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Strukturiertes Vorgehen im Notdienst

Von Dr. med. Felix König

Was ist die wichtigste Frage, die bei Bluthochdruck in der Häuslichkeit abgeklärt werden muss? Was sind die Kriterien für eine brauchbare Notdienst-Dokumentation? Diesen und ähnlichen Themen widmet sich das „Hamburger Notdienstseminar“.

Der KV-Notdienst weist im Vergleich zu anderen Medizinbereichen einige Besonderheiten auf: Wir kommen zu Patientinnen und Patienten nach Hause, die wir nicht kennen. Wir bewegen uns in einem unübersichtlichen Feld zwischen Pädiatrie, Hausarztmedizin und der Grenze zur Notfallmedizin. Und wir müssen bei Diagnostik und Therapie mit beschränkten Ressourcen zurechtkommen. Das alles ist reizvoll und spannend, aber auch fordernd.

Aus dem Wunsch nach kollegialem Austausch, Fortbildung und Qualitätsmanagement ist 2019 das Hamburger Notdienstseminar der KV Hamburg entstanden. In drei Modulen werden organisatorische Aspekte, häufige Konsultationsanlässe und akute Notfälle besprochen – jeweils mit Fokus auf die Herausforderungen im KV-Notdienst.

Inhalt des Basismoduls sind vor allem Hinweise zum taktisch-praktischen Vorgehen im fahrenden Notdienst. Ziel ist es, im Rahmen eines Erfahrungsaustauschs Techniken zu vermitteln, um die Vorstellungen von Patienten, KV und Ärzten möglichst gut in Einklang zu bringen.

Im Modul B werden einige der häufigsten Konsultationsanlässe im Notdienst besprochen. Dies erfolgt anhand echter Notdienstfälle, mit Darstellung der Dokumentation, der Handgriffe vor Ort und gegebenenfalls der Wahl des Transportmittels. Der Fokus liegt nicht auf der theoretischen Ergründung der Krankheit, sondern auf Warnzeichen (“Red Flags”) und Entscheidungshilfen wie Scores oder Entscheidungsbäumen. Alle Fälle werden interaktiv diskutiert, um einen lebhaften Erfahrungsaustausch zu ermöglichen.

Im dritten Modul liegt der Fokus auf dem praktischen Management, sobald ein akut lebensbedrohlicher Zustand erkannt wurde. Grundsätzlich ist der Notdienst für diesen Fall nicht gedacht und ausgerüstet – aber einige wertvolle Handgriffe sollte jeder Notdienstarzt leisten können.

Abgerundet wird das modulare Konzept durch ein Reanimationstraining und – neu ab 2023 – einen Workshop, in dem Fälle diskutiert und der kollegiale Austausch gefördert werden soll.

Aktuell bieten Dr. Frank Schneidler, Dr. Lars Hönig und Dr. Felix König ungefähr einmal im Monat eines der Module des Hamburger Notdienstseminars an).

Im Folgenden möchten wir beispielhaft zwei Aspekte herausgreifen, die wir auch in einem Notdienst-Workshop im Rahmen des 10. Tages der Allgemeinmedizin des Instituts und der Poliklinik für Allgemeinmedizin (IPA) am UKE im November 2022 behandelt haben: die Dokumentation im Notdienst und den häufigen Beratungsanlass „Hoher Blutdruck“. Die Inhalte orientieren sich an Leitlinien und Studien-Evidenz, sind aber hier nur verkürzt dargestellt.

DOKUMENTATION

Vor einiger Zeit besuchte ich eine 80-jährige Patientin, die laut Einsatzmeldung unter Kreuzschmerzen litt. Auf dem Tisch lagen bereits drei Notdienst-Zettel („Mitteilung für den weiterbehandelnden Arzt“) mit uneinheitlichen Diagnosen: einmal „Schmerzen der LWS“, einmal der „BWS“ und dann wieder „Lumbago“. Die Dokumentation war jedes Mal sehr spärlich. Bemerkenswert dabei: Kein einziges Mal war dokumentiert worden, ob ein Klopfschmerz der Wirbelsäule vorlag. Aber wäre denn in einem solchen Fall nicht eine naheliegende Frage, ob es sich um eine osteoporotische Wirbelkörperfraktur handeln könnte?

Die Kolleginnen und Kollegen hatten sicherlich gute Gründe, so zu behandeln, wie sie es getan haben. Doch diese Gründe waren, nur aufgrund der Dokumentation, nicht nachvollziehbar. Ich möchte den Blick dafür schärfen, dass die Dokumentation im Notdienst so geschrieben werden sollte, dass der Weiterbehandler (oder wer auch immer die Dokumentation am Ende liest) sagt: Ja, das ist eine logisch aufgebaute, in sich schlüssige Darstellung.

Gliederungsvorschlag A-B-T-P

A - Anamnese: Kurz und knapp – HM, VE, Allergien
B - Befund: Vitalparameter – RR, Hf, Temp, AF, SpO2; Lokalbefund – Enoral, Pulmo, Cor, Abdomen, Gelenke, Neurostatus
T - Therapie: Aufklärung RedFlags, supportiv, medikamentös
P - Procedere: Vorstellung HA ja/nein, Handlungsanweisung bei Persistenz/Progredienz der Beschwerden

Wenn ich die Behandlungsdokumentation für eine 80-jährige Dame mit Rückenschmerzen schreibe, sollte ich erklären, warum ich davon ausgehe, dass es sich nicht um eine osteoporotische Wirbelkörperfraktur handelt. Wenn ich dokumentiere „Junger Patient mit Druckschmerz rechter Unterbauch“, muss ich erklären, warum das keine Appendizitis ist. Wenn ich „Dyspnoe“ schreibe, erwartet die Leserin oder der Leser sicherlich zumindest Sauerstoffsättigung (sO2) und Atemfrequenz (AF).

