5/2025 5/2025

Selbstbewusst und selbstbestimmt

von DR. ANDREAS SCHÜßELER

Das ÄrzteNetz Hamburg feiert 25-jähriges Bestehen. Es bringt Praxen und Kliniken zusammen, organisiert Fortbildungen, stellt die erste Modellregion der Gematik für die Digitalisierung im Gesundheitswesen. Und positioniert sich als konstruktiver Kooperationspartner der KV.

Das „ÄrzteNetz“ entstand vor einem Vierteljahrhundert in Eidelstedt: Dort gab es einen Stammtisch mit etwa 15 Ärztinnen und Ärzten, die den Streit zwischen den berufspolitischen Funktionären leid waren und sagten: Wir wollen uns nicht mehr gegenseitig vor die Schienbeine treten, sondern uns gemeinsam zum Nutzen aller Kolleg:innen und zum Wohle der Patienten zusammenschließen.

So konstituierte sich, zunächst als kleine regionale Einrichtung, das ÄrzteNetz Hamburg Nordwest. Den Vorsitz übernahm in den ersten Jahren der Orthopäde Dr. Carsten Timm, später der HNO-Arzt Dr. Hans-Jürgen Juhl und danach die Allgemeinmedizinerin Dr. Cornelia Thies. Ich durfte die Entwicklung des ÄrzteNetzes von Anfang an hautnah mitverfolgen. Ebenfalls Gründungsmitglied, bin ich nun mit Unterbrechung seit über 20 Jahren im Vorstand und seit acht Jahren Vorsitzender.

Heute sind wir mehr als 340 Haus- und Fachärzt:innen sowie zehn Krankenhäuser im ÄrzteNetz. Wir fördern die intersektorale Verknüpfung und wollen als niedergelassene Ärzt:innen mit den Krankenhäusern auf Augenhöhe agieren. Zunächst waren drei regionale Krankenhäuser dabei, dann wurden weitere Kontakte in den stationären Bereich aufgebaut. Jede Klinik hat nur eine Stimme – ebenso wie jede Ärztin und jeder Arzt.
Ergänzt wird der Kernbereich des ÄrzteNetzes durch 19 Gesundheitsdienstleister und weitere Kooperationspartner ohne Stimmrecht.

Wichtig war uns immer, den ärztlichen Mitgliedern ganz konkrete Vorteile anbieten zu können, so dass der Benefit am Ende des Monats größer ist als der Monatsbeitrag. Dabei ist die Nutzung des Angebotes stets freiwillig. Für eine einzelne Praxis sind Bürokratie, Materialbeschaffung und Digitalisierung schwerer zu bewältigen als für das Mitglied eines großen Netzes, das Aufgaben übernehmen, als Einkaufsgemeinschaft auftreten und große Rahmenverträge schließen kann.

Wir haben ein Fortbildungsprogramm für Ärzt:innen und Praxismitarbeiter:innen aufgelegt, das fast ausschließlich digital läuft. All die Pflichtveranstaltungen wie Hygiene, QM, Arbeitssicherheit, Brandschutz oder Datenschutz bieten wir unseren Mitgliedern ohne Zusatzkosten an. Darüber hinaus gibt es vielfältige Qualitätszirkel und fachgruppenspezifische Fortbildungseinrichtungen (z. B. Schmerzkonferenzen, Tumorkonferenzen, HNO-Qualitätszirkel, neurologische Qualitätszirkel auf Initiative der Netzmitglieder im niedergelassenen und Krankenhausbereich).

Am Ende des Jahres wird dieses Fortbildungsprogramm durch unsere alljährliche Tagesfortbildung im Hotel Hagenbeck unter dem Begriff „ÄrzteNetz aktuell“ beendet. Daneben bieten wir kostenlose Rechtsberatung durch spezialisierte Anwälte oder eine Unterstützung bei der Erstellung von Praxisfinanzierungskonzepten an.

Das ÄrzteNetz repräsentiert eine selbstbewusste und selbstbestimmte Ärzteschaft. Die selbständigen Praxen bilden das Fundament einer effizienten und von ärztlichem Ethos geprägten Medizin. Leider ist etwa ein Drittel der Praxisinhaber in Hamburg bereits über 55 Jahre alt. Wir stehen somit vor einem Generationswechsel, der einschneidende Veränderungen mit sich bringen wird.

