10/2023 10/2023

Nachgefragt

Warum protestieren die KV-Mitglieder?

Auf einem Tiefpunkt

Die Stimmung in der Hausärzteschaft ist auf einem Tiefpunkt angelangt. Im Gespräch mit Kolleginnen und Kollegen hören wir Kommentare wie: „Die hausärztliche Medizin ist gar nicht mehr gewünscht.“ „Wir werden abgewickelt!“ „Unter diesen Bedingungen ist eine Praxis gar nicht mehr zu führen.“

Unsere zentrale Forderung ist, dass die Entbudgetierung der hausärztlichen Leistungen endlich wie angekündigt umgesetzt wird. Des Weiteren muss der Punktwert an die Kostensteigerungen angepasst werden. Die Praxen müssen in die Lage versetzt werden, in Zeiten des Mangels an medizinischen Fachkräften konkurrenzfähige Gehälter für MFA zu zahlen.

Und wir brauchen grundlegende Veränderungen des EBM. Es kann nicht sein, dass Gesprächsleistungen im Vergleich zu den technischen Leistungen weiterhin derart unterbewertet bleiben. Wenn die wohnortnahe Hausarzt-Medizin für die Patientinnen und Patienten erhalten bleiben soll, muss sie angemessen finanziert werden.

Das System wankt

Es hat sich viel angestaut: Die Vertragsärztinnen und -psychotherapeuten gehen auf die Barrikaden und tragen ihren Protest in die Öffentlichkeit. Es geht nicht nur um die Verhandlungen über einen angemessenen Honorarausgleich für Inflation und Kostensteigerungen. Im Zentrum steht eine Generalabrechnung mit den unerträglichen Verhältnissen in der ambulanten Medizin.

Das größte Problem ist, dass in fast allen Fächern noch immer ein großer Teil der Leistungen im Rahmen der budgetierten morbiditätsbedingten Gesamtvergütung (MGV) nicht vollständig bezahlt wird.

Als Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach die Versorgung von Neupatienten wieder ins Budget holte, warf er vorsätzlich einen Brandbeschleuniger, denn die Unterbezahlung in der MGV verschärfte sich dramatisch. Lauterbach wusste, dass die Praxen aufgrund von Kostensteigerungen und Inflation erheblich unter Druck standen. Selbstverständlich musste das zu Unzufriedenheit der Ärztinnen und Ärzte führen, für die Lauterbach eine Fürsorgepflicht hat.

Unter den gesellschaftlichen Rahmenbedingungen, die wir derzeit erleben, können wir keine Rabatte auf unsere Leistungen mehr akzeptieren. Wir fordern Gesundheitsminister Karl Lauterbach auf, für eine tragfähige Finanzierung der Versorgung zu sorgen. Die Politik muss endlich aufwachen. Die Protestveranstaltung in Berlin am 18. August 2023 war erst der Anfang, auch in Hamburg werden Proteste folgen. Das ambulante Versorgungssystem wankt. Wir müssen dafür kämpfen, dass es erhalten bleibt.

Verschärfter Mangel

Die psychotherapeutische Versorgung ist schon seit Jahren nicht mehr sichergestellt. Patientinnen und Patienten müssen monatelang auf einen Therapieplatz warten. Und im Zuge der Corona-Pandemie ist der Bedarf nochmal um 40 Prozent gestiegen. Prognostisch wird eine weitere Steigerung des Bedarfes um 25 Prozent erwartet (ZI – Zentralinstitut der KVen). Wir Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten versuchen, der strukturellen Unterversorgung durch viel persönliches Engagement entgegenzuwirken, doch unsere zeitlichen und psychischen Kapazitäten sind begrenzt. Eine Neukonzeption der Bedarfsplanung ist unerlässlich.

Außerdem müssen unsere Leistungen besser bezahlt werden – so gut, dass nicht nur für MVZ, sondern auch für Inhaber einer Praxis die Anstellung von Kolleginnen oder Kollegen möglich wird. Auf diese Weise könnten die Sitze besser ausgelastet werden.

Ein besonderes Ärgernis ist die Digitalisierung: Die Telematikinfrastruktur (TI) bringt weder unseren Patientinnen und Patienten noch uns irgendwelche Vorteile. Wir müssen sogar die Technik für Dinge Vorhalten, die wir sozialrechtlich gar nicht anwenden dürfen (eAU und eRezept). Hierdurch entstehen unnötige Kosten für uns und die Krankenkassen. Durch die Installation und die Pflege der TI haben wir noch weniger Kapazitäten für die Behandlung von Patientinnen und Patienten. Unsere Leistungen müssen besser vergütet werden, damit dieser Mehraufwand ausgeglichen oder an Experten delegiert werden kann. Dann hätten wir wieder mehr Kapazitäten für die Patientenversorgung frei.