Herr Bundesgesundheitsminister, stoppen Sie diesen Irrsinn!
Gesundheitspolitik
Auch in Hamburg wird der Protest gegen die vom Bundesgesundheitsminister geplante Streichung der Neupatientenregelung lauter. Am 8. September 2022 verabschiedete die KV-Vertreterversammlung dazu eine Resolution. Wir dokumentieren den Text im Wortlaut.
Die Vertreterversammlung der KV Hamburg warnt vor einer drastischen Verschlechterung der ambulanten Versorgung in Hamburg, sollte die Neupatientenregelung, wie von Bundesgesundheitsminister Lauterbach geplant, abgeschafft werden.
Es ist zu befürchten, dass viele Patientinnen und Patienten wieder länger auf Termine warten müssen, dass Praxen Aufnahmestopps verhängen und Wartelisten führen müssen. Außerdem erschüttert Lauterbachs Ankündigung das Vertrauen der Vertragsärzte- und -psychotherapeutenschaft in die Verlässlichkeit der Politik.
Die Neupatientenregelung war von Karl Lauterbachs Vorgänger im Amt, Jens Spahn, im Jahr 2019 als Teil eines umfassenden Reformpaketes eingeführt worden. Die Vertragsärztinnen und Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeutinnen und -psychotherapeuten wurden dazu verpflichtet, gleichzeitig ihre Sprechstunden auszuweiten, offene Sprechstunden einzurichten, mehr schnelle Termine anzubieten und zusätzliche Neu-Patienten aufzunehmen. Im Gegenzug erhalten die Praxen seither die Vergütung für diese Fälle extrabudgetär, also nach Gebührenordnung ohne Zwangsrabatte und Abschläge.
Lauterbach hat damals als Bundestagsabgeordneter dieses Gesetz vollumfänglich mitgetragen, ja gefordert. Die Ärztinnen und Ärzte und Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten haben sich auf die Zusagen der Politik verlassen – und geliefert. Aufgrund dieser Regelungen des Terminserviceund Versorgungsgesetzes (TSVG) wurde in den Praxen investiert, in den Aufbau neuer Strukturen, in Organisation, medizinisches Gerät und Personal. Die zusätzliche Vergütung floss in die Versorgung – Sprechstundenzeiten wurden ausgeweitet, Praxisabläufe umorganisiert, Arbeitszeiten der Praxisteams erhöht.
Sollte der Großteil dieser Zusagen nun – wie im GKVFinanzstabilisierungsgesetz vorgesehen – wieder zurückgenommen werden, wäre das zutiefst unfair, sowohl gegenüber den Patientinnen und Patienten als auch gegenüber der Vertragsärzteschaft. Es ist unseriös, zuerst den Ausbau der Versorgung zu fordern und die dafür dringend notwendigen und auch zur Verfügung gestellten Mittel nach Folgeleistung dann wieder einzukassieren.
Lauterbach hatte angekündigt, dass es zu keinen Leistungskürzungen in der Versorgung kommen würde – die Streichung der Neupatientenregelung bedeutet aber genau das: Wenn sich die ohnehin angespannte wirtschaftliche Situation in vielen Haus- und Facharztpraxen weiter verschärft, müssen zwangsläufig Praxisstrukturen und somit Versorgungsangebote zurückgefahren werden – längere Praxisöffnungszeiten, mehr Sprechstunden, schnellere Termine, zusätzliche Neupatientenaufnahme, die Angebote besonders teurer Leistungen gibt es dann so nicht mehr.
Auch die aus dem Haushalt der KV Hamburg und somit aus den Honoraren der Vertragsärzte und Vertragspsychotherapeuten finanzierten Leistungen im Rahmen des ärztlichen Bereitschaftsdienstes müssen auf den Prüfstand: Dass beispielsweise der fahrende Notdienst und die Angebote der Notfallpraxen in gewohntem Umfang werden aufrechterhalten werden können, ist nahezu ausgeschlossen. Es steht fest, dass vor allem die Patientinnen und Patienten von dieser ungerechtfertigten Leistungskürzung des Ministers betroffen wären und sich der Zugang zur ambulanten Versorgung massiv verschlechtern würde.
