diese aus der App heraus anrufen zu können – zum Beispiel die Leitstelle des Arztrufs Hamburg. Es können auch Dokumente eingesehen werden, die dem Nutzer gezielt zugänglich gemacht werden. Wenn zum Beispiel Ärzte nur telefonische Beratung machen, werden ihnen keine Dienstangebote oder Änderungen für fahrende Ärzte übermittelt. Oder Mitarbeiterinnen der Notfallpraxen bekommen nicht die Informationen der Leitstellenkollegen angezeigt – und umgekehrt.
Wie nutze ich die App während des Dienstes?
marco behns: Sie managen über die App Ihre Einsätze. Wenn ein Einsatz disponiert wird, erhalten Sie eine Push-Nachricht. Sie können sich alle Informationen zum jeweiligen Patienten ansehen, die von der Leitstelle aufgenommen wurden. Dann bestätigen Sie, dass Sie den Einsatz übernehmen: Ja, ich rufe den Patienten an. Ja, ich fahre hin. Oder zukünftig: Ja, ich mache eine Videoberatung. Ihre Rettungssanitäterinnen oder Rettungssanitäter können sich mittels Google Maps zum Einsatzort navigieren lassen. Bei allen Einsätzen haben Sie die Möglichkeit, in der App zu dokumentieren und Fotos zu hinterlegen. Das ist der erste Schritt zur digitalen Datenerfassung im fahrenden Notdienst. In der nächsten Ausbaustufe soll es möglich sein, die Gesundheitskarte einzulesen.
Die Funktionen der App werden noch ausgebaut?
marco behns: Ja. Wir haben die Software modular aufgebaut und können jederzeit Module entwickeln und hinzufügen. Die Basis wird durch einen zukunftsfähigen Programmiercode gebildet, sodass wir auch in den kommenden Jahren Weiterentwicklungen und zusätzliche Anforderungen einbinden können. Zum Start werden wir die Funktionen bereitstellen, die die bisherige Software ND Online und CarClient abgebildet haben.
Wie sehen die nächsten Ausbaustufen aus und wann kommen Sie zum Einsatz?
marco behns: Wir sind in der konkreten Umsetzung von zwei Modulen: Videoberatung und digitale Datenerfassung im fahrenden Dienst. Derzeit muss noch mit dem analogen Dreifachvordruck gearbeitet werden. Die Abteilung Verträge verhandelt gerade mit den Krankenkassen, damit auf den Papiervordruck verzichtet und die Datenerfassung und Dokumentation digital erledigt werden kann. Hierzu sind auch noch Anpassungen und Umstellungen im Hause der KV nötig, an denen wir mit Hochdruck arbeiten. Die Videoberatung ist bereits im Testsystem. Eine Einführung ist nach den Sommerferien geplant.
Der analoge Dreifachvordruck beinhaltet ja auch eine Durchschrift für die Patientinnen und Patienten. Gibt es dafür einen Ersatz?
marco behns: Wir brauchen eine Dokumentation für die Patientengeneration, die nicht in der Lage ist, sich diese online anzusehen. Dafür arbeiten wir an pragmatischen Lösungen. Derzeit ist in Planung, dass wir zum Beispiel ein Formular im C6-Format hinterlassen mit einem Feld für den Arzt-Stempel und Notizen für den Patienten. Hier kann dann beispielsweise vermerkt werden: „Medikament drei Mal täglich einnehmen. Am Montag zum Hausarzt gehen.“ Außerdem hat die Karte einen QR-Code, der von der Ärztin oder dem Arzt im Einsatzabschluss eingescannt wird. So wird diese Karte mit diesem speziellen Einsatz verbunden, so dass der Patient oder die Patientin oder Angehörige die Möglichkeit haben, die ärztliche Dokumentation unter Verwendung eines Passwortes online einzusehen. Bei Bedarf kann die Dokumentation angefordert werden und per Post durch einen automatisierten Prozess zugestellt werden.
Nach dem Einsatz im Fahrenden Dienst kann man ein Feedback abgeben. Worum geht es da?
marco behns: Ja, wir fragen nach jedem Einsatz: „Wurden Sie pünktlich abgeholt?“ und „War das Auto sauber?“ Die pünktliche Arztabholung und saubere Einsatzfahrzeuge sind Qualitätskriterien, die wir in den Kooperationsvertrag mit unserem neuen Dienstleister WISAG aufgenommen haben. Beide Punkte waren dem Notdienstausschuss bei der vertraglichen Neugestaltung besonders wichtig. Sollte es – auch nach wiederholter Ansprache – zu einer Nichteinhaltung der Qualitätskriterien kommen, haben wir mit dem neuen Vertrag auch die Möglichkeit, eine Mittelkürzung geltend zu machen.
Die Schulungen für die Nutzung der App laufen bereits. Welche Reaktionen haben Sie bisher bekommen?
marco behns: Es ist eine umfangreiche Schulung, da die App viele Funktionen hat, die der Prozessteuerung dienen. Uns ist es wichtig, die Anwenderinnen und Anwender ausreichend abzuholen. Insbesondere die Möglichkeit, die eigenen mobilen Endgeräte zu nutzen, möchten wir aufzeigen und nahebringen. Natürlich wird die KV auch weiterhin Endgeräte für den Dienst bereitstellen, doch die wirklichen Komfortfunktionen erhalten die Nutzer mit ihrem eigenen Endgerät. Wir erleben die Teilnehmerinnen und Teilnehmer als interessiert und aufgeschlossen und die Reaktionen auf die neuen Möglichkeiten sind extrem positiv. Man merkt: Die Ärztinnen und Ärzte brennen darauf, sinnvolle digitale Tools einzusetzen – und das gilt für alle Altersgruppen.
Wie bekommt man die App?
marco behns: Die kostenfreie App kann endgeräteunabhängig aus dem Google-Store oder dem Apple-Store heruntergeladen werden. Wer keine App nutzen kann oder möchte, kann auch eine Webanwendung im Internet zur Dienstplanung benutzen. Wenn Sie im Bereich des Arztrufs Hamburg inklusive der Notfallpraxen arbeiten, erhalten Sie auf Anforderung einen Brief mit QR-Code. Damit authentifizieren Sie sich, und die App leitet Sie durch den Onboardingprozess, in dem Ihr Password und PIN erstellt wird.
Ab wann kann die App tatsächlich genutzt werden?
marco behns: Wir haben die Nutzung mit einer kleinen Gruppe begonnen, um die Fehler und Probleme, die bei jeder Software anfangs auftreten, gleich auszumerzen. Dann weiten wir die Nutzergruppe sukzessive aus. Geplant ist, dass ab dem 1. Juli 2023 alle im fahrenden Dienst und in der Telefonberatung arbeitenden Personen die App verwenden: Ärztinnen und Ärzte, Fahrerinnen und Fahrer sowie die Leitstellenkollegeninnen und -kollegen. Danach folgen nach und nach die Notfallpraxen.