Husting in a winter wonderland
Kolumne
von Dr. Christine Löber, HNO-Ärztin in Hamburg-Farmsen
Wir HNO-Menschen und sicherlich auch die Hausärzt:innen und die Kinderärzt:innen kennen das. Kaum wird es kälter und nässer, werden alle krank. Das ist schon seit Äonen so, da gibt´s auch gar nicht viel drüber zu sagen, außer in der Quarkdenker-Ecke, wo alle nochmal rumschreien müssen, dass auch der augenblickliche Zustand überhaupt nichts anderes ist als die normale Infektsaison und wegen der Maskentragerei kommt.
Die Schlangen vor unserer Praxistür sind mittlerweile noch länger geworden, denn es mischen sich aktuell in ständig wechselnder Reihenfolge Covid-19-Infekte, RSV, Influenza, irgendwelche Erkältungen mit unbekanntem Erregerspektrum, Schlappheiten nach einer dieser Erkrankungen, eine Reihe von bakteriellen Klassikern und – zumindest bei uns – die typischen Ohrfolgen.
Winter ist immer die Jahreszeit des Mittelohres, aber aufgrund der diesjährigen Anzahl würde ich Quartal 4 /2022 als Tubenfunktionsstörungs-Pandemie bezeichnen wollen.
So weit, so ungut, aber im Moment kommt dazu, dass die Kinder- und Hausärzt:innen an ihr Limit kommen bzw. da sowieso schon längst sind. Jetzt stehen in unserer Schlange vor der Praxis auf einmal kleine, verschnodderte Kinder mit Husten, denen wir nicht richtig helfen können. Nein, liebe Eltern, ich kann keine Kinderlungen behandeln, es tut mir wirklich ehrlich leid.
Darüberhinaus gibt es aber auch noch die hustenden Erwachsenen, denen es eigentlich gar nicht so schlecht geht, die aber beim Hausarzt nicht so lange warten wollen, wir kennen es. Die wiederum blockieren Kapazität für die echten HNO-Kranken. Mehr Sorgen bereiten mir allerdings die tatsächlich Husten-Kranken, die nirgends unterkommen können, weil es überall voll ist.
Grund für viele Patient:innen, erstmal sauer zu werden, denn der Arzt muss ja alles wissen und können. Aber nicht nur Patient:innen denken das! Auch unsere Ruhmbekleckerten aus der Politik warten in einer Zeit völlig unzureichender Versorgung mit völlig verqueren Vorstellungen über unseren Beruf auf. Bekannt ist ja, dass die Kliniken immer voll sind. Überlegungen anstellen, warum das so ist, macht lieber keiner, könnte zu kompliziert werden. Politiker:innen ahnen, dass in den Kliniken wohl zu viele vielleicht kranke Menschen sind, was ja merkwürdig ist, Corona ist ja beendet. Muss Rumheulerei sein. Irgendwas ist ja auch immer mit der Pflege, weiß aber auch keiner genau. Mit den Ärzt:innen beschäftigt man sich nicht, die kriegen sowieso zu viel Geld, da muss man mal durchgreifen. So oder so ähnlich quietscht das Politikgehirn.
Jedenfalls muss in dieser Hustenzeit mit den Kliniken was passieren, denn es wird gemunkelt, dass da Kinder sterben, das klingt in der Zeitung nicht gut, denn Achtung: Immer an die Wähler denken.
Ha! Es ist ja ganz einfach! Die Klinik wird einfach zu den faulen Niedergelassenen geschoben, Win-win-Situation. Krankenhaus wieder gesund, Golfer werden angemessen bestraft. Hier, rupturiertes Bauchaortenaneurysma, ein klassischer Fall für den KV-Dienst, mache schon mal den Ohrsauger an.
Neupatientenregelung wird abgeschafft, dafür kommt was Neues, was dazu führt, dass die Hausärzt:innen mehr Arbeit haben und unterm Strich erstmal alle aufeinander sauer sind. Divide et impera. Rechte Tasche, linke Tasche, die Mangelverwaltung muss so tun, als wäre Medizin permanent kostenlos verfügbar.
Habe kürzlich passenderweise gelesen, dass jemand (nicht aus der Politik), sich 24/7-Praxen wünscht, weil es ja sein könnte, dass er nachts um elf mal einen Checkup braucht.
Meine Reaktion ist vorstellbar, die von Karl Lauterbach wäre hier wohl ein heftig zustimmendes Nicken (sofern der Checkup nicht GKV-finanziert ist). Wir wissen ja, dass die armen Bürgerinnen und Bürger nur deswegen so leiden müssen, weil die Arztmonster den Dienst am Patienten immer verweigern.
Zurück zum Husten. Ist in der Zwischenzeit nicht besser geworden. Masken sind sooo 2021, das lassen wir mal. Überhaupt ist es wichtig, wenn alle erdenklichen Erreger parallel durch die Gegend kreuchen und fleuchen, überhaupt keinen Infektionsschutz mehr zu betreiben. Das Immunsystem muss jetzt gestärkt werden, deshalb immer rein in den Topf mit den Krankmachern, auch alle Kinder! Parallel zu diesem Unsinn habe ich neulich im Bekanntenkreis von der Wiederauferstehung von Masern- und Windpockenparties gehört.
Fast meint man, ein bizarres Stockholm-Syndrom zu beobachten, je katastrophaler die Lage wird, desto größer wird bei einigen die Liebe zu Gruselkeimen.
Naja gut, dann geht man eben in die Apotheke und behandelt den ganzen Kram. Prävention war ja schon immer langweilig.
In der Apotheke ist Ghost Town, da gibt es nur noch Windeln und Kosmetik und sonst nichts. Hörte neulich die erschreckende Zahl von über 300 nicht lieferbaren Medikamenten. Kann selbst bestätigen, die letzte (!) Packung Pantoprazol in meiner Apotheke ergattert zu haben, brauche ich übrigens wegen meines 2022-bedingten Ulcus.
Heulende Mütter, Väter und Kinder, weil die erwähnten Mittelohrentzündungen ohne Schmerzmittel durchgestanden werden müssen, banale Bakterien werden mit Ausnahme-Antibiotika oder Abwarten und Hoffen behandelt. Beknacktheiten in den Medien sind an der Tagesordnung.
In dieser Situation springt uns jemand aus den eigenen Reihen dazwischen: Klaus Reinhardt empfiehlt Medikamentenflohmärkte. Hier, ich habe noch abgelaufenes Tavörchen, kann ich was gegen Schmerzen haben, ah Bisoprolol, klingt ganz gut.
Das ist selbstverständlich übertrieben formuliert, aber so ähnlich war die öffentliche Rezeption.
Gut, fassen wir zusammen: Ende 2022 haben alle Husten, es gibt keine Versorgung, es gibt keine Medikamente.
Das wäre alles schlimm, wenn nicht alles davon in weiten Teilen vermeidbar gewesen wäre.
Deswegen ist es noch viel schlimmer als schlimm.
DR. CHRISTINE LÖBER ist HNO-Ärztin und Buchautorin.
Aktuell im Buchhandel: „Immer der Nase nach“ (zusammen mit Hanna Grabbe), Mosaik Verlag / Hamburg
In dieser Rubrik drucken wir abwechselnd Texte von Dr. Christine Löber, Dr. Matthias Soyka und Dr. Bernd Hontschik.