3/2024 3/2024

Gallensteine + Symptome = OP-Indikation?

Aus dem Netzwerk evidenzbasierte Medizin

Auch eine konservative Behandlung kann sinnvoll sein

Von Prof. Dr. Stefan Sauerland im Auftrag des Netzwerks Evidenzbasierte Medizin e.V. (www.ebm-netzwerk.de)

Dass eine Patientin oder ein Patient über rechtsseitige Oberbauchbeschwerden berichtet, ist eine häufige Behandlungssituation. Wenn die Symptomatik sich in typischer Weise wie eine Gallenkolik darstellt und zeitlich mit einer kräftigen Mahlzeit zusammenhängt, ist die Verdachtsdiagnose naheliegend. Meist lässt sich in diesen Fällen mittels Sonografie rasch eine Cholezystolithiasis diagnostizieren.

Als optimale Therapie einer symptomatischen Cholezystolithiasis wird in jedem Lehrbuch die Cholezystektomie empfohlen [1]. Nur wenn anästhesiologische Risiken oder schwere Komorbidität gegen eine Operation sprechen, wird man auf eine Cholezystektomie zumindest vorübergehend verzichten.

Jährlich werden in Deutschland etwa 175.000 Cholezystektomien durchgeführt, wobei Frauen insgesamt häufiger von Gallensteinen betroffen sind und daher auch häufiger als Männer operiert werden [2].Die Indikation zur Cholezystektomie begründet sich darüber, dass nur eine Entfernung von Gallensteinen und -blase mögliche Folgekomplikationen verhindern kann.

Die häufigste Komplikation der Cholezystolithiasis ist die akute Cholezystitis, die eine antibiotische Therapie und eine Cholezystektomie binnen 24 h erfordert. Bei Steinabgang in die Gallenwege drohen Cholangitis und biliäre Pankreatitis, wobei die Krankenhaus-Mortalität der biliären Pankreatitis bei etwa 0,5% bis 2% liegt [3].

Insgesamt muss man damit rechnen, dass in etwas über 50% der Fälle die symptomatische Cholezystolithiasis mittelfristig entweder zu erneuten Symptomen oder aber sogar zu Komplikationen führt. Umgekehrt bedeutet dies aber, dass die anderen 50% der Betroffenen in den folgenden Jahren auch ohne Operation beschwerdefrei bleiben würden.

Ende 2023 wurde nun eine große britische Studie namens C-GALL vorgestellt [4]. In dieser Studie wurde bei 436 Erwachsenen mit unkompliziert symptomatischen Gallensteinen per Zufall entschieden, ob eine operative oder konservative Behandlungsstrategie verfolgt wurde. Bei etwa drei Viertel aller Studienteilnehmer ließ sich die zugewiesene Strategie einhalten, wobei man in Großbritannien – anders als in Deutschland – etwa 6 Monate auf der Warteliste für eine elektive Cholezystektomie verbringt.

Im Vergleich zwischen beiden Behandlungs­strategien zeigten sich nach 12 bis 18 Monaten ähnliche Ergebnisse hinsichtlich Schmerzen, Lebensqualität und Komplikationsraten. Bei den Komplikationen hielten sich perioperative Komplikationen in der operativen Gruppe die Waage mit den bekannten Komplikationen der konservativen Therapie (Rezidivkolik, Cholezystitis, etc.). Letztlich war die Komplikationsrate mit 15% bei konservativer Therapiestrategie tendenziell niedriger als die 20%-Rate in der OP-Gruppe.

Daher schlussfolgert die Studiengruppe, dass die konservative Behandlung eine vertretbare Option für Patienten mit unkomplizierten symptomatischen Gallensteinen sei und bei bestimmten Patienten sogar vorzuziehen sein könnte.

In einem Editorial zur Studie konnte ich mich gemeinsam mit meinem chirurgischen Kollegen Ralf Langenbach dieser Einschätzung anschließen [5]. Zwar ist die rasche Entfernung der Gallenblase in vielen Fällen sicherlich die beste Therapieoption. Abhängig von individuellen Risikofaktoren und vom Patientenwunsch kann aber bei nicht wenigen Patientinnen und Patienten auch eine konservative Behandlung zumindest versucht werden.

Abzuraten ist von der Operation als „der“ Standardlösung für ein Gallensteinleiden – insbesondere bei weniger schweren und atypischen Symptomen, weil die Cholezystektomie hier die Symptomatik oft nicht verbessert. Stattdessen sollte im Patientengespräch eine individuelle und partizipative Therapieentscheidung angestrebt werden. Hierfür hat das IQWiG (Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen) 2023 eine allgemein-verständliche Entscheidungs­hilfe erarbeitet [6].

