11/2023 11/2023

"Befundaustausch ist noch immer das Hauptproblem"

Schnittstellen

Wie könnte die Kommunikation zwischen Hausärzten und Spezialisten verbessert werden? Wir haben die Vertreter der beiden Versorgungsebenen nach ihren Erfahrungen, Wünschen und Vorschlägen gefragt.

Welche Informationen braucht ein Spezialist, wenn er einen Patienten vom Hausarzt überwiesen bekommt?

Flamm: Die Fragestellung des Hausarztes sollte so konkret wie möglich sein. Ich gebe Ihnen ein Beispiel aus meinem Fachbereich: Wenn wir nur die Information „Sehstörung“ bekommen, wissen wir nicht: Wie dringend ist das? Es wäre sinnvoller zu schreiben: „Patient ist zunehmend blend­empfindlich“ – dann kann er eventuell auch noch eine Woche warten. Oder „Patient sieht Blitze und Rußschwaden“ – dann wird er noch am gleichen Tag untersucht. Ich würde sagen: Eine präzise Fragestellung ist die wichtigste Grundlage beim Übergang von der hausärztlichen zur fachärztlichen Versorgung. Wenn klar ist, was der Hausarzt genau wissen will, hilft uns das bei der Einschätzung der Dringlichkeit, bei der Diagnostik und später auch beim Verfassen des Arztbriefes. Außerdem ist natürlich wichtig, dass wir die für das Thema relevanten Vorbefunde erhalten, die dem Hausarzt vorliegen.

Wie kommen Sie an die Vorbefunde?

flamm: Das kann ziemlich umständlich sein. Ich habe immer wieder die Situation, dass ein Patient vor mir sitzt und beispielsweise sagt: „Vergangene Woche hat mein Hausarzt ein Blutbild gemacht.“ Dieses Blutbild würde ich gerne sehen, weil ich wissen möchte: Hat der Patient erhöhte Entzündungszeichen? Ich bitte also meine MFA, in der Hausarztpraxis anzurufen. Meine MFA muss es ein paar Mal probieren, weil besetzt ist. Irgendwann erreicht sie eine MFA auf der anderen Seite, die aber noch mit dem Hausarzt kommunizieren muss, damit dieser den Befund freigibt. Das kann schon mal 25 Minuten dauern. Und dann bleibt noch die Frage: Auf welchem Weg wird der Befund übermittelt?

Müller-Glamann: Ich habe auf dem Computer einen Knopf, mit dem ich ein Fax rausschicken kann: „Ich brauche Informationen über unseren gemeinsamen Patienten XY. Sie können mir antworten per FAX, per E-Mail, per Messenger. Und das hier ist meine KIM-Adresse.“ Viele Praxen reagieren allerdings nicht auf diese Anfrage. Bei manchen ist KIM falsch eingestellt, so dass ich zwar eine KIM-Nachricht erhalte, aber den Befund nicht öffnen kann.

Aber grundsätzlich ist KIM der beste Weg, um Informationen zu schicken?

Müller-Glamann: Herr Flamm und ich haben in Vorbereitung auf dieses Gespräch versucht, per KIM zu kommunizieren. Das ist schon daran gescheitert, dass die KIM-Adressen der Kolleginnen und Kollegen nicht zu finden sind.

Flamm: Ja, wir haben sehr gelacht. Für KV connect findet man die Adressen. Aber wir würden natürlich gerne den Kommunikationsweg nutzen, an den alle Kolleginnen und Kollegen verlässlich angeschlossen sind.

Dr. med. Clemens Flamm

Was bedeutet es für den Arbeitsalltag, dass KIM oftmals nicht nutzbar ist?

flamm: Unter den gegebenen Umständen ist es das Beste, wenn der Hausarzt dem Patienten die Befunde und Bilder aushändigt. Doch der Patient muss sie dann auch vollständig mitbringen, und das ist nicht immer der Fall. Manche Dokumente kann man per FAX schicken, doch auch das funktioniert manchmal nicht reibungslos. Wir hängen also noch immer in einer vorsintflutlichen Kommunikationsstruktur fest, die wir eigentlich längst verlassen haben wollten.

Müller-Glamann: Damit Ärzte und Krankenhäuser untereinander geschützt kommunizieren können, wurde die Telematikinfrastruktur eingerichtet – doch die ist mangelhaft hoch fünf. Es gibt private Anbieter, die sehr gute Apps anbieten. Und auch manche Ärztenetze haben funktionierende digitale Kommunikationswege. Der offizielle Kommunikationsweg ist aber nun mal die KIM. Es könnte so einfach sein: Ich gehe auf die Seite der KV Hamburg. Im geschlossenen Bereich der Arztsuche gebe ich „Clemens Flamm“ ein, dann bekomme ich seine Kontaktdaten mitsamt der KIM-Adresse. So müsste das laufen.