Eine sorgfältige Dokumentation kostet zweifellos Zeit, doch diese zwei oder drei Minuten sind gut investiert. Unsere Notizen sind für alle Beteiligten die einzige Dokumentation des Zustandes dieses Patienten zum Zeitpunkt unserer Untersuchung.

Die Dokumentation ist wichtig zur Sicherstellung der Behandlungskontinuität. Sie ist wichtig, weil der Patient ein Recht darauf hat, dass sie geführt wird. Und sie ist wichtig für unsere eigene Rechtssicherheit. Auch kann es vorkommen, dass wir uns im Nachhinein zu einem Fall äußern müssen, an den wir uns angesichts der Fülle der von uns behandelten Patienten gar nicht mehr erinnern können. Dann ist es auch für uns selbst ein Vorteil, wenn unsere Dokumentationen aussagekräftig geschrieben wurden.

STARK ERHÖHTER BLUTDRUCK

Einer der häufigsten Behandlungsanlässe im fahrenden Notdienst ist „stark erhöhter Blutdruck“. Hierbei gilt es vor allem, eine Frage zu klären: Gibt es Zeichen eines akuten Endorganschadens?

Hoher Blutdruck: Behandlungsschema

Liegen Zeichen eines Endorganschadens vor, handelt es sich nicht um eine hypertensive Entgleisung, sondern um einen hypertensiven Notfall, der dringlich stationär eingewiesen werden muss.

Typische hypertensive Endorganschäden sind:

  • Schlaganfall, Intrazerebrale Blutung, Enzephalopathie

  • Akutes Koronarsyndrom, Aortendissektion

  • Kardiale Dekompensation, Lungenödem

  • Prä-/Eklampsie bei einer Schwangeren

Liegen keine Zeichen eines Endorganschadens vor, ist eine ambulante Behandlung indiziert: eine langsame Blutdrucksenkung mittels Ergänzung der bestehenden antihypertensiven Therapie.

Hoher Blutdruck: Übersicht

Es fällt manchmal schwer, bei einem asymptomatischen Patienten mit stark erhöhtem Blutdruck auf Sofortmaßnahmen (z.B. Nitroglycerin, Nitrendipin) zu verzichten – es wird aber empfohlen, genau das zu tun.

Für die Risikoabschätzung in dieser Situation ist eine Studie hilfreich, die 2016 veröffentlicht wurde. Einbezogen wurden 59.000 Patientinnen und Patienten mit einem mittleren Blutdruck von 183/96 mmHg, bei denen eine „hypertensive Gefahrensituation“ diagnostiziert wurde. Davon wurden 99,3 % (n = 58.000) ambulant behandelt und 0,7 % (n = 426) stationär aufgenommen. Bei einer sehr geringen Anzahl der stationär aufgenommenen Patienten (n = 8) stellte sich eine Endorganschädigung heraus. Während einer Nachbeobachtungszeit von sechs Monaten ergab sich kein Unterschied zwischen den ambulant und den stationär behandelten Gruppen hinsichtlich der Endpunkte kardiovaskuläre Ereignisse, Grad der Blutdruck-Kontrolle oder Krankenhausaufnahmen. (Patel et al. in JAMA Intern Med 2016 doi:10.1001/jamainternmed.2016.1509)

Anders ist die Situation, wenn bei der Patientin oder dem Patienten Zeichen eines Endorganschadens feststellbar sind. Dann ist eine intensivmedizinische Behandlung indiziert: RR-Senkung um ca. 20-30 % in den ersten ein bis zwei Stunden, hier bieten sich aufgrund der besseren Steuerbarkeit eigentlich nur intravenös applizierte Antihypertensiva an.

Das bedeutet für uns im KV-Notdienst: Rettungswagen rufen, Notfallrucksack holen lassen, einen Zugang legen und mit Infusion bestücken.

Es geht vor allem darum, sich für drohende Komplikationen zu wappnen und Vorarbeit für den Rettungsdienst zu leisten. Unser Vorschlag ist, es dabei bewenden zu lassen. Weitere Maßnahmen sind nicht nur von fraglichem Patientennutzen, sondern kosten auch Zeit, die an anderer Stelle fehlt. Niemandem ist geholfen, wenn der Rettungsdienst eigentlich schon wieder abfahrbereit wäre und mit den Hufen scharrt, aber warten muss, weil unsere Einweisung oder die Dokumentation noch nicht fertig ist.

Wir stellen zur Diskussion, als KV-Notdienstärztin oder KV-Notdienstarzt auf die Gabe von Nitro-Spray und ähnlichem ganz grundsätzlich zu verzichten, um schwerwiegende Nebenwirkungen bei zweifelhaftem Nutzen zu vermeiden.

DR. MED. FELIX KÖNIG (MBA)
ist AiW Allgemeinmedizin in Eppendorf und seit sieben Jahren im KV-Notdienst aktiv. Zusammen mit zwei Kollegen bietet er für die Hamburger KV-Notdienstärztinnen und Notdienstärzte das „Hamburger Notdienstseminar“ an.

Hamburger Notdienstseminar
Ärztinnen und Ärzte, die im Notdienst tätig sind, bekommen Einladungen für das Hamburger Notdienstseminar zugeschickt. Die Kapazitäten sind begrenzt.

Ansprechpartnerin: Sabine Daub
E-Mail: ndfortbildung@kvhh.de