Wozu brauchen Ärzte eine private Gebührenordnung?
Kolumne
von Dr. Matthias Soyka
Orthopäde in Hamburg-Bergedorf
Seit 1982 erhalten Ärzte für die meisten Leistungen, die sie für private Patienten erbringen, fast das gleiche Honorar. 1996 gab es eine minimale Anpassung an die Inflation, seitdem sind die Preise komplett unverändert.
Die überfällige Novellierung der privatärztlichen Gebührenordnung für Ärzte (GOÄ) soll jetzt endlich kommen. Doch um den Entwurf der Bundesärztekammer gibt es eine kritische Diskussion.
Eine Reihe von Kritikern (zu denen sich auch der Autor zählt) bemängeln, dass die neue GOÄ keine Möglichkeit mehr zuließe, Gebührenziffern nach Schwierigkeitsgrad zu steigern. Zudem gäbe es keinen Inflationsausgleich. Für viele Kollegen seien sogar erhebliche Mindereinnahmen zu befürchten.
Um diese Diskussion soll es aber in diesem Text nicht gehen. Mich beschäftigt in dieser Kolumne vielmehr die Frage, warum die Diskussion auf so wenig Widerhall stößt und warum die Apelle der Bundeärztekammer an den Gesundheitsminister so wenig Resonanz erfahren. Mein Eindruck ist, dass viele von uns Ärzten der privaten Gebührenordnung keine große Bedeutung zumessen.
Dabei betrifft die Gebührenordnung jeden von uns, selbst die jüngsten Assistenzärzte. Viele junge Ärzte denken zwar, die Gebührenordnung ginge sie nichts an, da sie keine eigenen Privatpatienten haben. Dabei könnten auch Ärzte in Weiterbildung privatärztliche Leistungen erbringen. Sie erstellen z.B. Gutachten und Atteste für Patienten und beteiligen sich an der Privatbehandlung ihrer Chefs. Früher zumindest war es weit verbreitet, Assistenzärzte an den Privateinnahmen zu beteiligen.
Auch wenn man nachts zu einer Blutabnahme für die Polizei hinzugezogen wurde, konnte man das als Assistenzarzt selbst abrechnen. Heute sind die Privatbehandlungen und -einnahmen meist fest in der Hand der Klinikkonzerne. Das kommt jungen Kollegen, die nichts anderes kennen, völlig normal vor. Ist es aber nicht.
Ich fand es als junger Assistenzarzt sehr hilfreich, einen kleinen Einblick in die Privatbehandlung meiner Chefs zu bekommen. Mir wurde dabei klar, dass die Möglichkeit zur Privatabrechnung auch ein Stück Unabhängigkeit bedeutet. Älteren Kollegen, die genug hatten vom Klinikalltag, blieben zwei Möglichkeiten: In erster Linie natürlich der Kauf einer Kassenpraxis. Aber in den Fällen, in denen kein KV-Sitz zu bekommen war, wichen einige Oberärzte oder Fachärzte auf die Privatpraxis aus.
Die Kassenpraxis war zwar der favorisierte Weg. Aber als Notlösung oder zur Überbrückung verhalf die Privatpraxis so manchem zur ersehnten beruflichen Freiheit. Ich erinnere mich an operative Oberärzte, die, als es in der Klinik nicht so gut lief, sich mit Praxen für Neuraltherapie oder Akupunktur retteten.
Selbst wenn man selbst solche Wege nicht primär anstrebt, wird die eigene Position faktisch wie mental gestärkt, wenn man berufliche Alternativen hat.
Ärzte sind nicht gut im Streiken, weshalb sie wenig Druck auf die Politik ausüben. Doch ein Druckmittel gibt es: Sie müssen nicht zwangsweise als Angestellter oder Kassenarzt arbeiten. Sie können zur Not auch Gutachten machen, Amtsarzt werden oder zum MDK wechseln. Einige gehen ins Ausland, zur Pharma oder vorzeitig in Rente. Andere werden Bürgermeister. Eine der am häufigsten gewählten Alternativen ist jedoch die Privatmedizin. Schon deshalb kann die GOÄ keinem Arzt egal sein.