Flamm: Ja, das wäre prima. Allerdings müsste vereinbart werden, dass die Praxen ihre Nachrichten auch zeitnah abrufen, damit ein schneller Austausch sichergestellt ist. Wenn das funktionieren würde, wäre es für die Kommunikation zwischen Hausärzten und Fachärzten ein großer Fortschritt.

Welche Erfahrung haben Sie mit den TSVG-Vermittlungsfällen gemacht?

Müller-Glamann: Ich finde, das System der Hausarzt-Vermittlungsfälle funktioniert ganz gut. Auch die Vermittlung über die TSS läuft ziemlich reibungslos. Allerdings würde ich mir wünschen, dass manche Facharztgruppen mehr Termine einstellen. Leider kommt es noch immer vor, dass Patienten zurück in die Hausarztpraxen geschickt werden, damit sie sich einen TSS-Dringlichkeits-Code holen. Diesen Patienten wird in der Facharztpraxis gesagt: „Wir behandeln Sie nur, wenn Sie einen Dringlichkeits-Code haben.“ Oder: „Mit Dringlichkeits-Code bekommen Sie einen Termin in zwei Wochen, ohne Dringlichkeits-Code in sechs Monaten.“

Flamm: Es gibt in jeder Berufsgruppe einen kleinen Teil, der sich nicht an die Regeln hält. Diese Leute gehen ihren Kolleginnen und Kollegen gehörig auf die Nerven und machen die Systeme kaputt. Irgendwann gibt es eine große Welle und dann eine Neuregelung – und alle anderen sind mitbestraft. Patienten dürfen vom Facharzt nicht aufgefordert werden, sich einen Dringlichkeitscode zu holen! Wenn der Hausarzt selbst für seine Patienten eine Dringlichkeit sieht, sollte er aber auch einen Dringlichkeitscode generieren oder die TSS nutzen.

Wie sieht ein guter Arztbrief aus?

Müller-Glamann: Ich muss den Arztbrief schnell erfassen können. Länger als 30 Sekunden möchte ich mich bei einem normalen Patienten nicht mit diesen Informationen beschäftigen müssen. Das heißt konkret: Am Anfang des Briefes sollten die Diagnosen stehen. Dann: Warum er da ist? (Zum Beispiel: „Kommt mit Atemnot.“) Dann: Welche Medikamente hat er? Und: Und was ist der weitere Plan?

Dr. med. Mike Müller-Glamann

Was genau wollen Sie zu den Medikamenten wissen?

Müller-Glamann: Ich würde mir eine Liste wünschen mit einer Kennzeichnung der Neuerungen. Und darunter: „Medikament XY in zwei Wochen kontrollieren und dann anpassen.“ Wenn eine Therapieänderung vorgenommen wird, muss ich als Hausarzt das wissen. Natürlich wäre es toll, wenn es dafür ein elektronisches System gäbe: Der Spezialist drückt auf eine Taste und schickt eine KIM-Nachricht an den Hausarzt: „Herr Meyer kriegt jetzt Spironolacton doppelte Dosis morgens.“ Man kann natürlich auch einen QR-Code des Medikationsplans auf den Arztbrief bringen. Ein Traum wäre es, wenn die Krankenhäuser das umsetzen würden. Die Krankenhäuser nehmen ja immer viele Änderungen vor – und die müssen wir bisher mühevoll per Hand eintippen. Wenn auf dem Brief ein QR-Code wäre, könnte ich ihn einfach scannen – und die Daten werden automatisch auf meinen Rechner übertragen und in den Medikationsplan übernommen.

Flamm: Bei der Zusammenarbeit zwischen Hausärzten und Augenärzten haben wir in einigen Bereichen schlanke Papier-Lösungen, die möglicherweise in Zukunft auch digitalisiert werden könnten. Bei Diabetikern zum Beispiel wollen die Hausärzte wissen: Gibt es Schäden am Augenhintergrund? Dafür haben wir ein Protokoll, das Hausärzte und Augenärzte kennen. Wir kreuzen drei Kästchen an – und geben das Blatt dem Patienten wieder mit. Bei den DMP haben die Hausärzte ein Protokoll, das vorgibt, was gemacht werden muss. Da setzen wir als Augenärzte nur ein Häkchen. Es geht den Hausärzten hier nur um diese eine Information. Was die Bestandteile eines normalen Standard-Arztbriefes angeht, stimme ich Herrn Müller-Glamann zu. Das sollten kurze, schnell zu erfassende Informationen sein. Und, selbstverständlich: Wenn der Facharzt eine Therapie ansetzt oder ändert, muss der Hausarzt darüber informiert werden. Das ist ganz wichtig.

Was passiert, wenn die Fragestellung des Hausarztes beim Spezialisten nicht geklärt werden kann und ein weiterer Spezialist zu Rate gezogen werden muss?

