11/2022 11/2022

Fieber senken bei Kindern und Erwachsenen: Ab wann ist es sinnvoll?

Aus dem Netzwerk evidenzbasierte Medizin

Von Prof. Dr. med. Johannes Forster und Prof. Dr. med. Stefan Sauerland im Auftrag des Netzwerks Evidenzbasierte Medizin (www.ebm-netzwerk.de)

Fieber als Krankheitszeichen wird in der Bevölkerung einerseits als hilfreich und andererseits als bedrohlich wahrgenommen: Während einige Patientinnen und Patienten glauben, Fieber könne Krankheitserreger im Körper quasi „verbrennen“, denken andere, das Senken des Fiebers vermindere oder verkürze die Krankheit und beuge Komplikationen vor – insbesondere bei Kindern.

Auch die ärztliche Meinung changiert zwischen diesen beiden Extremen. Aus physiologischen Untersuchungen weiß man, dass Fieber die Immunabwehr des Körpers stimuliert. Und die Infektionsforschung hat zeigen können, dass Fieber auf Viren zum Teil hemmend wirkt. Auf der anderen Seite erhöht Fieber den Energieverbrauch des Körpers deutlich und kann bei sehr hohen Körpertemperaturen aufgrund von Hitzestau zu Fieberkrämpfen, Organschäden und – im Extremfall – auch zum Tod durch Hitzschlag führen [1].

Daher ist unbestritten, dass Fiebersenkung in bestimmten Fällen sinnvoll ist. Zur Anwendung kommen meist physikalische Maßnahmen, z.B. Wadenwickel, und Arzneimittel, z.B. Paracetamol.

Im ärztlichen Alltag jedoch taucht vor allem eine Frage immer wieder auf: Ab welcher Körpertemperatur sollte Fieber gesenkt werden? Gibt es neben der Temperatur andere Indikationskriterien?

Um diese Frage evidenz-basiert beantworten zu können, kann es notwendig sein, zwischen Säuglingen und Kleinkindern einerseits sowie Jugendlichen und Erwachsenen andererseits zu unterscheiden.

Fiebersenkung bei Erwachsenen: Beliebt, aber nicht evidenz-basiert

Auf fast allen deutschen Intensivstationen erfolgt eine medikamentöse Fiebersenkung regelhaft, wie eine Umfrage 2016 zeigte [2]. Auf zwei Drittel der Stationen wird Fieber indikationsspezifisch behandelt, bei einem Drittel erfolgt die antipyretische Therapie unabhängig von der Grunderkrankung. Als Temperaturgrenzwerte zur Indikationsstellung wurden am häufigsten 38,5°C oder 39°C verwendet, aber es gab Intensivstationen, die schon ab 37,5°C oder erst ab 40°C das Fieber senkten.

Die große Behandlungsvielfalt lässt vermuten, dass klare evidenz-basierte Behandlungskonzepte bislang fehlen, sodass die Autorengruppe weitere Studien zu Nutzen und Schaden der fiebersenkenden Therapie „für dringend erforderlich“ hielt.

Die wissenschaftliche Datenlage zur Fiebersenkung bei Erwachsenen wurde im Juli 2022 systematisch aufgearbeitet [3]. In einer Metaanalyse von 16 randomisiert kontrollierten Studien zeigte sich kein Effekt auf die Sterblichkeit (relatives Risiko [RR] 1,04; 95%-Konfidenzintervall [95%-KI] 0,90 bis 1,19) und auch kein Effekt auf schwere unerwünschte Ereignisse (RR 1,02; 95%-KI 0,89 bis 1,10).

Die Mehrzahl der knapp 2000 analysierten Personen wies eine Sepsis auf, oft lag die Körpertemperatur bei Studieneinschluss aber nur bei mindestens 38°C oder 38,5°C. Die Körpertemperatur wurde in den Interventionsgruppen dieser Studien um gut 1°C gesenkt – meist pharmakologisch, zum Teil aber auch physikalisch.

Insgesamt aber führte die antipyretische Wirksamkeit der Behandlung zu keinerlei erkennbarem Nutzen. Als nächster Schritt denkbar wäre nun eine Studie, in der erst bei sehr hoher Körpertemperatur oder klinischen Warnsignalen mit der Fiebersenkung begonnen wird.

Fiebersenkung bei Kindern: Hausmittel nutzlos?!

Wenn schon bei Erwachsenen die Evidenz zur Fieberbehandlung schwach ist, so darf man hierzu bei Kindern nicht mehr erwarten.

Green und Kollegen verglichen 2021 alle weltweit verfügbaren Leitlinien zur symptomatischen Behandlung von kindlichem Fieber und fanden erschreckend viel widersprüchliche Empfehlungen [4]. Von den 69 Leitlinien empfahlen 22 die Körpertemperatur als Indikationskriterium für die Fiebersenkung, während 32 ein symptom­orientiertes Handeln und 12 eine Kombination beider Kriterien anrieten. Dass eine antipyretische Medikation Krampfanfälle vermeiden helfe, wurde in 10 Leitlinien behauptet, wohingegen 26 Leitliniengruppen das Gegenteil für korrekt hielten.

Relativ einig waren sich die Leitliniengruppen nur darin, dass im Bedarfsfall primär Paracetamol gegeben werden sollte. Kontrovers wiederum war die Einschätzung der physikalischen Fiebersenkung (feuchte lauwarme Waschlappen oder Wickel), was jeweils in etwa der Hälfte der Leitlinien empfohlen oder nicht empfohlen wurde. Welche Evidenz aber gibt es für all diese Empfehlungen?

