4/2024 4/2024

Taugt der Computer zum Bürokratie-Abbau?

Kolumne

von Dr. Matthias Soyka
Orthopäde in Hamburg-Bergedorf

Bürokratie ist der beste Weg, tüchtige Menschen davon abzuhalten, sich mit einem eigenen Unternehmen selbstständig zu machen.
Das ist nicht nur in der Medizin so, sondern auch im Handwerk und im Handel. In einem Bericht der WELT lese ich von einer Studie an der Universität Köln, bei der mehr als 1300 Absolventen von Meisterklassen nach ihren Zukunftsplänen befragt wurden. Für mehr als ein Drittel kam eine Selbstständigkeit nicht in Frage – wegen der Belastung durch Bürokratie.

Diese Befragung wirft übrigens auch ein kleines Schlaglicht auf die immer wiedergekaute Behauptung, der fehlende Wille zur Niederlassung im Gesundheitswesen liege daran, dass die Medizin weiblich geworden sei. Denn anscheinend herrscht die Furcht vor der bürokratischen Überfrachtung auch im Rest der Wirtschaft.

Die mysogyne Frechheit, Frauen hätten einen Hang zur abhängigen Beschäftigung, ist offensichtlich nur ein Ablenkungsmanöver zur Verschleierung der wahren Ursachen der Niederlassungsunlust: Zu wenig Honorar und zu viel Bürokratie.

Glaubt man den Politikern oder auch den Kassenfunktionären, ist das alles übertrieben. Es soll ja schon ständig Bemühungen zum „Bürokratie-Abbau“ geben. Doch seltsamerweise hat niemand das Gefühl, in seinem eigenen Alltag weniger Bürokratie zu erleben.

In dem gleichen Artikel wird der jüngste Bericht des Normenkontrollrats zitiert. Danach seien die Bürokratiekosten für Unternehmen, Behörden und Bürger um 9,3 Milliarden Euro pro Jahr und einmalig um 23,7 Milliarden Euro gestiegen.

Muss man also an den Bürokratie-Abbau glauben wie an den Weihnachtsmann? Ja, sagen die Bürokraten. Denn schließlich gibt es eine ganze Reihe neuer Gesetze und Verordnungen zum Abbau der Bürokratie. Doch selbst Beamte sind skeptisch, dass das hilft.

Zum Glück gibt noch eine weitere Hoffnung: den PC. Die Digitalisierung soll noch weitaus besser als Gesetze gegen Bürokratisierung wirken. Für jeden fortschrittlichen Menschen (und ganz besonders für junge Politiker, die gut mit ihrem Handy umgehen können) sind daher Computer und Mobiltelefone das ultimative Mittel zum Bürokratieabbau – am besten noch mit App und KI. Bloß wie wirken diese Zaubermittel?

Mit dem Computer kann ein der Bürokratie Unterworfener die von ihm verlangten Daten nur automatisierter und zuverlässiger eingeben. Weniger anstrengend ist das nicht. Denn mit steigendem Grad der Digitalisierung steigt der Anspruch an die Akkuratesse, und zwar im gleichen Maße wie die Kontrollmöglichkeiten.

Außerdem führt die automatisierte Eingabe von Daten bei bürokratischen Vordenkern – ebenso natürlich wie zwangsläufig – zu der Vorstellung, dass man eigentlich noch ein paar zusätzliche Daten, die möglicherweise einen Nutzen haben, mit erheben könnte. „Wenn man das schon abfragt, könnte man doch noch zwei Items zur Klimaneutralität in den Survey mit einbauen“ ist ein typischer Satz aus einem wichtigen Meeting.

Die Freiheit und die Lust an der Arbeit leiden an komplizierten Regelungen und Vorschriften kein bisschen weniger, weil deren Einhaltung digital kontrolliert wird. Spätestens seit 1984 ahnen wir, dass elektronische Kontrolle kein großes Vergnügen ist.

Wer die Bürokratie abbauen will, kommt daher um eines nicht herum: Er muss weniger regeln wollen und stattdessen mehr Entscheidung der Verantwortung und der fachlichen Erfahrung der Arbeitenden überlassen. Gerade im Gesundheitssektor, in dem es eine hohe intrinsische Motivation gibt, wäre das sehr einfach.

Der PC hilft jedenfalls nicht gegen den Bürokratie-Tsunami und er spart auch keine Zeit. Das gilt selbst dann, wenn man die vielen Systemabstürze und Konnektorenprobleme nicht mit einrechnet.

Früheren Ärztegenerationen blieb mit ihren Pappkarteikarten mehr Zeit für ihre Patienten und für ihr eigenes Leben.
Angesichts der Flut von überflüssigen Anfragen und Formularen gäbe es daher eigentlich nur ein technisches Hilfsmittel, von dem man sich etwas Entlastung versprechen könnte: ein datenschutzkonformer, leistungsfähiger Schredder.

DR. MATTHIAS SOYKA ist Orthopäde und Buchautor.
Aktuell im Buchhandel: „Dein Rückenretter bist du selbst“, Ellert&Richter / Hamburg
www.dr-soyka.de
Youtube Kanal „Hilfe zur Selbsthilfe“

In dieser Rubrik drucken wir abwechselnd Texte von Dr. Matthias Soyka, Dr. Bernd Hontschik und Dr. Christine Löber.

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