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Keine Evidenz für das Arterien-Screening mit dem Knöchel-Brachial-Index-Test

Aus dem Netzwerk Evidenzbasierte Medizin

Von Prof. Dr. Anke Steckelberg und Prof. Dr. Gabriele Meyer im Auftrag des Netzwerks Evidenzbasierte Medizin e. V. (www.ebm-netzwerk.de)

Im Rahmen des Betrieblichen Gesundheitsmanagements (BGM) wird Arbeitnehmer:innen mitunter auch der Zugang zu medizinischen präventiven Maßnahmen eröffnet. So bieten Krankenkassen in größeren Betrieben beispielsweise Screening-Untersuchungen auf arterielle Gefäßveränderungen zur Risikobestimmung kardiovaskulärer Erkrankungen an.
Es ist fraglich ob den zum Screening eingeladenen Betriebsangehörigen eine umfassende, wissenschaftsbasierte Information über den potentiellen Nutzen und Schaden sowie über die Wahrscheinlichkeit für falsch positive und falsch negative Testergebnisse unterbreitet wird. Die evidenzbasierte Aufklärung im Rahmen von Früherkennungsangeboten für symptomlose, bislang gesunde Personen gilt international als geboten und wird auch in Deutschland durch das Patientenrechtegesetz gefordert (2,5).

Folgendes realitätsnahes Szenario nehmen wir als Ausgangspunkt:
In einem Klinikum in Deutschland wird den Beschäftigten ein von einer Krankenkasse gefördertes ABI-Screening (Knöchel-Brachial-Index, engl.: ankle brachial index) angeboten. In der Einladung an die Beschäftigten heißt es: „Gehen Sie auf Nummer Sicher!“ Durch optimale Vorsorge und regelmäßige Kontrolle könne eine Gefäßerkrankung frühzeitig erkannt und behandelt werden. Der Termin könne online vereinbart werden, das Angebot sei kostenlos.

Der ABI-Test? Was ist das und wie wird der Test durchgeführt?
Der ABI-Test misst das Verhältnis zwischen dem systolischen Blutdruck am Knöchel und dem systolischen Blutdruck am Arm. Der Test wird zur Früherkennung und im Rahmen der Diagnostik der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit (pAVK) eingesetzt (1).
Für die Messung stehen mehrere Verfahren zur Verfügung. Die klassische Messung erfolgt anhand eines manuellen Blutdruckmessgerätes und einer Gefäß-Dopplersonografie, womit die arterielle Pulsation gemessen wird. Für die Berechnung des Wertes wird der höhere Druck der Arteria tibialis posterior oder der Arteria dorsalis pedis durch den höheren der beiden Oberarmdrücke dividiert. Für die Messung anhand automatisierter ABI-Messgeräte werden vier Sensoren an Armen und Beinen angelegt und das Gerät misst automatisch die jeweiligen Werte. Nach der Messung wird der Index berechnet (1).
Beim automatisierten Messverfahren dauert das Screening insgesamt etwa 15 Minuten, die eigentliche Messung dauert dabei nur wenige Minuten. Die klassische Messung ist aufwändiger, sie dauert insgesamt etwa 30 Minuten. Eine ABI-Messung ist nicht schmerzhaft (1).

Wie gut erkennt der ABI eine pAVK?
Die US Preventive Services Task Force (UPSTF) identifiziert für ihre Verfahrensbewertung eine Studie, die die Güte des ABI-Tests untersucht hatte (6). Insgesamt 306 ältere Erwachsene aus Schweden waren eingeschlossen. Der Vergleichs- bzw. Referenztest war die Magnetresonanzangiographie, die zugleich als Goldstandard gilt. Im Ergebnis zeigten sich die folgenden Werte, dabei war die pAVK definiert als Stenose von ≥ 50 % (6,10):

Sensitivität: 20 % (95 % Konfidenzintervall (KI) 10 % - 34 %) (rechts) und 15 % (95 % KI 7 % - 27 %) (links)

Spezifität: 99 % (95 % KI 96 % - 100 %) (für beide Seiten)