Klinische Studien zu Indikationskriterien für eine Fiebersenkung bei Kindern mit einfachen Infektionskrankheiten gibt es kaum, sodass mangels Evidenz hier ärztliches Ermessen und elterliche Sorgfalt allein entscheiden müssen.

Die Deutsche Gesellschaft für Kinderheilkunde und Jugendmedizin konstatiert, dass es eine „absolute Grenze, ab der eine Fiebersenkung notwendig ist“, nicht gibt [5].

Und der Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte [6] rät Eltern dazu, erst bei einer „Temperatur deutlich über 39°C [5] in Absprache mit dem Kinder- und Jugendarzt fiebersenkende Mittel (z.B. mit Ibuprofen oder Paracetamol)“ anzuwenden [6].

Ob sich über Antipyrese Fieberkrämpfe vermeiden lassen, ist nicht sonderlich gut untersucht, antipyretische Therapie sollte aber nicht primär zu diesem Zweck eingesetzt werden.

Anhand relativ guter Evidenz hingegen lässt sich erkennen, dass eine physikalische Fiebersenkung nur kurzfristige Wirkungen erzielt und damit für die Behandlung nicht hilfreich ist.

Die hochwertige britische Leitlinie rät bereits seit 2007, sich auf das Vermeiden von Auskühlen wie auch Überhitzen des fiebernden Kleinkinds zu konzentrieren [7]. Einzelne Studien zeigen auch, dass eine Fiebersenkung die Krankheitsdauer nicht verkürzt [8].

Fazit

Der Nutzen einer Fiebersenkung bei Kindern und Erwachsenen ist bislang fraglich, sodass das Thema kontrovers und emotional diskutiert wird (auch vor dem Hintergrund der aktuellen Lieferengpässe für Paracetamol-Saft).

Solange aussagekräftige Daten fehlen, muss die derzeitige Behandlungspraxis insbesondere bei Kleinkindern zum Teil als unnötige Übertherapie gewertet werden, weil das Vermeiden von Hitzestau meist ausreicht.

Die Datenlage rechtfertigt es, auf eine physikalische Fiebersenkung regelhaft zu verzichten und die antipyretische Medikation je nach Allgemeinzustand der fiebernden Person erst bei höherer Körpertemperatur und Erkrankungsschwere einzusetzen.

Keinesfalls dürfen Hinweise auf eine zugrundeliegende schwere Erkrankung übersehen werden, z.B. ungewöhnliche Hautfarbe/Ausschläge, Berührungsempfindlichkeit, Exsikkose oder (bei Kindern) schrilles Schreien [5,6].

Selbstverständlich erfordert dies eine angemessene Beratung von Patientin oder Patient bzw. Eltern über die Vor- und Nachteile von Fieber und Fiebersenkung: Fieber ist eine sinnvolle Reaktion des Körpers bei Infektionen. Fiebersenken täuscht eine Besserung der Erkrankung vor und verleitet somit zu Fehleinschätzungen. Fiebersenken macht nicht gesund und auch nicht schneller gesund. Auch hohes Fieber stellt in aller Regel keine Gefahr dar. Wichtiger als die Höhe des Fiebers ist, wie es der Person mit Fieber geht.

PROF. DR. MED. JOHANNES FORSTER
ehem. Chefarzt der Klinik für Kinder- und Jugendmedizin mit Neonatologie, St. Josefskrankenhaus (RKK Klinikum), Freiburg im Breisgau

PROF. DR. MED. STEFAN SAUERLAND
Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen (IQWiG), Köln

Kontakt: redaktion@kvhh.de

Literatur:

1) Gilbert R, Rudd P, Berry PJ, Fleming PJ, Hall E, White DG, Oreffo VO, James P, Evans JA. Combined effect of infection and heavy wrapping on the risk of sudden unexpected infant death. Arch Dis Child 1992; 67: 171-7. doi: 10.1136/adc.67.2.171.

2) Stueber T, Vakulya B, Gillmann HJ,·Leffler A: Die Anwendungspraxis von Metamizol und Paracetamol bei der antipyretischen Therapie auf Intensivstationen deutscher Universitätskliniken – eine webbasierte Umfrage. Anästh Intensivmed 2019; 60: 5-10. https://www.ai-online.info/archiv/2019/01-2019.html

3) Holgersson J, Ceric A, Sethi N, Nielsen N, Jakobsen JC: Fever therapy in febrile adults: systematic review with meta-analyses and trial sequential analyses. BMJ 2022; 378: e069620. doi: 10.1136/bmj-2021-069620.

4) Green C, Krafft H, Guyatt G, Martin D: Symptomatic fever management in children: A systematic review of national and international guidelines. PLoS One 2021; 16(6): e0245815. doi: 10.1371/journal.pone.0245815.

5) Deutsche Gesellschaft für Kinderheikunde und Jugendmedizin: Elterninformation „Mein Kind hat Fieber“ https://www.dgkj.de/eltern/dgkj-elterninformationen/elterninfo-fieber (Zugriff 20.9.2022)

6) Berufsverband der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ): Fieber. https://www.kinderaerzte-im-netz.de/krankheiten/fieber/ (Zugriff 20.09.2022)

7) National Institute for Health and Care Excellence (NICE): Fever in under 5s: assessment and initial management (NICE guideline [NG143]) Last updated: 26 November 2021 https://www.nice.org.uk/guidance/ng143/chapter/Recommendations#antipyretic-interventions

8) Purssell E, While AE. Does the use of antipyretics in children who have acute infections prolong febrile illness? A systematic review and meta-analysis. J Pediatr 2013; 163(3): 822-7. e1-2. doi: 10.1016/j.jpeds.2013.03.069.