Wichtig ist es aber, die Option eines konservativen Vorgehens überhaupt anzusprechen.

In die medizinische Abwägung einzubeziehen sind neben der Patientenpräferenz einerseits das prognostische Risiko der Cholezystolithiasis und andererseits das allgemeine Risiko einer Cholezystektomie. Tendenziell eher für eine operative Behandlung sprechen typische und schwere Symptome, höheres Patientenalter, männliches Geschlecht, Diabetes mellitus sowie kleine Gallensteine [7,8].

Umgekehrt bedeutet dies aber, dass gerade die typischerweise weibliche Patientin im mittleren Alter nicht in jedem Fall einer Cholezystektomie bedarf. Man kann auch – so wie in der C-GALL-Studie – abwarten, ob die Symptome wiederkommen oder nicht.

In einer niederländischen Studie namens SECURE wurde ein solches, bewusst zurück­haltendes Behandlungskonzept bereits ausprobiert [9]. In einer Patientengruppe (n= 1067) mit symptomatischer Cholezystolithiasis gelang es, die Cholezystektomie-Rate von 75% auf 68% zu reduzieren. Dies ist nicht viel; die Studienintervention bestand aber schlicht darin, dass ein Online-Tool von einer Operation abriet, sofern die Symptomatik weniger typisch oder weniger schwer war. Und die um 8% geringere OP-Rate führte nicht zu einem Mehr an Komplikationen unter konservativer Therapie. Insbesondere die Inzidenz der biliären Pankreatitis lag bei unter 1% binnen 12 Monaten.

Insgesamt also kann die abwartende, nicht operative Behandlung einer symptomatischen Cholezystolithiasis eine sinnvolle Option sein, die je nach individueller Risikokonstellation im Patientengespräch erwogen werden sollte.

PROF. DR. MED. STEFAN SAUERLAND
Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG)
Im Mediapark 8, D-50670 Köln
Tel.: 0221 / 356 85 - 359
stefan.sauerland@iqwig.de

Literatur:

1) Tait N, Little JM. The treatment of gall stones. BMJ 1995; 311: 99-105. https://doi.org/10.1136/bmj.311.6997.99
2) Sauerland S: Epidemiology of biliary lithiasis. In: Borzellino G & Cordiano C (Eds.) Biliary lithiasis. Heidelberg, Springer; 2008: pp. 13-18.
3) Patel et al.: Acute biliary pancreatitis is associated with adverse outcomes in the elderly: a propensity score-matched analysis. J Clin Gastroenterol 2019; 53: e291-e297. https://doi.org/10.1097/mcg.0000000000001108
4) Ahmed I, et al.: Effectiveness of conservative management versus laparoscopic cholecystectomy in the prevention of recurrent symptoms and complications in adults with uncomplicated symptomatic gallstone disease (C-GALL trial): pragmatic, multicentre randomised controlled trial. BMJ 2023; 383: e075383. https://doi.org/10.1136/bmj-2023-075383
5) Sauerland S, Langenbach MR. Managing symptomatic gallstone disease: We must move away from a “one size fits all” approach. BMJ 2023; 383: 2624. https://doi.org/10.1136/bmj.p2624
6) Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG): Entscheidungshilfe: Gallensteine: Wie können sie behandelt werden? (2023) https://www.gesundheitsinformation.de/entscheidungshilfe-gallensteine-wie-koennen-sie-behandelt-werden.html
7) Parmar AD, et al.: PREOP-Gallstones: A Prognostic Nomogram for the Management of Symptomatic Cholelithiasis in Older Patients. Ann Surg 2015; 261: 1184-90. https://doi.org/10.1097/sla.0000000000000868
8) Guo X, et al.: A nomogram for clinical estimation of acute biliary pancreatitis risk among patients with symptomatic gallstones: A retrospective case-control study. Front Cell Infect Microbiol 2022; 12: 935927. https://doi.org/10.3389/fcimb.2022.935927
9) van Dijk AH, et al.: Restrictive strategy versus usual care for cholecystectomy in patients with gallstones and abdominal pain (SECURE): a multicentre, randomised, parallel-arm, non-inferiority trial. Lancet 2019; 393: 2322-2330. https://doi.org/10.1016/s0140-6736(19)30941-9