Daher fordern wir den Bundesgesundheitsminister Lauterbach auf, die Regeln des TSVG beizubehalten!
Herr Bundesgesundheitsminister, stoppen Sie diesen Irrsinn!
Die angedrohte Vergütungskürzung trifft die Praxen in einer ohnehin schwierigen Situation. Die Praxis-Teams haben sich während der Pandemie als verlässlicher Schutzwall erwiesen, 19 von 20 Corona-Patienten wurden ambulant versorgt, das schützte die Krankenhäuser vor Überlastung – einen Corona-Bonus oder eine andere angemessene Anerkennung haben sie dafür – im Gegensatz zum Pflegepersonal in den Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen – nicht erhalten.
Die Struktur- und Energiekosten steigen massiv an – was viele Praxen zusätzlich in wirtschaftliche Bedrängnis bringt. Die Krankenkassen fordern in den laufenden Honorarverhandlungen eine Null-Runde – ein völlig absurder Vorgang vor dem Hintergrund zweistelliger Inflationsraten und notwendiger Gehaltssteigerungen bei den MFA.
Die Telematik-Infrastruktur entwickelt sich weiterhin katastrophal – eine Besserung ist nicht in Sicht.
All dies sind Entwicklungen, die unser Gesundheitssystem – so wie wir es kennen, mit einem starken Netz niedergelassener Ärztinnen und Ärzte und Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten – in Schieflage, ja in große Gefahr bringt. Wir sehen, dass bundesweit und mittlerweile auch verstärkt in Hamburg Sitze keine Nachfolge finden und der ärztliche Nachwuchs sich mehr und mehr scheut, sich in eigener Praxis niederzulassen. Dazu trägt der Vertrauensverlust in Folge des geplanten GKV-Finanzstabilisierungsgesetzes massiv bei.
Daher fordern wir den Bundesgesundheitsminister auf, das Vertragsarztsystem zu stärken statt weiter zu schwächen!
Es darf keine Rabatte mehr auf ärztliche Leistungen geben. Die Budgetierung muss aufgegeben werden, um unser Gesundheitssystem zu erhalten und den ärztlichen Nachwuchs zu animieren, wieder eine Niederlassung in Betracht zu ziehen. Politische Unsicherheit und Unzuverlässigkeit sind die Sargnägel unseres Gesundheitssystems.
Das Budget muss endlich weg – ein für alle Mal. Vom Ziel der Entbudgetierung abzurücken, ist ein völlig falsches politisches Signal, zumal es im Koalitionsvertrag festgelegt ist. Die Regelung, einen Teil der vertragsärztlichen Honorare kurzerhand einzubehalten, kommt noch aus einer Zeit des Ärzteüberschusses. Inzwischen haben wir einen Ärztemangel – auch in Hamburg. Diese Zeichen muss man erkennen.
Wenn wir eine flächendeckende ambulante Versorgung erhalten wollen, müssen Vertragsärztinnen und -ärzte, Vertragspsychotherapeutinnen und -psychotherapeuten und auch die Praxismitarbeiterinnen und Praxismitarbeiter angemessen bezahlt werden – und sich auf die Politik verlassen können.
Der Bundesgesundheitsminister muss erkennen, dass er mit seinen ungerechten und ungerechtfertigten Entscheidungen der ambulanten Versorgung in Deutschland massiv schadet. Sein Plan ist rückwärtsgewandt und nicht in die Zukunft.
Daher fordern wir den Bundesgesundheitsminister auf, endlich eine Politik der Verlässlichkeit zu etablieren und das Einnahmenproblem des Gesundheitssystems strukturell zu lösen statt weiterhin Flickschusterei zu betreiben.
WIR FORDERN:
1. Stoppt Lauterbachs Spargesetz!
2. Neun Prozent Inflationsausgleich für alle Praxen!
3. Alle Leistungen müssen zu 100 Prozent von den Kassen bezahlt werden!
4. Keine Millionenverschwendung durch den überflüssigen Austausch von Konnektoren!