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Mieses Investitionsklima

Kolumne

von Dr. Matthias Soyka
Orthopäde in Hamburg-Bergedorf

Seit mehr als 15 Jahren misst die „Stiftung Gesundheit“ im „Medizinklimaindex“ die Stimmung der Akteure im Gesundheitswesen.
2023 erreicht dieser Wert ein historisches Tief. Noch nie war die Stimmung bei den Ärzten so traurig wie in diesem Jahr. 34,2 Prozent der Hausärzte und 40,8 Prozent der Fachärzte bewerten ihre aktuelle wirtschaftliche Lage als schlecht. Von den Psychotherapeuten empfinden nur 15 Prozent so.

Die Erwartungen für die Zukunft sehen noch schlechter aus. Hier befürchten mehr als 60 Prozent der Ärzte und immerhin 27,3 Prozent der Psychotherapeuten, dass die Zukunft wirtschaftlich für sie ungünstiger wird.

Wie soll es in so einem Klima gelingen, junge Ärzte für die Arbeit in der Praxis zu gewinnen? Wie soll man es schaffen, Nachfolger für eine Praxis zu finden?

Denn der Medizinklimaindex ist keine x-beliebige Umfrage. Er drückt die reale Unzufriedenheit derjenigen aus, die aktuell im Gesundheitswesen arbeiten.

Das Ergebnis widerlegt eine Scheinerklärung für die fehlende Bereitschaft zur Niederlassung, die Vertreter der Politik und der Kassen bei jeder sich bietenden Gelegenheit vortragen: „Junge Mediziner scheuen immer mehr das Risiko und die Umstände der Selbstständigkeit“

Über die junge Generation wird damit eine Bewertung abgegeben, die ganz offensichtlich nicht zutrifft. Denn es ist doch nicht zu übersehen, dass sehr viele junge Leute Freude daran haben, eigene Unternehmungen und Start-ups zu gründen.

Während in meiner Jugend Abiturienten in großen Massen Soziologie, Politologie oder andere Fächer studierten, die nur wenig zum Reichtum der Nationen beitragen, träumen heutzutage viele Absolventen von einer erfolgreichen Karriere als Jungunternehmer.

Und in diesem kulturellen Umfeld sollen ausgerechnet Ärzte und Ärztinnen zu gemütlichen Schnarchnasen mutieren, die eigener Verantwortung und Selbständigkeit weiträumig aus dem Weg gehen? Das kann man nicht ernsthaft glauben.

Junge Leute sind gerne Gründer
Die jungen Gründer von heute sind angetrieben von der Idee, mit ihrem Start-up ökonomisch erfolgreich zu sein. Sie wollen damit zumindest wohlhabend werden und auch sozial geachtet. Einige träumen davon, mit ihrer Neugründung sogar reich zu werden.

Das waren in etwa auch die Hoffnungen, die sich junge Ärzte früher machten, wenn sie ihre Praxis auf dem Land eröffneten. Und anders als bei den heutigen Start-ups waren die Erfolgsaussichten dafür deutlich besser. Deshalb musste sich kein einziges Dorf Sorgen machen, ärztlich unter­versorgt zu sein.

Heute gibt es diese Erfolgsaussichten für Jung-Ärzte nicht mehr. Denn jahrzehntelang wurde den Praxisärzten ein Inflationsausgleich vorenthalten. Die Honorare sind im Vergleich – auch zu den Klinikhonoraren – einfach zu niedrig. Deshalb fehlen Ärzte jetzt in allen Regionen. Und das ist nur der Anfang!

Die Hoffnung, mit ihrer Praxis reich zu werden, haben potentielle Praxisgründer schon lange nicht mehr. Aber sie sind auch realistisch genug, um zu erkennen, dass selbst die Hoffnung, mit einer eigenen Praxis zu Wohlstand und Achtung zu kommen, ein sehr unsicheres Unterfangen ist.

Selbst wenn ihnen eine wirtschaftlich erfolgreiche Praxis angeboten wird, winken viele junge Ärzte ab. Es geht eben um das schlechte Gesamtklima. Dazu gehört auch, dass niemand sicher sein kann, dass nicht durch irgendeine hinterhältige Volte des Gesundheitsministers eine gerade noch gut laufende Praxis innerhalb kurzer Zeit zum Sanierungsfall wird. So geschehen bei der Rücknahme der Neupatientenregelung.

Natürlich stehen die existieren­den Praxen in ihrer großen Mehrheit nicht kurz vor der Pleite, obwohl auch das vorkommt.
Aber um ausreichend junge Ärzte für den Schritt in die eigene Praxis zu gewinnen, dafür sind die Umsätze der Praxisärzte schon seit Langem viel zu gering.
Eher geschieht das Gegenteil: Ärzte, die kurz vor dem Rentenalter stehen, verabschieden sich vorzeitig in den Ruhestand, und zwar immer öfter ohne Nachfolger.

