Opt-out bei der elektronischen Patientenakte – ist das vertretbar?
Nachgefragt
Künftig sollen alle Versicherten eine elektronische Patientenakte (ePA) bekommen. Wer das nicht will, muss widersprechen. Wir haben nachgefragt, ob das mit ärztlicher Schweigepflicht, Datensouveränität und Datenschutz vereinbar ist.
Das zerstört den Vertrauensraum
Das bisherige Interesse an der ePA war gering. Deshalb wird jetzt mit neuen Gesetzen die Freiwilligkeit verlassen, und der Zwang kommt. Für Ärztinnen, Ärzte und Psychotherapeuten kommt die Verpflichtung, Behandlungsdokumentation und externe Berichte in die zentrale Akte einzustellen. Die Versicherten werden nicht mehr gefragt. Ihre Krankheitsdaten werden automatisch von der Wiege bis zur Bahre gespeichert. Ablehnung ist möglich, wie genau steht noch nicht fest. Laut Ankündigung sollen nur Inhaber moderner Smartphones, einer Kassen-APP und entsprechender PIN-Nummern die Akte „managen“ können, alle anderen nicht. Nur diese Patienten können selbst entscheiden, wer den Psychiatriebericht sehen soll. Bei den über 65-Jährigen sind mehr als 20 Prozent nicht Smartphone-affin. Menschen mit Einschränkungen oder geringen Sprachkenntnissen werden ebenfalls ausgegrenzt. Ärztinnen und Ärzte können keine Garantie mehr für ihre Schweigepflicht geben, das zerstört den Vertrauensraum und die Grundlagen unserer Tätigkeit. Vertrauen in neue Anwendungen entsteht nur mit Freiwilligkeit auf allen Seiten.
Die Vorteile überwiegen
Das interessante an der Debatte über die ePA ist, dass über ihre prinzipielle Sinnhaftigkeit, bei aller berechtigten Kritik im Einzelfall, wenig bis gar nicht diskutiert wird – dass sie ein wichtiger Baustein der Digitalisierung des deutschen Gesundheitswesens sein kann, wird von kaum jemanden ernsthaft in Zweifel gezogen. Insofern wäre es natürlich wünschenswert, wenn allein ihr schwer bestreitbares Potenzial oder gar ihr individueller Mehrwert die Nutzungszahlen erhöhen würde. Einer Opt-out-Regelung haftet immer das Geschmäckle einer liberal-paternalistischen Zwangsbeglückung an. Diese Regelung ist daher die zweitbeste aller denkbaren Lösungen – aber die beste unter den faktischen Gegebenheiten. Bestenfalls werden viele Bürgerinnen und Bürger in der Folge feststellen, welche Vorteile sie bietet, was ihre Akzeptanz und aktive Nutzung steigern und eine Aufwärtsspirale in Gang setzen wird. Und wer sie, aus welchen Gründen auch immer, nicht haben will, kann ihr widersprechen – auch die Datensouveränität ist also gegeben.
Keine generellen Einwände
Die datenschutzrechtliche Bewertung der ePA liegt in der Zuständigkeit des Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit. Anlässlich der Vorstellung seines Tätigkeitsberichts hat Herr Prof. Kelber im März 2023 mitgeteilt, dass er gegen eine Opt-out-Lösung keine generellen datenschutzrechtlichen Einwände erhebt.
Dem kann ich mich anschließen. Denn Artikel 9 Datenschutz-Grundverordnung erlaubt eine Verarbeitung von Gesundheitsdaten nicht allein auf der Basis einer Einwilligung. Diese kann auch dann zulässig sein, wenn sie zu Zwecken der individuellen Versorgung oder aus Gründen des öffentlichen Interesses erforderlich ist – unter der Voraussetzung, dass angemessene Garantien oder Maßnahmen zur Wahrung der Rechte und Freiheiten der betroffenen Personen bestehen. Außerdem müssen die Grundsätze für die Verarbeitung personenbezogener Daten, vor allem Transparenz, und der Patientenwille durch ein leicht auszuübendes Widerspruchsrecht berücksichtigt werden. Hinsichtlich der konkreten Ausgestaltung von Anlage und Befüllung der ePA sehe ich den Gesetzgeber in der Pflicht, der dabei auch die Vorgaben zur ärztlichen Schweigepflicht im Blick haben muss.