Müller-Glamann: Wir Hausärzte finden es natürlich nicht so toll, wenn unser Patient von einem Spezialisten zum nächsten Spezialisten überwiesen wird. Ein Patient beispielsweise, den ich wegen Luftnot zum Kardiologen schicke, sollte von dort aus nicht direkt an den Lungenfacharzt durchgereicht werden. Der Kardiologe weiß ja gar nicht, ob der Patient zuvor schon beim Lungenarzt war und nun in ein endloses Facharztkarussell gerät. Wir koordinieren die Versorgung. Deshalb ist es besser, wenn der Patient mit einem Vorschlag zur weiteren Diagnostik im Arztbrief zu uns zurückgeschickt wird.

Flamm: Ja, das handhaben wir normalerweise auch so. Nur wenn es sich um einen dringenden Fall handelt, schicke ich ihn direkt zu einem anderen Spezialisten oder in die Notaufnahme. Ob ich den Hausarzt darüber sofort informiere, hängt davon ab, ob ich das Gefühl habe, dass er dies gerne möchte. Ansonsten ist meines Erachtens eine Kommunikation am Ende des Prozesses ausreichend, wenn der Patient wieder zum Hausarzt geht.

Ist es in Ordnung, wenn der Facharzt die Aufgabe, dem Patienten die Diagnose zu erklären, auf den Hausarzt abschiebt?

Müller-Glamann: Nein, natürlich nicht. Wenn der Facharzt die Diagnose stellt, fällt es in seine Zuständigkeit, sie dem Patienten zu erläutern.

Flamm: Wer die Diagnose stellt, muss sie erklären. Ist doch klar. Das Problem kennen wir auch aus dem Krankenhaus, wo der Patient auf eine Frage während der Visite manchmal zu hören bekommen: „Ne, ne, das erklärt Ihnen dann Ihr niedergelassener Arzt.“ Allerdings kann es vorkommen, dass man ausgiebig mit dem Patienten spricht und später trotzdem noch Fragen auftauchen. Manchmal braucht der Patienten dieselbe Erklärung zweimal oder nochmal in anderen Worten. Manchmal möchte der Patient, dass der Hausarzt sagt: „Ja, ich sehe das genauso wie der Facharzt. Machen Sie das mal so.“

Wer ist für die Veranlassung der Labordiagnostik zuständig, wenn ein Patient von mehreren Ärzten behandelt wird?

Flamm: Grundsätzlich gilt: Wer das Laborergebnis für seine Untersuchung oder Diagnostik benötigt, ist für die Blutabnahme und die Veranlassung der Labordiagnostik zuständig. Manchmal haben Ärztinnen und Ärzte Angst um ihren Wirtschaftlichkeitsbonus. Wenn man die Veranlassung von Labordiagnostik an die Kollegen abschiebt, ist das aber natürlich unfair. Es gibt allerdings manchmal bereits Vorbefunde, und wenn wir die bekämen, würden wir die Zeit und das Geld für eine erneute Labordiagnostik sparen. Außerdem ist zum Beispiel bei einer präoperativen Diagnostik die Beurteilung des Hausarztes sehr hilfreich, da er den Patienten oft viel länger und besser kennt.

Müller-Glamann: Das Gesamtbild der Laborwerte zusammenzuführen, die für einen bestimmten Patienten bei verschiedenen Ärzten erhoben wurden, ist allerdings meines Erachtens fast unmöglich. Deshalb würde ich das Blut immer bei mir in der Praxis abnehmen lassen – auch wenn das auf Kosten meines Laborbudgets geht. Nicht alle Hausärzte sehen das so. Ich möchte den Verlauf der Werte über Jahre hinweg im Blick behalten können. Ideal wäre, wenn ich die von einem Spezialisten veranlassten Laborwerte über einen Zugangscode direkt vom Labor abrufen könnte, so dass diese automatisch in mein Praxisverwaltungssystem eingehen. Ich hoffe, dass die Hamburger Labore eine solche Funktion für die Hausärzte bald anbieten.

Flamm: Das Hauptproblem bei der Zusammenarbeit zwischen Hausärzten und Fachärzten ist also nach wie vor der Befundaustausch: Irgendwo wurde eine Labordiagnostik veranlasst oder eine MRT gemacht. Das würde mich interessieren. Wie komme ich da ran? Herr Müller-Glamann und ich wollen darauf hinwirken, dass die KIM-Adressen in Hamburg bald leichter zugänglich werden. Dann testen wir, wie man mit der KIM in Hamburg auf eine pragmatische Weise umgehen könnte. Eventuell können wir auch schon bald neue Dienste wie den Messenger ausprobieren. Wir werden dann im KVH-Journal über unsere Erfahrungen berichten.