Man mag das alles für viel zu materialistisch halten und denken, dass junge Ärzte weniger auf das Geld sehen sollen. Das wäre vielleicht moralisch hochstehend, funktioniert aber leider nicht.
Junge Ärzte haben bestimmte Vorstellungen davon, was sie verdienen wollen, ob man das gut findet oder nicht. Diese Vorstellungen sind zudem aufgrund der langen Weiterbildungszeit, der hohen Verantwortung und der enormen Arbeitsbelastung nicht ganz ungerechtfertigt. Dank der Tätigkeit des Marburger Bundes lassen sich diese Vorstellungen in der Klinik auch verwirklichen.

Warum also sollte eine junge Ärztin in die Praxis gehen, Mehrbelastung und Verschuldung in Kauf nehmen, wenn das wirt­schaftliche Ergebnis das der Anstellung nicht übertrifft?

Selbst die Klinikkonzerne ziehen sich doch schon wieder aus dem MVZ Geschäft zurück. Kommunen scheuen den Schritt, eigene MVZ zu gründen, weil sie wissen, dass sie dauerhaft für das Defizit aufkommen müssten.

Denn auch ein MVZ muss ausreichende Umsätze erwirtschaften. Das gelingt immer weniger, weil die Einnahmen der Kassenärzte viel zu niedrig sind. Wenn man sie deutlich erhöhen würde, bräuchte es allerdings auch keine MVZ mehr, denn jeder Jungarzt wäre dann gerne Praxisbesitzer.

Nur ein Beispiel aus dem Hamburger Abendblatt: „In Bad Bramstedt gibt es seit zwei Jahren ein weiteres kommunal betriebenes MVZ. Dieses hat im vorigen Jahr zwar Einnahmen von 860.000 Euro verzeichnet, machte unter dem Strich aber noch ein Defizit von 180.000 Euro, weil die Anschubfinanzierung noch belastet.“

Diese Zahlen hören sich nicht gerade optimistisch an. Man muss sich nur einmal vorstellen, wie sich eine junge Ärztin als Besitzerin so einer „Start-up“-Praxis fühlen würde. Die wäre mit so einem Defizit schon nach zwei Jahren am Ende. Ein von der Gemeinde subventioniertes MVZ kann das vielleicht durchhalten, ein Familienvater oder eine Familienmutter aber nicht.

Kein Wunder, dass die junge Ärztegeneration diese Art der Selbständigkeit nur wenig attraktiv findet.

Parteien wie die CDU schlagen inzwischen vor, für die Übernahme von Praxen in unterversorgten Gebieten „Starthilfen“ und „direkte finanzielle Anreize“ zu zahlen. Doch auch das wird nicht funktionieren. Denn die schönste Starthilfe taugt nichts, wenn die laufenden Einnahmen der Ärzte chronisch zu niedrig sind.

Der Ärztemangel wird daher bleiben und zwar aus zwei Gründen: Zu viel Bürokratie und zu wenig Geld in der Praxiskasse. Nur wenn die Arzthonorare steigen, kann der weitere Niedergang der ambulanten Medizin gestoppt werden.

Es reicht dazu nicht, nur die Budgetierung aufzuheben oder den Ärzten in diesem Jahr ein paar Prozent mehr zuzugestehen. Der Nachholbedarf ist so groß, dass die Rettung der ambulanten Medizin nur gelingen kann, wenn die Umsätze der Ärzte wieder die – inflationsbereinigte – Höhe der neunziger Jahre erreichen.

Das war für Patienten die goldene Zeit, in der Ärztemangel unvorstellbar erschien.

Das Vertrauen junger Mediziner in eine Zukunft als selbständiger Arzt wieder herzustellen, wird also eine ganze Menge kosten. Und das in einer Situation, in der um Schuldenbremsen und Notfallhaushalte gestritten wird. Vielleicht muss die Politik doch zum Äußersten schreiten und für eine erste Anschubfinanzierung die Verwaltungskosten der Krankenkassen brutal zusammenstreichen.

DR. MATTHIAS SOYKA ist Orthopäde und Buchautor.
Aktuell im Buchhandel: „Dein Rückenretter bist du selbst“, Ellert&Richter / Hamburg
www.dr-soyka.de
Youtube Kanal „Hilfe zur Selbsthilfe“

In dieser Rubrik drucken wir abwechselnd Texte von Dr. Matthias Soyka, Dr. Bernd Hontschik und Dr. Christine Löber.