11/2024 11/2024

Unvollendete Reform

Von Heike Peper und Dr. Johannes Frey

Warum es keine Weiterbildungsstellen für angehende Fachpsychotherapeut:innen gibt – und was die KV dagegen tun will.

Die ersten Jahrgänge der reformierten Psychotherapie-Ausbildung haben ihr Studium beendet, um im Anschluss die psychotherapeutische Weiterbildung zu absolvieren. Perspektivisch werden jährlich bundesweit etwa 2.500 Weiterbildungsplätze benötigt, um die Qualifikation des Nachwuchses für die psychotherapeutische Versorgung zu sichern.

Der Abschluss der Weiterbildung als Fachpsychotherapeut:in ist zukünftig Voraussetzung für die Erlangung der Fachkunde und für die Berechtigung zur Abrechnung mit den gesetzlichen Krankenkassen.

Doch trotz politischen Drucks durch Standesvertretungen und Studierende hat es die Regierung bislang versäumt, die Finanzierung der Weiterbildung gesetzlich zu verankern.

Ohne Schaffung von Weiterbildungsstellen in zugelassenen Weiterbildungsstätten wird den jungen Psychotherapeut:innen der Weg in die Niederlassung versperrt. Sie werden gezwungen, sich andere Berufsfelder zu suchen.

Das ist ein Problem, denn viele der derzeit praktizierenden Vertrags-Psychotherapeut:innen stehen kurz vor der Rente. In Hamburg haben wir derzeit einen Versorgungsgrad von nominell 159 Prozent. Berücksichtigt man nur die unter 60-jährigen Vertrags-Psychotherapeut:innen, sackt der Versorgungsgrad auf 85 Prozent ab. Es ist also notwendig, schon jetzt zu handeln, da andernfalls die Gefahr besteht, dass sich die Versorgungsengpässe in nicht allzu langer Zeit massiv verschärfen.

Der beratende Fachausschuss Psychotherapeutische Versorgung der KV Hamburg hat eine Arbeitsgruppe eingesetzt, um ein Konzept für die psychotherapeutische Weiterbildung aus Mitteln des Strukturfonds zu entwickeln.

Oberstes Ziel war, die psychotherapeutische Weiterbildung in ambulanten Praxen überhaupt erst in Gang zu bringen. Und es war klar: Wenn wir keine auskömmliche Finanzierung anbieten, werden sich die Praxen nicht auf die Schaffung von Weiterbildungsstellen einlassen können. Möglichst viele Weiterbildungsstätten mit geringen Beträgen zu fördern, wäre nicht zielführend. Deshalb sieht die Richtlinie nun die Förderung weniger Stellen vor, dies aber mit einer kostendeckenden Summe.

Dabei war uns wichtig, dennoch das gesamte Spektrum der Weiterbildung abzudecken: Es wird jeweils gesonderte Förderun­gen für die Weiterbildung zur Fach­psychotherapeut:in für Erwachsene und zur Fach­psycho­therapeut:in für Kinder und Jugendliche geben – und dies in allen vier Psychotherapieverfahren (Systemische Therapie, Verhaltenstherapie, Tiefenpsychologisch fundierte Psychotherapie und Analytische Psychotherapie). Hinzu kommt eine Förderung für die Weiterbildung zur Fachpsychotherapeut:in für Neuropsychologische Psychotherapie.

Damit kommen wir auf insgesamt 20 Vollzeit-Stellen, die pro Monat mit 2.700 Euro gefördert werden. Die Förderung läuft in derselben Weiterbildungseinrichtung maximal zwei Jahre lang. Das entspricht der Vorgabe, dass von der insgesamt fünfjährigen Weiterbildungszeit zur Fachpsychotherapeut:in mindestens zwei Jahre im ambulanten Bereich stattfinden müssen.

Bis es eine gesetzliche Regelung zur Finanzierung der Weiterbildung in Praxen gibt, stellt die KV für die Förderung im psychotherapeutischen Bereich insgesamt 648.000 Euro pro Jahr aus Mitteln des Strukturfonds zur Verfügung.

Zum Hintergrund: Die Psychotherapie-Ausbildung wurde reformiert, um offensichtliche Missstände zu beheben. Bisher schloss sich an das Studium eine Ausbildung zur Psychologischen Psychotherapeut:in (PP) bzw. zur Kinder- und Jugend­lichenpsychotherapeut:in (KJP) an.

An deren Ende stand sowohl die Approbation als auch die Fachkundeprüfung. Damit konnte man die Berufsbezeichnung Psycho­therapeut:in führen, Patient:innen behandeln und mit den gesetzlichen Krankenkassen abrechnen (siehe Grafik unten).
Allerdings wurden die angehenden Psychotherapeut:innen (PiA) während der verpflichtenden praktischen Tätigkeit in psychiatrischen bzw. psychosomatischen Kliniken (18 Monate) wie Praktikant:innen behandelt. Das Psychotherapeutengesetz hatte diese verpflichtende Tätigkeit als Praktikum definiert, obwohl die Kolleg:innen bereits über einen Studienabschluss verfügen.

