Nicht nur falsch, sondern qualitätsgefährdend!
Mit einigem Entsetzen musste ich im aktuellen Journal die Kolumne des Kollegen Bernd Hontschik lesen. Schon in der Vergangenheit musste ich bei seinen Zeilen nicht nur einmal vehement den Kopf schütteln - aus meiner Sicht ist diese Kolumne für eine Publikation der KV nicht tragbar.
Schon der Titel "Qualität kann man nicht messen" wirft - einfach mal so - einen Großteil der Errungenschaften des Qualitätsmanagements der vergangenen 50 Jahre über Bord.
Natürlich ist das Gegenteil der Fall!
Bei allem Verständnis für die Ablehnung einer "kommerzialisierten" Medizin, ist die Argumentationslinie des Autors hanebüchen und erweist qualitiv hochwertiger Medizin einen Bärendienst. Qualität nicht zu messen, öffnet Tür und Tor für eine rein eminenzbasierte Medizin, bei der unter dem Deckmantel der Therapiefreiheit (als "künstlerische Freiheit" fehlinterpretiert) qualitativ schlecht behandelt wird. Wichtig ist aber, korrekt zu messen!
Denn in einem Punkt hat der Autor recht: Die Formel "Wenig Kaiserschnitte = Gute Geburtshilfe" ist in seiner Absolutheit Quatsch. Einen solchen Qualitätsindikator unadjustiert zu verwenden und dann als absolutes Abbild der Realität anzusehen, ist natürlich unsinnig!
Ich kann nicht beurteilen, ob das (wie geschildert) irgendein englischer Politiker tut - aber abzuleiten, deshalb ließe sich Qualität nicht messen, ist nun wirklich völliger Nonsens. Im deutschen QS-Verfahren "Geburtshilfe" werden für den Qualitätsindikator "Kaiserschnittgeburt" nicht weniger als 10 Faktoren zur Risikoadjustierung mittels eines logistischen Regressionsmodells einbezogen. Die Hintergründe, wie man Qualität misst und adjustiert, sind beim IQTIG in den "Rechenregeln" für Interessierte genau nachlesbar. Grafisch und für Laien schön aufgearbeitet, findet man die Ergebnisse z.B. im Hamburger Krankenhausspiegel.
Ist dadurch Qualität perfekt ablesbar? Nein - daher gibt es eine Vielzahl weiterer Qualitätsindikatoren. Ist das Bild danach perfekt? Nein - wie jeder Qualitätsmanager weiß, bilden Kennzahlen/Qualitätsindikatoren die komplexe Realität eben nur vereinfacht ab.
Das alles ist im QM seit den Arbeiten von Avedis Donabedian in den 1960ern Common Sense und findet natürlich auch Eingang in die QM-Bemühungen der KV Hamburg (und aller anderen Beteiligten im Gesundheitswesen). Zu behaupten, Qualität ließe sich nicht messen, ist nicht nur falsch, sondern auch qualitätsgefährdend.
Dr. med. Felix König, Arzt in Winterhude
Replik des Autors
Sehr verehrter Herr Kollege König,
dass man Qualität nicht messen kann, ist eine so selbstverständliche und selbsterklärende, leicht zu verstehende Aussage, dass ich wirklich verblüfft bin, dass man damit „Entsetzen“ auslösen kann. In dem Moment, wo etwas gemessen werden kann, ist es automatisch Quantität. Messen kann man nur Messbares. Man kann allerdings Parameter konstruieren, die möglicherweise auf Qualität hindeuten. Dann kann man Qualität vielleicht bewerten, aber man kann sie nicht messen.
Ich habe im Krankenhaus Qualitätsmanagement und Zertifizierungsprozesse mitgemacht, ich habe in meiner Praxis Qualitätsmanagement einführen und ständig aktualisieren müssen, aber es war unter dem Strich immer auch Etikettenschwindel und weit weg von meiner tatsächlichen Arbeit. Im Gegensatz zu Ihnen habe ich in mehr als 40 Jahren chirurgischer Tätigkeit noch nicht einmal definitiv herausgefunden, wie ich selbst die Qualität meiner eigenen Arbeit einschätzen kann.
Warum nun Diskussionsbeiträge, die nicht zu Ihrer Meinung passen („common sense“!), bei Ihnen Kopfschütteln hervorrufen, für eine Publikation der KV Hamburg nicht tragbar seien, warum das hanebüchen, falsch und „qualitätsgefährdend“ sei, muss Ihr Geheimnis bleiben. Auf jeden Fall ist die Auseinandersetzung mit der Qualität unserer Arbeit nicht so einfach, wie es auch im Deutschen Ärzteblatt immer wieder nachzulesen war und ist, z.B.: „Bei aller Euphorie über die Errungenschaft einer weitgehend objektiven Methode sollten deren inhärente Beschränkungen und Fallstricke nach Möglichkeit allen geläufig sein, die an der Umsetzung ihrer Ergebnisse mitwirken. Die Beschränkungen der EbM sind vielschichtig. Sie bestehen in erkenntnistheoretischen, formal logischen, ethischen, statistischen und technischen Unzulänglichkeiten.“ (Dtsch Arztebl 2004; 101(26): A-1870)
Evidenzbasierung und Qualitätsmanagement sind also Gegenstand einer permanenten Diskussion und Auseinandersetzung mit den eigentlichen Zielen und Methoden unserer ärztlichen Arbeit. Diese permanente Diskussion ist weder hanebüchen noch falsch noch „qualitätsgefährdend“. Nicht nur ich vertrete die Auffassung, dass QM eine Methode aus dem Bereich der industriellen Warenproduktion ist und in der Medizin die Bürokratie extrem potenziert hat.
Medizin ist nicht evidenzbasiert, sondern Medizin ist qualifizierte Beziehungsarbeit mit evidenzbasierten Mitteln und Methoden.
Dr. med. Bernd Hontschik