1/2024 1/2024

MFA verzweifelt gesucht

Von Franco Tafuro

Der Wettbewerb um Medizinisches Fachpersonal war für Praxen noch nie so scharf wie heute. Was können Praxis-Chefs tun, um MFA zu finden und auf Dauer zu halten?

Der Mangel an medizinischem Fachpersonal bringt viele Praxen in Bedrängnis. Früher schalteten Praxis-Chefs einfach eine Anzeige – und hatten den Schreibtisch wenige Tage später voll mit Bewerbungen.
Heute muss man eine Fülle von Maßnahmen ergreifen, um auch nur ein oder zwei geeignete Interessenten zu finden. Entsprechend wichtig ist es, seine Fachkräfte dauerhaft an die Praxis zu binden.
Was können Praxen tun, um sich im schärfer werdenden Wettbewerb um MFA nach innen und außen besser zu positionieren?

Ist eine Stelle neu zu besetzen, sollte zunächst geprüft werden: Welches Profil hat diese Position? Welche Aufgaben sollen künftig in Abgrenzung zu den Tätigkeitsfeldern und Arbeitszeiten der anderen Team-Mitglieder erfüllt werden? Kann die Position möglicherweise besetzt werden, indem eine Mitarbeiterin aufsteigt oder Tätigkeitsfelder neu zugeschnitten werden?

Wenn eine Mitarbeiterin oder ein Mitarbeiter von außen gewonnen werden muss, ist der erste Schritt, eine Online-Stellenbörse wie Indeed, Stepstone oder Medi-Jobs zu nutzen. Das funktioniert ähnlich wie früher bei den Stellenanzeigen in einer Printpublikation: Das Aufgeben der Annonce kostet Geld, nicht die vollzogene Vermittlung.

Weil die klassischen Stellenanzeigen heutzutage aber nicht mehr unbedingt den gewünschten Erfolg bringen, nutzen immer mehr Praxen die Dienste von Recruiting Agenturen (beispielsweise Rankingdocs, Prein-Consulting, aerzte.chrisfengler.de). Diese Unternehmen helfen gezielt bei der Personalsuche und erheben für die Vermittlung eine Gebühr von mehreren tausend bis über zehntausend Euro. Praxisinhaber, die nicht ausreichend MFA finden und deren Praxis wegen des Personalmangels möglicherweise sogar Sprechzeiten reduzieren muss, sollten diesen Weg trotz der Kosten zumindest in Betracht ziehen.

Der Grund: Die Recruiting-Agenturen kümmern sich aktiv und ergreifen frühzeitig eine ganze Palette von Maßnahmen, bis sie schließlich passende Anwärter für die konkrete Stelle zum Vorstellungstermin in die Praxen schicken können. Dafür wird oftmals ein so genannter „funnel“ aufgebaut, ein Trichter, der mit Aktivitäten in Jobbörsen, Jobsuchmaschinen sowie Veröffentlichungen auf verschiedenen Social-Media-Kanälen gefüllt wird – und in einen Bewerbungsprozess mündet (siehe Abbildung).

Recruiting-Trichter („funnel“)

Die Recruiter treffen die MFA vor allem dort an, wo sich viele von ihnen in ihrer Freizeit „tummeln“: im Social-Media-Bereich. Mit Praxis-Anzeigen, Fotos und Beiträgen auf Social-Media spricht man diese spezifische Zielgruppe früher an als über eine herkömmliche Stellenanzeige. Latent wechselwillige Mitarbeiterinnen werden dadurch auf eine Praxis aufmerksam und für einen Erstkontakt geworben.

Manchmal gibt es eine Art Landingpage mit Informationen über die Praxis und einem Fragebogen, mit dem sich Interessierte niedrigschwellig bewerben können. Im Anschluss daran findet ein telefonisches Interview statt.

Eine Bewerbungsmappe mit Lebenslauf und Zeugnissen bringen die Bewerber erst zum Vorstellungsgespräch in die Praxis mit.

Bis hierhin können die Prozesse von einer Agentur gesteuert oder zumindest begleitet werden. Das Onboarding neuer Team-Mitglieder liegt dann jedoch in der Verantwortung der Praxis.

