5/2023 5/2023

Was ist aus Ihrer Sicht die drängendste Herausforderung in der ambulanten Versorgung?

Nachgefragt

Selbstständig tätige Ärzteschaft erhalten

Wir haben große Nachwuchssorgen im ambulanten Bereich. Besonders in der Allgemeinmedizin und Pädiatrie fehlen Ärzt:innen, die Praxen übernehmen wollen. Deshalb brauchen wir bessere Möglichkeiten, Praxen zu erhalten und die Übernahme flexibel zu gestalten. Wenn Ärzt:innen die Möglichkeit bekommen, zunächst angestellt ambulant zu arbeiten, lässt sich eine spätere Niederlassung in Ruhe planen. Gibt es solche Möglichkeiten nicht, dann werden die Kolleg:innen zunehmend in MVZ arbeiten, die oft von gewinnorientierten Investoren betrieben werden. Diese Entwicklung gilt es zu stoppen. Wir brauchen die selbstständig tätige Ärzteschaft, weil medizinische Entscheidungen keiner Gewinnorientierung unterliegen dürfen. Ich wünsche mir, dass die KV übergangsweise Praxen betreiben und Ärzt:innen anstellen kann, bis die Nachfolge geklärt ist. Wir lassen derzeit prüfen, in welcher Form das rechtlich am besten geht. Die Beispiele der KV-Praxen in Berlin zeigen, was heute bereits möglich ist. Mir liegt außerdem die Gesundheit von Kindern und Jugendlichen besonders Herzen.

Qualität der Versorgung steht auf dem Spiel

Die Situation der ambulanten Versorgung hat sich in der letzten Zeit erkennbar verschlechtert. Die realen Folgen sind lange Wartezeiten auf Termine, Aufnahmestopp neuer Patienten in zahlreichen Praxen, verkürzte Sprechstundenzeiten sowie eine steigende Heterogenität der Versorgungsabdeckung in Hamburg. Neben der allgemeinen Wirkung der drastisch gestiegenen Inflation liegt die wesentliche Ursache hierfür insbesondere in den von Bundesgesundheitsminister Lauterbach durchgesetzten Sparmaßnahmen. Diese habe eine strukturell verheerende Wirkung entfaltet und müssen dringend korrigiert werden. Aus Hamburger Perspektive ist dafür zu sorgen, dass die zugeteilten Budgets an die Realität angepasst werden und es mehr und breitere organisatorische und finanzielle Hilfestellungen für Ärztinnen und Ärzte gibt. Darüber hinaus sollen Maßnahmen ergriffen werden, die zeitgemäße Arbeitszeitmodelle z.B. in medizinischen Versorgungszentren (MVZ) ermöglichen.

Wir brauchen eine am Bedarf orientierte Verteilung

Die drängendste Herausforderung ist der Mangel an kleinräumiger Planung, die sich nach Sozialindikatoren und Krankheitslast ausrichtet. Der Morbiditätsatlas hat die sozial ungleiche Verteilung von Krankheitsrisiken belegt. Dennoch sind einkommensschwache Stadtteile haus- und kinderärztlich deutlich schlechter versorgt. Ärzte lassen sich am Bedarf vorbei häufig dort nieder, wo der Anteil von Privatpatienten besonders hoch ist. Dagegen fordern wir in unterversorgten Stadtteilen den Aufbau von städtischen Gesundheitszentren in kommunaler Trägerschaft, die die interdisziplinäre Zusammenarbeit von Ärzten, Community Health Nurses, Psychotherapeuten und Sozialberatern unter einem Dach sicherstellen. Die primärmedizinische Versorgung sollte der Erstzugang zum Gesundheitssystem darstellen und nicht nur von einem Hausarzt, sondern multiprofessionell mit anderen Berufsgruppen erbracht werden. Anders als private Praxen sollten diese Zentren keinen Aufnahmestopp für neue Patienten verhängen dürfen.

Bewältigung der steigenden Nachfrage

Die letzten drei Jahren hat die ambulante Versorgung durch die Corona-Pandemie einen Stresstest erlebt. Dabei zeigte sich, dass das ambulante System das Rückgrat der Versorgung ist, dessen Finanzierung gesichert sein muss. Eine der größten Herausforderungen in der ambulanten Versorgung ist die Bewältigung der steigenden Nachfrage nach medizinischer Versorgung aufgrund des demografischen Wandels. Die Bevölkerung in Hamburg wird nicht nur älter, sondern wächst enorm durch Zuwanderung und damit wächst auch der Bedarf an medizinischer Versorgung. In manchen Stadtteilen gibt es bereits einen Ärztemangel, der sich noch verstärken wird, weil viele Ärzte ins Rentenalter kommen. Diese Praxen nachzubesetzen, wird die vordringliche Aufgabe darstellen. Außerdem muss eine Vereinfachung der starren Bürokratieregelungen erfolgen, sowie auch systemisch-organisatorische Überlegungen und die Digitalisierung sind dringend erforderlich.