Um einen Beitrag für die Zukunftssicherung zu leisten, bieten wir ein Mentoringprogramm an. Hier werden ärztliche Nachwuchskräfte, die erwägen, sich selbständig zu machen, bei Bedarf an die Hand genommen. Sie können bei uns in den Praxen hinter die Kulissen schauen und Detailkenntnisse erwerben, die für den weiteren medizinischen Arbeitsweg entscheidend sind.
Durch die Förderung der jungen Kolleginnen und Kollegen wollen wir erreichen, dass sich der notwendige Verjüngungsprozess auch im Netz vollzieht.

Digitaler Terminpool für ein schnelles Case-Managment (Medienbericht­erstattung von 2010)

Wir verstehen uns als Gegenkonzept zu ausgreifenden, nicht ärztlich geführten Strukturen wie den Medizinischen Versorgungszentren (MVZ). Deshalb gründete das ÄrzteNetz seinerzeit regionale „Gesundheitszentren“, die nahe beieinander liegende Praxen der verschiedenen Fachrichtungen koordinieren.

Folgerichtig entwickelten wir einen digitalen Terminpool, wo die Ärzte für ihre Patienten kurz- und mittelfristig Termine bei Kolleginnen und Kollegen aller Fachrichtungen buchen können. Damit waren wir der gesetzlich vorgeschriebenen Terminvermittlung via 116117 weit voraus mit dem noch heute gültigen Vorteil, dass so gut wie kein Missbrauchspotenzial besteht.

Das Netz ist stetig gewachsen. Im Jahr 2011 folgte die Umbenennung in ÄrzteNetz Hamburg. 2020 fusionierten wir mit dem Praxisnetz Süderelbe, und mittlerweile sind wir im gesamten Stadtgebiet vertreten – in unseren Ursprungsgebieten noch immer etwas stärker als im Osten. Die Mitgliederzahl stagniert gegenwärtig, dabei muss man aber den laufenden Verjüngungsprozess berücksichtigen: Ältere Kolleg:innen scheiden aus, jüngere rücken nach.

Umweltschutz-Wettbewerb "Wir für unser Klima" (Medienbericht­erstattung von 2022)

Im Sinne des 125. Deutschen Ärztetages, der das Thema „Klimaschutz ist Gesundheitsschutz“ auf die Agenda setzte und eine nationale Strategie für eine klimafreundliche Gesundheitsversorgung forderte, richteten wir zwischen 2022 bis 2023 den Umweltschutz-Wettbewerb „Wir für unser Klima“ aus. Die Teilnehmer:innen erarbeiteten konkrete Vorschläge und Konzepte, um die Arbeitsabläufe in Praxis und Klinik umweltfreundlicher zu gestalten. Die Gewinner erhielten attraktive Preise: die Nutzung eines Elektro-Autos für drei Jahre als Hauptgewinn, einen E-Roller, ein E-Bike, eine fußläufige Alpenquerung oder eine HVV-Jahreskarte. Unser Schirmherr war der Hamburger Umweltsenator Jens Kerstan.

Dieser Umweltschutz-Wettbewerb war getragen vom Gedanken der Eigeninitiative: Wir wollen nicht warten, bis uns von oben herab Anweisungen vorgegeben werden, die wir dann zu befolgen haben. Wir wollten selbst Möglichkeiten entwickeln, um mehr Nachhaltigkeit im Gesundheitswesen zu erreichen. Dieser Gedanken soll uns auch in Zukunft begleiten, weil er schlicht lebenswichtig ist.

Modellregion für Digitalisierung im Gesundheits­wesen (Medienbericht­erstattung von 2023)

Das ÄrzteNetz Hamburg gründete Anfang 2022 einen Digital-Ausschuss, weil der digitale Fortschritt trotz aller politischen Bemühungen nur sehr zäh voranschreitet. Die Initiative ging von Dr. Jens Heidrich aus, Labormediziner und Vorstandsmitglied des ÄrzteNetzes. Er hatte die Idee, die großen Player des Hamburger Gesundheitswesens an einem Tisch zusammenzubringen. Die Frustration über die Telematik-Infrastruktur war groß. Was die Gesundheitspolitik seit Jahrzehnten versprochen hatte, wurde im Rahmen der Telematik-Infrastruktur nur sehr unzureichend umgesetzt.