Hier geht es vor allem darum, der neuen Mitarbeiterin oder dem neuen Mitarbeiter einen guten Start zu ermöglichen und zu verhindern, dass sie oder er gleich wieder kündigt.

Der Negativ-Klassiker ist: Die mit großem Aufwand angeworbene Fachkraft steht in der Praxis und hat keinen Ansprechpartner, keinen Arbeitsplatz, keine Kleidung, kein Namensschild, keinen Spind. Die Kolleginnen und Kollegen wissen gar nicht, dass sie heute anfängt und sind unsicher, welche Aufgaben das neue Teammitglied übernehmen soll. Das kann zu Verunsicherung, Konkurrenzangst und ersten Konflikten führen. Es kommt ziemlich häufig vor, dass sich eine Praxis lange um Mitarbeiter bemüht – und das Onboarding dann aufgrund handwerklicher Fehler schiefgeht.

Die neue Mitarbeiterin sollte sich gleich willkommen fühlen. Von Anfang an sollte ihr eine Person zugewiesen werden, die sie in der ersten Zeit begleitet und einarbeitet. Auch die anderen Kolleginnen und Kollegen sollten im Bilde darüber sein, wie viele Stunden die neue Mitarbeiterin arbeitet, wann sie arbeitet und welchen Aufgabenbereich sie hat.

Grundsätzlich gilt im Arbeits­alltag: Eine klare Struk­tur sorgt für reibungslose Abläufe und Rollensicherheit. Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter einer Praxis wollen Klarheit über die Zuordnung der Arbeitsbereiche und über die Entscheidungskompetenzen haben: Wer ist wofür zuständig? Und: Wer hat etwas zu sagen? Wer kann im Zweifelsfall entscheiden?

Zur klaren Struktur gehört auch, dass die Personen mit größerer Leitungsbefugnis auch mehr Verantwortung übernehmen. Das ist beispielsweise wichtig, wenn es zu Konflikten mit Patienten kommt.

Die Praxismitarbeiterinnen stehen an vorderster Front, sie müssen mit Unmut und Aggressionen der Personen umgehen, die zu ihnen an den Tresen kommen.

Oberstes Gebot ist in solchen Situationen: Die Chefin oder der Chef gibt den Mitarbeiterinnen Rückendeckung und macht auch mal eine deutliche Ansage an den Patienten: „Bitte achten Sie auf Ihren Ton. So können Sie mit meiner Mitarbeiterin nicht sprechen.“

Die Team-Mitglieder müssen spüren: „Wir sind dem Chef wichtig. Wenn es hart auf hart kommt, macht er sich für uns gerade und sorgt dafür, dass wir von den Patienten respektiert und ordentlich behandelt werden.“

Wichtig ist natürlich auch ein respektvolles Miteinander innerhalb des Teams. In den meisten Praxen wird meiner Wahrnehmung nach zu viel kritisiert und zu wenig gelobt.

Praxis-Chefs sollten dafür sorgen, dass es ausreichend Gelegenheit für Gespräche zwischen ihnen und den Mitarbeiterinnen gibt. Dass sie ansprechbar sind, und dass positive soziale Kontakte zustande kommen. Dabei darf durchaus mal anerkennend und wertschätzend über die Leistungen der Team-Mitglieder gesprochen werden.

Auch Fehler und Defizite sollten offen angesprochen werden – allerdings nicht auf herabsetzende Weise. Ich höre immer wieder, dass Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter oder auch Auszubildende vor versammelter Mannschaft heruntergeputzt werden. Noch peinlicher wird es, wenn verletzende Kritik in Anwesenheit von Patienten geäußert wird. Ein solcher Umgang mit Fehlern ist absolut kontraproduktiv, weil die betroffene Kollegin sich in einer solchen Situation natürlich nicht mit der Sache auseinandersetzt und nach konstruktiven Lösungen sucht.

Und es trägt nicht zur Identifikation mit der Praxis bei – weder bei der betreffenden Kollegin noch bei anderen Mitarbeitern, die Zeugen dieser unangenehmen Szenen werden.

Bei einem guten Fehlermanagement geht es nicht darum, den Schuldigen zu finden und bloßzustellen – sondern darum, die Strukturen so zu ändern, dass das Auftreten des Fehlers künftig unwahrscheinlicher wird.

