10/2024 10/2024

Bereitschaft zur Organspende weiterhin unzureichend

von Dr. Thomas Stolz

Die Politik, aber auch Haus-, Kinder- und Jugendärzte sind gefordert   

Die Zahlen sind ernüchternd. In Deutschland sterben täglich drei Menschen, weil sie kein dringend benötigtes Spenderorgan erhalten. Die Situation ist schlechter als vor 25 Jahren.

Laut dem Jahresbericht 2023 der Deutschen Stiftung für Organtransplantation (DSO) standen etwa 8.400 Patienten auf der Warteliste für ein Organ, während nur 2.877 Spenderorgane transplantiert wurden. Im ersten Quartal 2024 ist die Zahl der Organspender erneut um 6 Prozent gesunken. Damit schneidet Deutschland auch im europäischen Vergleich schlecht ab: In Spanien kommen auf eine Million Einwohner 47 Organspender, in Frankreich 25,8, in Österreich 24,4. In Deutschland sind es nur 10,4.

Über 8.000 Patienten warten derzeit in Deutschland auf ein Spenderorgan.
In Deutschland gilt bisher und auch zunächst weiterhin die Entscheidungslösung. Eine Organ- oder Gewebeentnahme darf nur erfolgen, wenn die verstorbene Person dem zu Lebzeiten zugestimmt hat oder stellvertretend die nächsten Angehörigen nach dem Tod der Person ihre Zustimmung erteilen.
Da jedoch die Erwartungen an eine Erhöhung der Organspenden trotz deutlich intensivierter Öffentlichkeitsarbeit sowie der Einführung eines frei zugänglichen Organspende-Registers nicht annähernd erfüllt wurden, hat die Diskussion über die Widerspruchsregelung wieder an Fahrt aufgenommen.

In einer Entschließung vom 15. Dezember 2023 (BRat-Drs. 582/23) forderte der Bundesrat die Bundesregierung auf, einen Gesetzentwurf zur Einführung der Widerspruchsregelung vorzulegen.
Bislang ist die Bundesregierung dieser Aufforderung nicht nachgekommen. Nordrhein-Westfalen hat daher die Initiative ergriffen und zusammen mit anderen Bundesländern den „Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Transplantationsgesetzes und Einführung der Widerspruchslösung“ (BRat-Drs. 278/24) in den Bundesrat eingebracht. Dieser hat den Entwurf am 14. Juni 2024 behandelt und an den zuständigen Gesundheitsausschuss verwiesen.

Unabhängig davon wurde am 24. Juni 2024 auf einer Pressekonferenz von Bundestagsabgeordneten aller Fraktionen, mit Ausnahme der AfD, ein Gruppenantrag zur „Einführung einer Widerspruchsregelung im Transplantationsgesetz“ vorgestellt.
Die Widerspruchsregelung wird manchmal als Verstoß gegen die Würde des Menschen kritisiert (so etwa Augsberg/Dabrock, S. 7 „Organabgabeerwartung mit Widerspruchsvorbehalt“).

Diese Kritik überrascht, da die Widerspruchsregelung in vielen europäischen Ländern seit langem angewendet wird. Einige dieser Länder sind Teil des „Eurotransplant“-Systems, wodurch Organe aus Ländern mit Widerspruchsregelung auch an Patienten in Deutschland vermittelt werden.
Das bedeutet, dass einem Patienten in Deutschland ein Organ aus dem Ausland vermittelt werden kann, das nach aktuellem deutschem Recht nicht entnommen werden dürfte. Ist somit Organspende ein Beispiel für „medical foreign shopping“?

Dies ist nur eine der vielen moralischen Fragwürdigkeiten des deutschen Medizin- und Gesundheitsrechts.
Doch selbst, wenn eines Tages die Widerspruchsregelung gesetzlich eingeführt werden sollte, wird bis dahin noch viel Zeit vergehen. Zeit, die vielen Patienten nicht mehr bleibt. Deshalb ist es jetzt umso wichtiger, die bestehenden Instrumente der Öffentlichkeitsarbeit zur Organspende noch konsequenter zu nutzen.

Die Bevölkerung sollte verstärkt über die Sinnhaftigkeit, Dringlichkeit und die Wege zur Organspende informiert werden, um Ängste abzubauen und das Vertrauen in das System zu stärken.
Hier sind insbesondere auch die Haus-, Kinder und Jugendärzte gefragt.
Denn laut dem Transplantationsgesetz sollen Hausärzte sowie Kinder- und Jugendärzte ihre Patientinnen und Patienten regelmäßig darüber informieren, dass sie ab dem 16. Lebensjahr eine Erklärung zur Organ- und Gewebespende abgeben, ändern und widerrufen können. Ab dem 14. Lebensjahr besteht zudem die Möglichkeit, einer Organ- und Gewebespende zu widersprechen.

Eine ergebnisoffene Beratung über Organ- und Gewebespenden soll bei Bedarf insbesondere folgende Punkte umfassen:

  • Möglichkeiten der Organ- und Gewebespende,

  • Voraussetzungen für die Organ- und Gewebeentnahme bei verstorbenen Spenderinnen und Spendern,

  • Bedeutung der Organ- und Gewebeübertragung,

  • Hinweis, dass es keine Verpflichtung gibt, eine Entscheidung zu treffen und zu dokumentieren,

  • Möglichkeit, eine Erklärung zur Organ- und Gewebespende im Register (s.u.) abzugeben.

Durch eine ergebnisoffene Information soll den Patientinnen und Patienten eine persönliche Entscheidung ermöglicht werden, die ihren individuellen Werten und Vorstellungen entspricht.
Sie sollen neutral informiert werden und genügend Zeit erhalten, um diese Informationen mit ihren eigenen Überzeugungen abzugleichen und sich dann bewusst für oder gegen eine Organ- und Gewebespende zu entscheiden.

In Hamburg wurden im gesamten Jahr 2023 laut einer Auswertung der KV-Hamburg 124.900 gesetzlich Krankenversicherte ärztlich zur Organspende beraten. Ermutigend ist jedoch die im Quartalsvergleich deutliche Steigerung im 1. Quartal 2024, in dem bereits 48.240 Beratungen verzeichnet wurden.
Es wäre äußerst erfreulich, wenn sich dieser Trend zur Beratung weiter fortsetzt und sich dadurch aber auch mehr Menschen zur Organspende entscheiden.

Organspende-Register
Seit dem 18. März 2024 ist es online: das Organspende-Register. Bis Ende Juli 2024 haben bundesweit 141.173 Menschen ihre Erklärung im Organspende-Register eingetragen und die Zahl der Einschreibungen wächst stetig.

Diese Zahl hört sich zunächst gewaltig groß an, ist aber in Relation zur Sterberate und Organbedarf bisher nur ein Tropfen auf den heißen Stein.

Das Organspende-Register ist ein zentrales elektronisches Verzeichnis, in dem Bürgerinnen und Bürger ihre Entscheidung für oder gegen eine Organ- und Gewebespende online eintragen und damit rechtlich verbindlich dokumentieren können. Der Eintrag ist freiwillig, kostenlos und kann jederzeit geändert oder widerrufen werden. Der Organspendeausweis bleibt weiterhin gültig und kann zusammen mit anderen schriftlichen Erklärungen, wie der Patientenverfügung, zur Dokumentation der Entscheidung genutzt werden.
www.organspende-register.de

DR. THOMAS STOLZ
ist beratender Arzt der KV Hamburg