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Blondes have more fun

Kolumne

von Dr. Matthias Soyka
Orthopäde in Hamburg-Bergedorf

Blondes have more fun“, sang Rod Stewart Ende der 1970er Jahre. Vielleicht hatte er recht, vielleicht auch nicht. Evidenzbasiert ist das nicht. Der Spaß reduziert sich jedenfalls schlagartig, wenn man von seinem Urologen erfährt, dass man unter einer schweren Krankheit, z.B. einem Prostata-Carcinom leidet. Dann ist es wichtig und kann sehr beruhigen, wenn man sich auf gute Ärzte, Krankenhäuser und ein funktionierendes Gesundheitswesen verlassen kann.

Rod Stewart hat gerade eine Krebserkrankung überstanden. Der erfolgreiche Sänger ist ein grundanständiger working class man geblieben und weiß deshalb, dass er sich trotz seiner Krankheit in einer privilegierten Situation befindet. Denn die Behandlung, die er sich leisten konnte, ist für die meisten Bürger des Vereinten Königreichs unerreichbar.

Das britische Gesundheitswesen befindet sich auf dem Tiefpunkt. Die Situation ist geprägt durch vorenthaltene Behandlungen, verschobene Termine für Operationen, auf die man sowieso Monate und Jahre warten musste, überfüllte Stationen und absurd lange Wartezeiten.

Deshalb rief Rod Stewart jetzt erbost während einer laufenden Fernsehdiskussion über die Krise und die Streiks im Nationalen Gesundheitsservice NHS beim Sender an. Der Rockstar, nach eigener Aussage jahrelang „selbst ein Tory“, rief zum Sturz der Regierung auf und erklärte seine Solidarität mit den streikenden Pflegekräften.

Stewart, der seine Krebserkrankung 2019 öffentlich gemacht hatte, war voller Zorn über den Zustand des Gesundheitswesens. Er bot an, die Kosten für 10 bis 20 Krankenhaus-Scans für Patienten mit Krebsverdacht zu übernehmen. »Es sterben Menschen, weil sie solche Scans nicht bekommen«, sagte der Sänger.

Wie kann das sein? Das britische Gesundheitssystem soll doch so hervorragend sein. Es wird uns doch ständig unter die Nase gerieben. Wir hierzulande seien nur Mittelmaß.

Die Briten und ihr NHS – das ist doch sonst das große Ideal der Freunde der Evidenzbasierten Medizin, der Gesundheitsökonomen und Sparfüchse. In England, ja, da werden noch Daten erhoben und wird auch auf die Kostenökonomie geachtet und nicht wie bei uns einfach nur gemacht. 

Und das finden die Soziologen, die Ökonomen und die Ungelernten, die über die Geschicke des Gesundheitswesens entscheiden, irgendwie gut. Vermutlich deshalb rangiert das britische System im Ranking der Gesundheitssysteme fast immer vor dem deutschen (zuletzt in dem des Commonwealth Fund von 2022: UK auf Platz 4, D auf Platz 5).

Für die Gesundheitsökonomen und -politiker ist der Verweis auf Unterschiede zum Ausland – mit Vorliebe UK, Schweden und Niederlande – das universelle Totschlagargument gegen die deutschen Leistungserbringer.

Aus allen Ecken von links bis rechts heißt es gewöhnlich, dass die Pro-Kopf-Kosten für Gesundheit bei uns viel höher als in Großbritannien sind. Doch niemandem aus diesen Ecken fällt auf, dass auch aus diesem Grund vor deutschen Kliniken keine Schlangen von Krankenwagen stehen, die 12 Stunden darauf warten, ihre Patienten dort einliefern zu können.

Wäre die von Herzen kommende Tirade von Rod Stewart nicht ein guter Anlass, dieses Ausland einmal realistisch zu sehen und dabei auf so manchen unseligen Vergleich einfach zu verzichten? Es muss doch nicht schlecht sein, wenn wir in Deutschland etwas anders machen als unsere Nachbarn.

Ich erinnere mich zum Beispiel, dass vor Jahren von interessierter Seite, zu der auch einige Ärzte zählten, kritisiert wurde, dass in Deutschland weniger Opioide verordnet würden als in Dänemark oder in den USA. Auch das dürfte man heute etwas anders sehen.

Ja, es stimmt auch: In Deutschland werden mehr künstliche Gelenke implantiert als z.B. in Großbritannien oder Schweden. Darunter sind auch nach meiner Meinung vermutlich einige überflüssige. Aber zu diesen TEPs made in Germany gehören auch die für jene Schweden, Engländer oder Dänen, die wegen der Wartezeit in ihrem Land mit den Füßen abstimmen und sich deshalb lieber in Kiel, Hamburg oder München ein Kunstgelenk einbauen lassen. Es gäbe also schon genug Anlass, dass diejenigen, die das deutsche Gesundheitswesen darin blamieren wollen, dass es nicht das englische ist, ein wenig zurücktreten und sagen: „Sorry, liebes deutsches Gesundheitswesen, wir hätten lieber einmal die Klappe halten sollen.“

Sie könnten sich dabei auch an eine Aussage von Peter Sawicki, dem ehemaligen Leiter des Institus für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesens (IQWIG), erinnern, der 2005 anlässlich des Presseechos auf die damalige  Vergleichsstudie  des Commonwealth Fund folgende Worte fand: „Wir fahren Mercedes, glauben aber einen reparaturbedürftigen Golf zu steuern.“ Ein realistischer Blick auch im Ländervergleich könnte daher heilsam sein. Die Briten müssten darüber nicht mal traurig sein. Denn wir haben zwar das bessere Gesundheitswesen, aber sie immer noch die bessere Popmusik.

Wir Deutsche hingegen sollten, statt es schlecht zu reden (und schlecht zu reformieren), uns lieber noch einmal darüber freuen, dass wir so ein gutes Gesundheitssystem haben. So wie es aussieht, wird es sowieso nicht mehr für lange sein.

DR. MATTHIAS SOYKA ist Orthopäde und Buchautor.
Aktuell im Buchhandel: „Dein Rückenretter bist du selbst“, Ellert&Richter / Hamburg
www.dr-soyka.de
Youtube Kanal „Hilfe zur Selbsthilfe“

In dieser Rubrik drucken wir abwechselnd Texte von Dr. Matthias Soyka, Dr. Bernd Hontschik und Dr. Christine Löber.