Würden Sie befürworten, dass die KV in schlechter versorgten Gebieten eigene Praxen betreibt?
Nachgefragt
Brücke zur selbstständigen Tätigkeit
Es gibt in Hamburg Stadtteile, in denen es schwer ist, einen Hausarzt oder Kinderarzt zu finden. Deshalb hat die Hamburger Bürgerschaft den Senat im August 2022 aufgefordert, mit der KV über konkrete Maßnahmen zur Sicherung von Praxisstandorten in unterversorgten Gebieten zu beraten. Der von den beiden Regierungsfraktionen eingebrachte Antrag wurde einstimmig angenommen – was mich sehr gefreut hat, weil das nicht häufig vorkommt. Damit Praxen in unterversorgten Gebieten erhalten und neu geschaffen werden können, müssen die bestehenden rechtlichen Möglichkeiten ausgeschöpft werden. Dazu gehört auch der Betrieb von KV-eigenen Praxen. KV-Eigeneinrichtungen haben unserer Ansicht nach zwei Vorteile: Zum einen können Versorgungskapazitäten gezielt dorthin gesteuert werden, wo sie gebraucht werden. Zum anderen können jüngere Kolleginnen und Kollegen dort angestellt arbeiten mit der Option, die Praxis später zu übernehmen. Viele jüngere Kolleginnen und Kollegen wollen sich nicht sofort nach der Weiterbildung niederlassen, weil die Familiengründung im Vordergrund steht oder weil sie das finanzielle Risiko scheuen. Die KV-Praxen bieten eine Brücke zur selbstständigen Tätigkeit im ambulanten Bereich, verhindern Praxisschließungen und ermöglichen Neugründungen. Eigeneinrichtungen der KV können ein wichtiger Schritt sein, um der Kommerzialisierung des ambulanten Gesundheitssystems durch Übernahme von Praxissitzen durch Private-Equity-Gesellschaften in Hamburg entgegenzuwirken.
KV muss Versorgung sicherstellen
Seit Jahren bemühe ich mich vergeblich um eine Nachfolge für meine Hausarztpraxis. Die Bewerber/innen scheuten letztlich den Sprung in die Selbstständigkeit und wollten lieber angestellt arbeiten. Bisher ergibt sich auch nach Ausschreibung des Sitzes kein geeigneter Kandidat, der die Praxis vor Ort weiterführen möchte. Überwiegend bewarben sich MVZ, die den Praxissitz verlegen wollten. Das ist aber nicht im Interesse meiner Patientinnen und Patienten. Meine Praxis liegt in Harburg-Heimfeld, wo die hausärztliche Situation ohnehin angespannt ist. Fast täglich erreichen uns Anrufe mit der Bitte um Aufnahme von Neupatienten. Sollte meine patientenbezogen relativ große Praxis wegfallen oder weiter verlegt werden, sehe ich die hausärztliche Versorgung des Stadtteils gefährdet. Insofern besteht aus meiner Sicht in der Tat eine Situation, in der die KV einen Auftrag hätte, die Versorgung sicherzustellen. Ich könnte mir sehr gut vorstellen, dass die Praxis vorerst als KV-Eigeneinrichtung weitergeführt werden könnte. Ich finde die Idee plausibel und gut und würde sie unterstützen. Gegebenenfalls wäre es in dieser Konstellation ja auch möglich, als nun angestellter ehemaliger Praxisinhaber noch eine Weile in Teilzeit mitzuarbeiten und so einen gleitenden Übergang in den Ruhestand zu schaffen. Das war immer meine Wunschvorstellung.
Dafür ist die KV nicht konzipiert
Hier in Wilhelmburg gibt es relativ viele Praxen, die mangels Nachfolger schließen müssen oder deren Sitze in andere Stadtteile verlegt werden. Dennoch bin ich nicht sicher, ob die KV hier in die Bresche springen und Eigeneinrichtungen betreiben sollte. Ich versuche, mir das vorzustellen: Es würde ein immer größer werdendes Netz aus KV-Praxen entstehen – in Gegenden, wo sonst niemand praktizieren will. Was geschieht, wenn diese Praxen nicht kostendeckend arbeiten? Wer zahlt das? Ich fände es sinnvoller, sich auf die Frage zu konzentrieren, warum es so schwer ist, Nachfolger zu finden. Junge Ärztinnen und Ärzte wollen offenbar keine Einzelpraxen mehr übernehmen. Sie wollen nicht als Einzelkämpfer arbeiten, sondern sich mit Kolleginnen und Kollegen austauschen. Deshalb sollte die KV den Aufbau von fachübergreifenden Zentren fördern und bei der Suche nach geeigneten Räumen helfen. Die KV sollte finanzielle Anreize dafür schaffen, sich in schlechter versorgten Stadtteilen niederzulassen: beispielsweise mit einer Anschubfinanzierung oder einer spürbar höheren Vergütung. Die KV sollte organisieren, steuern und unterstützen – doch sie ist nicht dafür konzipiert, selbst in die Versorgung einzusteigen.