Positiv Prädiktiver Wert (PPW): 83 % (95 % KI 51 % - 97 %) (rechts) und 82 % (95 % KI 48 % - 97 %) (links)

Negativ Prädiktiver Wert (NPW): 84 % (95 % KI 79 % - 88 %) (rechts) und 80 % (95 % KI 74 % - 84 %) (links) (6,10)

Die Sensitivität, also die Fähigkeit des Tests, von pAVK betroffene Personen als solche zu erkennen, ist mit 15 - 20 % niedrig und 80 - 85 % werden nicht erkannt. Die Spezifität, also die Fähigkeit des Tests, nicht von pAVK betroffene Personen als solche zu erkennen, ist mit 99 % hoch.
Von 100 Personen, die ein positives Testergebnis mittels ABI-Test erhalten, liegt bei 83 bzw. 82 tatsächlich eine pAVK vor (PPW); 17 bzw. 18 Personen mit positivem Testergebnis haben jedoch ein falsch positives Ergebnis. Das heißt, sie haben keine pAVK, werden aber als Personen mit pAVK klassifiziert.
Von 100 Personen, die ein negatives Testergebnis erhalten, liegt bei 84 bzw. 80 tatsächlich keine pAVK vor (NPW); 16 bzw. 20 Personen mit negativem Testergebnis haben jedoch ein falsch negatives Ergebnis. Das heißt, sie sind von pAVK betroffen, werden jedoch nicht als solche erkannt.
Die prädiktiven Werte sind abhängig von der Prävalenz (auch Vortestwahrscheinlichkeit). In der Studie, die die Güte des Tests untersucht hatte (9), waren die 306 Teilnehmer:innen zu Beginn 70 Jahre und älter, 4 % hatten eine Herzinfarkt-Anamnese, 11 % hatten Diabetes mellitus Typ 2 und 8 % rauchten. Die Prävalenz für eine Stenose der unteren Beinarterien von ≥ 50 % betrug 18 % (rechts) und 22 % (links) (9).
Bei Beschäftigten, die im Rahmen eines BGM angesprochen werden, ist ein niedrigeres Risikoprofil zu erwarten und damit eine geringere Prävalenz. Die Wahrscheinlichkeit, dass ein positives Ergebnis richtig positiv ist, sinkt somit. Auch neuere Übersichtsarbeiten haben für den Vergleich keine weiteren Validierungsstudien einschließen können (7).

Hat das Screening einen Nutzen oder einen Schaden?
Zur Bestimmung des Nutzens des ABI-Tests werden aussagekräftige randomisierte kontrollierte Studien benötigt. In solchen Studien würde der Screening-Test in Kombination mit einem Behandlungsangebot bei positivem Testbefund im Vergleich mit der Kontrollgruppe ohne Screening-Angebot untersucht. Als End­punkte eignen sich Morbidität, Mortalität und Lebensqualität.
Die US Preventive Services Task Force (USPSTF) hat die Frage gestellt, ob das Screening auf pAVK mit ABI-Test in der symptomlosen Bevölkerung die kardiovaskuläre Morbidität sowie die Morbidität und Mortalität der peripheren arteriellen Erkrankungen zu reduzieren vermag (6,9). Da keine randomisierten kontrollierten Studien zur Fragestellung identifiziert werden konnten, spricht sich die USPSTF gegen das Angebot eines Screenings mit ABI-Test zur Früherkennung von pAVK bei symptomlosen Erwachsenen aus. Nicht nur der fehlende Nutzennachweis leitet diese Schlussfolgerung, sondern auch die Befürchtung, dass unnötige Interventionen veranlasst werden könnten durch falsch positive Testergebnisse (6,9).
Außerdem verweist die USPSTF auf neuere Studien, die ein aus mehreren Komponenten bestehendes Screening untersuchen, wie zum Beispiel das Screening auf Aortenaneurysma, Bluthochdruck und pAVK. Der ABI ist eine der Komponenten. In der Literatursynthese der USPSTF hatte keine der eingeschlossenen Studien den ABI-Test als singuläres Verfahren untersucht (8).