Für Vertragsärzte hat die private Gebührenordnung noch eine besondere Bedeutung. Denn die gesetzliche Versicherung deckt nicht alles ab, was Ärzte und Patienten wollen. Atteste z.B. gehören gemeinhin nicht zu den kassenärztlichen Aufgaben. Eine Bescheinigung für ein Fitnessstudio kann nur privat, also nach GOÄ, abgerechnet werden. Das gilt für viele Leistungen, z.B. für weite Teile der Reisemedizin und der Sportmedizin, sowie eine ganze Reihe von Vorsorgeuntersuchungen.
Für viele Praxen ist die Behandlung von Privatpatienten und Selbstzahlern der Rettungsring, der sie wirtschaftlich überleben lässt. Zwar wird Selbstzahlermedizin oft kritisch gesehen, weil teilweise auch Leistungen angeboten würden, deren Nutzen zweifelhaft sei. Doch das ist ungerecht. Denn auch im offiziellen Leistungskatalog der Krankenkassen finden sich viele Dinge, für die es keine gute Studienlage gibt. Der Unterschied ist ein anderer.
Die Behandlung gesetzlich Versicherter muss „ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich“ sein. Alles, was darüber hinausgeht, ist Privatsache des Versicherten.
Homöopathie z.B. ist nicht meine Lieblingstherapie. Ich halte es für völlig richtig, dass sie nicht im GKV Katalog steht. Aber viele Menschen möchten mit dieser Therapieform behandelt werden. Deshalb ist es eine gute Lösung, dass Ärzte diese Therapie weiterhin als Privatleistungen anbieten können. Patienten müssen nicht zum Heilpraktiker und bleiben in der Obhut eines schulmedizinisch ausgebildeten Arztes, der Alarmsignale schwerer Erkrankungen erkennen kann.
Alle Ärzte können zudem neue Methoden, von denen sie überzeugt sind, als private Leistungen anbieten. Vieles, was jetzt im Katalog der gesetzlichen Krankenkassen steht, war einst „Individuelle Gesundheitsleistung“, wie die Knochendichtemessung, die Mammografie als Früherkennung oder die Stoßwelle bei Fersensporn, um nur einige zu nennen. Auch für den medizinischen Fortschritt benötigen wir eine private Gebührenordnung. Sie schafft uns die Freiheit, die Medizin zu betreiben, die wir für richtig halten. Und sie ermöglicht unseren Patienten die Behandlungen, die sie wünschen, auch wenn diese nicht in das Korsett der gesetzlichen Krankenversicherungen passen.
Das gilt auch, wenn Patienten mehr Zuwendung und Zeit für sich beanspruchen als ihnen nach den Kriterien der wirtschaftlichen Notwendigkeit „zusteht“. Statt diesen Wunsch pauschal abzulehnen, bleibt dem Arzt die Möglichkeit, diese Leistungen privat in Rechnung zu stellen.
Diese Seite der Privatbehandlung wird in Zukunft noch wichtiger, wenn es gelingt, eine effektive Patientensteuerung durchzusetzen. Denn Patientensteuerung heißt auch, nicht unbedingt nötige Arztkontakte zu Lasten der Kassen zu vermeiden. Das wird deutlich in einem etwas schrägen Vorschlag der Ersatzkassen, die fordern, dass jedes Mitglied sich für einen bestimmten Zeitraum ein „Vierer-Team“ von Ärzten wählen muss, von dem es vorrangig behandelt wird. Behandlungen durch andere Ärzte gibt es dann nur per Überweisung. Alle anderen Behandlungen wären privat zu bezahlen. Hier führt Patientensteuerung – wie auch in anderen Modellen – automatisch zu mehr Privatbehandlungen, also noch ein Grund mehr, sich um die GOÄ zu kümmern.
Ende Mai will der Deutsche Ärztetag einen Entwurf für eine neue GOÄ beschließen. Höchste Zeit also, sich im eigenen Interesse über diesen Entwurf zu informieren und sich eine Meinung zu bilden.
Denn die private Gebührenordnung ist wichtig. Sie schafft uns Ärzten die Freiheit, die wir brauchen, um unabhängig zu arbeiten. Sie ist wesentliches Merkmal eines freien Berufs.
DR. MATTHIAS SOYKA ist Orthopäde und Buchautor.
Aktuell im Buchhandel: „Dein Rückenretter bist du selbst“, Ellert&Richter / Hamburg
www.dr-soyka.de
Youtube Kanal „Hilfe zur Selbsthilfe“
In dieser Rubrik drucken wir abwechselnd Texte von Dr. Matthias Soyka, Dr. Bernd Hontschik und Dr. Christine Löber.