Die vergessenen Mädchen
Kolumne
von Dr. Christine Löber, HNO-Ärztin in Hamburg-Farmsen
Es ist wie immer. Diesmal hatte ich sogar schon zwei Themenideen für die Kolumne, und da kommt dann plötzlich und zufällig ein ganz anderer Vorschlag. Diesmal von meinem Mann. Der ist niedergelassener Kardiologe und überlegte laut und mit etwas aufgeregten Sorgenfalten, wie zwei Herzärzte am 8. Februar eine Praxis alleine führen sollen.
„Also Karte einlesen, Wartezimmer, Echo anschalten, ans Telefon gehen, rechts oben klicken wegen Terminkalender, Moment, dann linke Maustaste Namen suchen, dann den einen zum Echo, wieder Telefon, den anderen zum EKG, und wo ist da eigentlich der Schalter und Langzeit-EKGs erstmal liegenlassen oder was, und dann ist vorne schon die Schlange. Zum Glück haben wir die Hälfte abgesagt.“ So ist das, wenn die MFA nicht da sind.
Ich muss Ihnen diese Abläufe nicht erzählen, Sie kennen die alle. Sie wissen auch, wie es ist, wenn man die Praxis fast alleine machen muss. Mein Kollege und ich haben das Abenteuerprojekt „Ohne MFA arbeiten“ in einer der vielen Infektwellen auch mal gemacht. Kann ja nicht so schlimm sein, das schaffen wir schon irgendwie.
Rennen, behandeln, nicht aus dem Kopf wissen, wieviel vom Desinfektionsmittel in die Instrumentenwanne kommt. Unfassbar langsam vorankommen, die Hälfte vergessen. Jegliche Effizienz verlieren. Angemeckert werden, dass es nicht schnell genug geht, „Sie können mir doch nicht erzählen, Sie kriegen das jetzt nicht hin, weil Ihre Mädchen nicht da sind??“
Ihre Mädchen. Ihre Damen. Die Krankenschwestern. Unabhängig davon, dass unser Team aus Medizinischen Fachangestellten auch männliche Bestandteile hat, werde ich sehr ungehalten, wenn jemand meine Mitarbeiter:innen abschätzig als meine Mädchen bezeichnet. Ich unterbreche da meine Cerumen-Entfernungen und halte einen kleinen Vortrag. Soviel Zeit muss auch in der eng getakteten Sprechstunde sein.
Ab Mitte der 60er Jahre war die Berufsbezeichnung „Arzthelferin“ schon nicht mehr angebracht, da es sich mit Beginn der zweijährigen Ausbildung nicht mehr um einen Hilfsberuf handelte. Seit 1986 wurde die dreijährige Ausbildung eingeführt, und 2006 änderte sich die Bezeichnung eines der wichtigsten Berufe im Gesundheitswesen zu „Medizinische/r Fachangestellte/r“.
Ich schreibe hier auch die männliche Form, obwohl der Beruf weiterhin von den Frauen dominiert wird. 2021 waren nur knapp 2 Prozent der MFA männlich, wobei dieser Anteil in den letzten Jahren leicht angestiegen ist. Auch insgesamt ist die Zahl der MFA in den letzten Jahren um ca. 50.000 angestiegen (Zahl ebenfalls aus 2021).
Im Gesundheitswesen brennt es an den meisten Ecken und Enden nicht erst seit gestern. Die Pflegekräfte verdienen immer zuwenig Geld und werden deshalb von der Bevölkerung beklatscht, die niedergelassenen Ärzt:nnen verdienen in der öffentlichen Wahrnehmung zwar viel zu viel Geld, aber gleichzeitig sinken die Honorierungen stetig bei einer immer weiter zunehmenden Kostenentwicklung, die Patientenzahl steigt ebenfalls zunehmend. Die Kolleg:innen aus der Klinik ächzen unter dem Personalmangel und der damit einhergehenden Arbeitsverdichtung.
Immer wieder streikt mal eine dieser Gruppen und positioniert sich öffentlich, und das völlig zu Recht.
Eine Gruppe geht jedoch unter. Verschwindet im wuseligen Untergrund der Praxisräume, beschwert sich kaum, kommt krank zur Arbeit, hält den Betrieb aufrecht, kann nicht mehr. Ganz leise.
Im Unterschied zum Pflegefachpersonal wird die Gruppe der MFA auch öffentlich nicht wahrgenommen, es sind ja nur „Ihre Mädchen“. Es sind die vergessenen Mädchen.
Ich schreibe diesen Text, um nochmal deutlich zu machen, was diese Berufsgruppe leistet und wie außerordentlich entscheidend sie für das Funktionieren der ambulanten Versorgung ist.
Gängige Aussagen aus der Klinik wie „Weiss ich nicht, nicht meine Baustelle“ hört man nie von den MFA. Das Verantwortungsbewusstsein für das kleine Unternehmen ist sehr hoch.
MFA sind schnell im Kopf und effizient. Sie beherrschen kreative Organisation und Kommunikation, haben zum Teil ganz enorme medizinisch-diagnostische Skills, sind das Bollwerk an der Anmeldung, regeln Abläufe, strukturieren die Versorgung des ganzen Einzugsgebiets.
Ist eine Praxis ohne MFA zu schaffen? Sicherlich. Dann behandele ich eben drei Patient:innen statt vierzig pro Tag. In other words: Versorgungszusammenbruch.
Am 8. Februar hatten die MFA nun ihren längst überfälligen Streiktag. Der Spitzenverband der Fachärzte hat sich sehr zutreffend und unterstützend hierzu geäußert, und diese Unterstützung muss unseren Kolleg:innen von uns allen zukommen.
Die Medizinischen Fachangestellten sind nicht nur für uns ein integraler Bestandteil unseres Praxisbetriebs, sondern für die Gesundheitsversorgung der gesamten Gesellschaft ein vollkommen unverzichtbarer Baustein.
Weil ich immer viel Post von den MFA aus verschiedenen Praxen bekomme, über die ich mich immer besonders freue, möchte ich an dieser Stelle noch zwei Dinge sagen:
DANKE.
Sie alle haben meine vollste Unterstützung, und mit hoher Wahrscheinlichkeit auch die meiner Kolleg:innen!
DR. CHRISTINE LÖBER ist HNO-Ärztin und Buchautorin.
Aktuell im Buchhandel: „Immer der Nase nach“ (zusammen mit Hanna Grabbe), Mosaik Verlag / Hamburg
In dieser Rubrik drucken wir abwechselnd Texte von Dr. Christine Löber, Dr. Matthias Soyka und Dr. Bernd Hontschik.