1/2023 1/2023

Welcher Notdienst-Einsatz ist Ihnen besonders in Erinnerung geblieben?

Nachgefragt

Sie schien zu schlafen

Im fahrenden Notdienst weiß man nie, in welche Situationen man gerät. Während der Hochphase der Pandemie wurde ich zu einer Patientin gerufen, um einen Abstrich vorzunehmen. Der Ehemann öffnete die Tür, bat mich herein und sagte mir, seine Frau liege auf dem Sofa. Sie schien zu schlafen. Doch schnell merkte ich: Die Frau war nicht mehr erweckbar. Asystolisch, kein Puls. Ich musste reanimieren, was glücklicherweise gelang. Als der Rettungsdienst eintraf, war sie wieder ansprechbar. Laut Einsatzmeldung lag hier ein Verdacht auf Corona-Infektion vor. So ist das manchmal im Notdienst: Die Fälle können sich vor Ort ganz anders darstellen als erwartet.

Attacke mit einer langen Schere

Eine der dramatischsten Situationen, die ich im Notdienst erlebt habe, liegt bereits längere Zeit zurück. Ich kam zu einer Patientin, die drei Wochen zuvor entbunden hatte. Ich weiß nicht mehr genau, welche Einsatzmeldung vorlag. Jedenfalls war die Frau unruhig und wahnhaft. Angeblich waren fremde Leute in ihrer Wohnung. Sie zeigte mir das Baby, das nebenan schlief. Dann, völlig unvermittelt, begann die Frau zu schreien: „Sie wollen mir mein Kind wegnehmen!“, und ging mit einer langen Schere auf mich los. Ich wehrte mich, so gut es ging, und konnte ihr die Schere aus der Hand winden. Danach wurde sie ruhiger. Sie erklärte sich damit einverstanden, dass sie und ihr Baby ins Krankenhaus eingeliefert wurden, damit man sich um sie kümmern konnte. Ich übergab sie dem Rettungsdienst. Die Frau litt offenbar unter einer postpartalen Psychose – einer Störung, die bei 0,1 bis 0,2 Prozent der Wöchnerinnen auftritt.

"Es war so schönes Wetter"

Viele Patientinnen und Patienten, die wir im Notdienst besuchen, sind sehr dankbar – und zeigen das auch. Eines nachts um drei Uhr wurde ich zu einer älteren Frau mit Rückenschmerzen gerufen. Schon beim Hereinkommen fiel mir auf, dass eine große Menge an Putzlappen, Reinigungsmitteln und Toilettenpapier im Flurregal lagerte. Ich befragte die Frau zu ihren Beschwerden, untersuchte und behandelte sie. Am Ende überreichte sie mir feierlich drei Umschläge mit jeweils zehn Euro darin – einen für mich, einen für den Fahrer und einen für die KV-Mitarbeiter. Ich wehrte ab und sagte: „Wir können doch kein Geld von Ihnen annehmen.“ „Doch, doch“, sagte sie. „Ich arbeite als Wärterin im Toilettenbereich an der Elbe. Heute war so schönes Wetter, ich habe gut eingenommen, da kann ich doch auch etwas geben.“ Das berührte mich. Sie wollte uns ein Geschenk machen, das wirklich von Herzen kam.