Nun versuchte der Ausschuss, die digitale Vernetzung der Praxen und Kliniken in Hamburg auf eigene Initiative voranzutreiben. Maßgebliche Unterstützung kam vom Albertinen-Krankenhaus unter Leitung von PD Dr. Michael Rosenkranz und von der Radiologischen Allianz unter Mitwirkung von Dr. Murat Karul – und nicht zuletzt von Markus Habetha, dem jetzigen Projektleiter der Modellregion.

Diese Initiative blieb nicht unbemerkt, sodass die Gematik fragte, ob wir nicht aufgrund unserer Netzstruktur als erste Modellregion für die Digitalisierung im Gesundheitswesen fungieren wollten. So kam es, dass wir, ein Zusammenschluss von 90 Arztpraxen, 15 Krankenhäusern sowie Zahnarztpraxen, Apotheken und weiteren Einrichtungen unter Leitung des ÄrzteNetzes Hamburg die erste offizielle Modellregion in Deutschland wurden. Seither haben wir eine eigene IT-Abteilung mit neun Mitarbeitern, welche die Modellregion erfolgreich durchführen und die teilnehmenden Praxen beim Einsatz der Digital-Anwendungen unterstützen.

Ich war im vergangenen Herbst auf einer Tagung norddeutscher Ärztenetze und stellte fest: Viele Netze sind sehr umtriebig und stellen Beachtliches auf die Beine. Doch ich kenne kein Netz, das so groß ist und so viele Projekte umgesetzt hat wie unseres. Die Arbeit für das ÄrzteNetz Hamburg hat uns in den vergangenen Jahren sehr viel Spaß gemacht. Es ist ein tolles Gefühl, zu sehen, wie Ideen verwirklicht werden und zu “fliegen” beginnen.

Dabei haben wir uns niemals als Konkurrenz zur KV gesehen, sondern stets als deren Ergänzung. Seit 2013 können KVen Praxisnetze akkreditieren und finanziell fördern. Doch die Richtlinie der KV Hamburg für die Anerkennung von Praxisnetzen war so formuliert, dass die Anforderungen weder von uns noch von einem anderen Netz in Hamburg erfüllt werden konnten.

In den vergangenen Jahren wurden die Gespräche mit der KV intensiver, die Kontakte enger – und wir näherten uns deutlich an. Im Dezember 2024 verabschiedete die KV-Vertreterversammlung eine überarbeitete Richtlinie für die Anerkennung von Praxisnetzen, die realistische Vorgaben definiert. Im März 2025 wurde das ÄrzteNetz Hamburg dann als Praxisnetz anerkannt.

Die Versorgung in Hamburg steht vor großen Herausforderungen. Mit dem Aufkauf von Arztsitzen durch Konzerne und Investoren findet eine Konzentration der Versorgungskapazitäten statt. Privatinvestoren wollen möglichst hohe Gewinne erzielen und ziehen Geld aus der Versorgung ab.

Das ist ein Unterschied zu jener Art von Versorgung, für die wir stehen: Wir sind über das Berufsrecht an das ärztliche Ethos gebunden. Die eigentümergeführten Praxen sind vergleichsweise klein und wohnortnah über das Stadtgebiet verteilt – können aber im Verbund dennoch ein mächtiger, durchsetzungsstarker Player sein. Bei aller Berücksichtigung des politischen Wandels ist dies noch immer ein vordringliches Ziel des ÄrzteNetzes.

Da es bei der Sicherstellung in Hamburg bereits weiße Flecken gibt – man denke an die Diskussionen um die Versorgung in Hamburgs Osten –, könnten wir uns gut vorstellen, mit der KV zusammen Projekte zu entwickeln und umzusetzen, die den Patient:innen zugutekommen und gleichzeitig für die selbstständige Ärzteschaft wirtschaftlich gut funktionieren.
Ich bin davon überzeugt, dass die ärztliche Selbstständigkeit durch eine enge Zusammenarbeit von Praxisnetzen mit der KV gefördert werden kann – eine solide wirtschaftliche Basis vorausgesetzt.

www.aerztenetz-hamburg.de
E-Mail: info@aerztenetz-hamburg.de

DR. ANDREAS SCHÜßELER
ist Orthopäde und Unfallchirurg und Vorstandsvorsitzender des ÄrzteNetz Hamburg

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