Was sagt die entsprechende AWMF-Leitlinie zum ABI-Screening?
Die deutsche S3-Leitlinie zur Diagnostik, Therapie und Nachsorge der peripheren arteriellen Verschlusskrankheit übernimmt das Fazit der USPSTF im Hintergrundtext. Es wird keine Empfehlung für ein Screening ausgesprochen (4).

Schlussfolgerung
Screeningverfahren, für die kein Nutzennachweis aus belastbaren randomisierten kontrollierten Studien vorliegt, sollten nicht in Erwägung gezogen werden. Krankenkassen und Betriebe müssen sich durch Evidenz leiten lassen und nicht durch Aktionismus.
Es ist wahrscheinlich, dass der ABI-Test im BGM-Kontext zu Überversorgung und damit auch zu Schaden durch weiterführende Diagnostik und Therapieangebote führen kann. Die Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin versucht mit ihrer Leitlinie „Schutz vor Über- und Unterversorgung – gemeinsam entscheiden“, Entwicklungen wie dieser entgegenzuwirken (3).

PROF. DR. PHIL. ANKE STECKELBERG
Institut für Gesundheits-, Hebammen- und Pflegewissenschaft der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

PROF. DR. PHIL. GABRIELE MEYER
Leiterin des Instituts für Gesundheits-, Hebammen- und Pflegewissenschaft der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg

Referenzen

(1) Casey S, Lanting S, Oldmeadow C, Chuter V. The reliability of the ankle brachial index: a systematic review. J Foot Ankle Res 2019; 12: 39
(2) Bundesgesetzblatt. Gesetz zur Verbesserung der Rechte von Patientinnen und Patienten. Köln: Bundesanzeiger 2013; (9), 277-282
(3) Deutsche Gesellschaft für Allgemeinmedizin und Familienmedizin. Schutz vor Über- und Unterversorgung – gemeinsam entscheiden. S2e-Leitlinie Living Guideline AWMF-Register-Nr. 053-045LG DEGAM-Leitlinie Nr. 21
(4) Deutsche Gesellschaft für Angiologie - Gesellschaft für Gefäßmedizin. S3-Leitlinie zur Diagnostik, Therapie und Nachsorge der arteriellen Verschlusskrankheit. Version 4.3 vom 25.11.2024
(5) General Medical Council. (2020). Decision making and consent. Zugriff am 22.04.2025 unter https://www.gmc-uk.org/ethical-guidance/ethical-guidance-for-doctors/consent
(6) Guirguis-Blake JM, Evans CV, Redmond N, Lin JS. Screening for Peripheral Artery Disease Using the Ankle-Brachial Index: Updated Evidence Report and Systematic Review for the US Preventive Services Task Force. JAMA 2018; 320 (2): 184-196
(7) Herraiz-Adillo Á, Cavero-Redondo I, Álvarez-Bueno C, Pozuelo-Carrascosa DP, Solera-Martínez M. The accuracy of toe brachial index and ankle brachial index in the diagnosis of lower limb peripheral arterial disease: A systematic review and meta-analysis. Atherosclerosis 2020; 315: 81-92
(8) Kieback AG, Gähwiler R, Thalhammer C. PAD screening: why? whom? when? how? - a systematic review. Vasa 2021; 50 (2): 85-91
(9) US Preventive Services Task Force; Curry SJ, Krist AH, Owens DK, Barry MJ, Caughey AB, Davidson KW, Doubeni CA, Epling JW Jr, Kemper AR, Kubik M, Landefeld CS, Mangione CM, Silverstein M, Simon MA, Tseng CW, Wong JB. Screening for peripheral artery disease and cardiovascular disease risk assessment with the ankle-brachial index: US Preventive Services Task Force Recommendation Statement. JAMA 2018; 320 (2): 177-183
(10) Wikström J, Hansen T, Johansson L, Lind L, Ahlström H. Ankle brachial index <0.9 underestimates the prevalence of peripheral artery occlusive disease assessed with whole-body magnetic resonance angiography in the elderly. Acta Radiol 2008; 49 (2): 143-149