Sie waren nicht sozialversicherungspflichtig angestellt, hatten keinen Anspruch auf ein Gehalt oder mussten eine (geringe) Vergütung in langjährigen Protesten erstreiten.
Ausfallzeiten beispielsweise durch Krankheit oder Schwangerschaft in der praktischen Tätigkeit waren nicht geregelt und gefährdeten oftmals den Abschluss. Gleichzeitig wurden PiA in der Regel in den Kliniken in die Patient:innen-Versorgung integriert und übernahmen verantwortungsvolle Tätigkeiten. Auch während der ambulanten Behandlungsphase blieb die finanzielle Situation der PiA vielfach prekär.
Für die bisherige Ausbildung gilt noch eine Übergangszeit bis 2032, deshalb befinden sich auch heute noch viele PiA in dieser prekären Situation.

Im Jahr 2019 wurde der Qua­li­fikations­weg für Psycho­thera­­peut:innen an den der Medi­zi­ner:innen angepasst: Im re­for­mierten Ausbildungsgang steht am Ende des Psychotherapie-Studiums die Approbation. Daran schließt sich eine Fachweiterbildung an – nicht als gering vergütete Praktikumszeit, sondern als eine in hauptberuflicher, sozialversicherungspflichtiger Anstellung zu absolvierende Weiterbildung.

Die nach neuem Recht qualifizierten Psychotherapeut:innen können, da sie wie Ärzt:innen ihr Studium mit einer Approbation abschließen, jetzt auch offiziell eigenständig verantwortliche Tätigkeiten ausüben – unter Anleitung und im Rahmen eines definierten Weiterbildungsrechts. Und sie werden ebenso wie die ärztlichen Weiterbildungsassistent:innen bezahlt.

Soweit die Theorie. Doch diese psychotherapeutischen Weiterbildungsstellen gibt es bisher noch nicht, weil die Finanzierung fehlt. Die Politik hat den Ausbildungsweg reformiert und gesagt: „Die Weiterbildung regeln wir später.“ Aber später war gestern – es müssen jetzt Stellen finanziert werden! Die Berechnungen der tatsächlichen Kosten liegen vor, doch das Bundesministerium verweigert sich weiterhin dem dringenden Handlungsbedarf.

Die Absolvent:innen des neuen Studiengangs dürfen zwar die Berufsbezeichnung Psychotherapeut:in führen. Doch sie haben noch kein psychotherapeutisches Verfahren gelernt und können keine Richtlinienpsychotherapie durchführen. Sie brauchen zwingend die Weiterbildung zum Erwerb von vertieften Fachkenntnissen und Handlungskompetenzen – mit theoretischer und praktischer Weiterbildung, Supervision und Selbsterfahrung – und sie brauchen dafür einen finanziell abgesicherten Rahmen.

Derzeit gibt es in Hamburg nur eine zugelassene Weiterbildungsstätte – die aber aktuell noch keine Weiterbildung anbietet.

Anders als im ärztlichen Bereich sind die Weiterbildungs-Angebote nicht unzureichend, sondern die Weiterbildung muss völlig neu aufgebaut werden.

Die von der KV Hamburg nun freigegebene Weiterbildungsförderung von 2.700 Euro pro Weiterbildungsstelle ist so kalkuliert, dass sie die finanzielle Deckungslücke für die Einrichtung von Weiterbildungsstellen schließt.

Durch diese Ausfinanzierung der 20 Weiterbildungsstellen in psychotherapeutischen Praxen ergibt sich die Möglichkeit, zur Qualifizierung der nachrückenden Psychotherapeut:innen beizutragen und sie für die Arbeit in der ambulanten Versorgung zu begeistern.

Wir danken allen Kolleg:innen, die bereit sind, sich für die Qualifikation des für die ambulante Versorgung benötigten psychotherapeutischen Nachwuchses zu engagieren. Nicht nur Praxen und MVZ, sondern auch bisherige Ausbildungsinstitute und einige Kliniken arbeiten bereits an Konzepten, um Psychotherapeut:innen in Weiterbildung anzustellen.

Wir haben in Hamburg viele Einrichtungen, die große Kompetenz, viel Erfahrung und gute Strukturen vorweisen können. In der Weiterbildungsordnung ist explizit die Möglichkeit von Kooperationen vorgesehen. So könnten beispielsweise Einrichtungen, in denen Versorgung stattfindet, mit Einrichtungen kooperieren, in denen die in der Weiterbildungsordnung geforderte Theorie unterrichtet wird.
Die Förderung von Weiterbildungsstellen für angehende Fach­psychotherapeut:innen aus den Mitteln des Strukturfonds kann nur eine Anschubfinanzierung sein. Sie läuft, bis es eine gesetzliche Regelung gibt.

Wir hoffen, dass die Finanzierung der psychotherapeutischen Weiterbildung bereits im Gesundheitsversorgungsstärkungsgesetz (GVSG) berücksichtigt wird.
Es war notwendig und wir sind froh, dass die Psychotherapie-Ausbildung reformiert worden ist. Doch nun müssen die Strukturen und finanziellen Grundlagen geschaffen werden, um die Reform zum Abschluss zu bringen.

Die KV Hamburg hat Informa­tio­nen zur Förderung an die Psycho­therapeut:innen verschickt.

DIPL.-PSYCH. HEIKE PEPER
ist Präsidentin der Psychotherapeutenkammer Hamburg und niedergelassen in Altona. Sie war Mitglied der KV-Arbeitsgruppe, die das Förderkonzept für die psychotherapeutische Weiterbildung entwickelte.

DR. JOHANNES FREY
ist stellvertretender Vorsitzender der KV-Vertreterversammlung und niedergelassen in Eppendorf. Er war ebenfalls Mitglied der Arbeitsgruppe.

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