Meist ist es besser, sich für ein Gespräch über Fehler einen ruhigen Raum zu suchen und die Sache unter vier Augen zu besprechen. Das Gespräch sollte konstruktiv und lösungsorientiert sein.

Die Person, die den Fehler gemacht hat, weiß oftmals am besten, wie er zu vermeiden gewesen wäre – und kann möglicherweise ganz konkrete Vorschläge machen, welche Abläufe und Strukturen geändert werden sollten.

Jedes Unternehmen sollte offizielle Informationssysteme haben. In vielen Praxen treffen sich die Team-Mitglieder vor Sprechstundenbeginn, stellen sich kurz zusammen und bereiten den Tag vor. Hinzu kommt manchmal noch ein Intra-Mail-System oder eine Messenger-Gruppe, um verlässlich Informationen austauschen zu können.

In Feedback-Gesprächen, die mindestens einmal jährlich stattfinden, werden Erwartungen formuliert, welche die Praxisleitung und die Mitarbeiter aneinander haben. Unzufriedenheiten können erkannt und idealerweise ausgeräumt werden, bevor sie zum echten Ärgernis werden und dazu führen, dass geschätzte Mitarbeiter die Praxis verlassen.

Ein gutes Betriebsklima entsteht nicht durch Laissez-faire. Die Praxisleitung muss dafür sorgen, dass es gerecht zugeht. Wenn es einzelnen Team-Mitgliedern gelingt, ihre Interessen immer wieder auf Kosten von Kolleginnen und Kollegen durchzusetzen, sorgt das für schlechte Stimmung. Eine bewährte Strategie, um als Führungskraft Konfliktgespräche erfolgreich zu meistern, ist das Zwei-Hüte-Modell. Ein Beispiel: Eine der Mitarbeiterinnen möchte an einem Brückentag, an dem die Praxis geöffnet ist, Urlaub nehmen. Die Praxis-Chefin trägt zuerst den Beziehungs-Hut und sagt: „So gerne ich persönlich Ihnen diesen Urlaub geben würde …“ Und setzt dann den professionellen Hut auf: „Aus Praxissicht geht das leider nicht, weil wir sonst unterbesetzt sind. Ich verspreche Ihnen aber, dass wir die Urlaubsverteilung der Team-Mitglieder genau anschauen, damit die Lasten gerecht verteilt werden.“

Zeichen des Respekts für die Arbeitsleistung der Team-Mitglieder ist auch eine angemessene Bezahlung. Praxis-Chefs, die es versäumen, sich über die aktuellen Gehaltsstrukturen zu informieren, fällt es schwer, ihre Mitarbeiter zu halten.

Deshalb mein Appell: Prüfen Sie einmal im Jahr, welchen Marktwert ihre Angestellten haben. Hören Sie sich unter Ihren ärztlichen Kolleginnen und Kollegen um, um zu erfahren, was diese ihren Team-Mitgliedern zahlen. Und bleiben Sie auf dem Laufenden darüber, wie hoch die Tarifgehälter sind. Denn das ist der Standard, an dem Sie sich messen lassen müssen.

Menschen, die im Gesundheitswesen arbeiten, haben oftmals eine hohe intrinsische Motivation. Praxis-Chefs müssen Motivation in diesen Fällen nicht erst aufbauen, sondern dafür sorgen, dass sie nicht zerstört wird. Große Motivationskiller sind eine chronische Überlastung und das Gefühl, dem eigenen professionellen Anspruch nicht mehr gerecht werden zu können.

Wenn die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter spüren, dass ihre Chefs die medizinische Ethik hochhalten und ihnen die Möglichkeit geben, eine sinnvolle und wichtige Aufgabe zu erfüllen, kann das für eine starke Identifikation mit der Praxis sorgen.

Durch gemeinsame Werte und den gemeinsam bewältigten Alltag wächst das Team manchmal eng zusammen. Das könnte ein Unternehmens-Ziel sein, welches gute Voraussetzungen schafft, um Mitarbeiter an die Praxis zu binden und auf Dauer zu halten.

FRANCO TAFURO
Tafuro & Team: Unternehmensberater und Praxiscoach für Ärzte und Zahnärzte