War die Einführung der Telematikinfrastruktur bisher nützlich?
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Maildienst bringt Nutzen
Digitale Medizin hat in erster Linie mit Menschen zu tun. Mit denjenigen, die die Anwendungen nutzen. Was sie brauchen, ist von zentraler Bedeutung für eine erfolgreiche Digitalisierung.
Wir haben angefangen, auf die Nutzer zu hören. Mit der Ärztekammer Berlin und dem Verband medizinischer Fachangestellter etwa haben wir Kooperationen, um mehr voneinander zu lernen. Mit Hausärzten und Kassenärztlichen Vereinigungen stehen wir im Austausch. Wir gehen in Praxen und schauen, wie es vor Ort läuft.
Unser Maildienst KIM bringt medizinischen Nutzen. Das belegen über 100 Millionen KIM-Nachrichten, die bereits versendet wurden. In den Startlöchern steht mit dem TI-Messenger darüber hinaus ein Kurznachrichtendienst für die Direktkommunikation. Das E-Rezept funktioniert. Mitte des Jahres kommt mit der eGK eine dritte Einlöseoption hinzu. Und ebenfalls ab diesem Jahr kann auch die Anbindung mit den ersten Schritten hin zur TI 2.0 einfacher werden.
Natürlich müssen digitale Lösungen sicher sein. Dass sie aber auch komfortabel sind und sich am Bedarf der Menschen orientieren, ist das A und O.
Zu komplex und aufwändig
Vor 22 Jahren kündigte die damalige Gesundheitsministerin Ulla Schmidt vor dem Hintergrund des Arzneimittelskandals mit Lipobay digitale Anwendungen im Gesundheitsbereich an, die solche Skandale zukünftig verhindern sollen.
Zwei Jahrzehnte später blicken wir auf den Status Quo und müssen konstatieren: Wir würden heute einen solchen Arzneimittelskandal keinen Tag früher erkennen respektive verhindern können.
Woran liegt das? Aktuell haben wir es mit vier unterschiedlichen Anwendungen rund um die Medikation zu tun, die alle nicht miteinander verbunden sind: Den E-Medikationsplan, den Notfalldatensatz, die elektronische Patientenakte (ePA) und die E-Rezept-App. Diese Anwendungen werden kaum genutzt. Aus Sicht von Ärzten und Patienten sind sie zu komplex und aufwändig. Der Zugang ist alles andere als niedrigschwellig. Das ist sehr bedauerlich, denn laut Bundesregierung gibt es in Deutschland pro Jahr eine halbe Million vermeidbare Klinikeinweisungen durch Medikationsfehler.
Leistungserbringer aus der Praxis sowie Bürger und Bürgerinnen müssen zukünftig konsequent bei allen Phasen der Entwicklung von digitalen Anwendungen einbezogen werden – am besten bereits bei der Konzeption.
Ein Opt-out macht bei der ePA nur Sinn, wenn es in der ePA verpflichtende Basisdaten wie verordnete Medikamente oder schwerwiegende Vorerkrankungen gibt und die ePA endlich mit alltagsrelevanten Funktionen, wie Online-Terminvereinbarung oder Videosprechstunde komplettiert wird. Sonst haben die meisten Versicherten eine „tote“ ePA.
Es gibt noch einen weiteren Grund für die schleppende digitale Transformation. Deutschland erlaubt sich eine ineffiziente Steuerung und Architektur rund um die TI, die ihresgleichen sucht. Der Gesetzgeber definiert Anwendungen bis hin zu Einzelfunktionen. Die Vorgaben werden dann von der Gematik unter dem nicht immer der Sache dienenden Einfluss der Gesellschafter oft über Jahre spezifiziert. Irgendwann werden Hersteller mit der Entwicklung der Anwendung beauftragt. Dabei können niemals nutzerfreundliche und nützliche sowie dem aktuellen Stand entsprechende digitale Anwendungen herauskommen. Viele europäische Länder zeigen, wie die Governance der digitalen Transformation erfolgreich funktionieren kann.
Die TI kann noch eine Erfolgsgeschichte werden – dazu muss an zwei Stellen entscheidend nachgebessert werden: Erstens bei der konsequenten Ausrichtung am Nutzen für Patienten und Behandelnde, zweitens durch eine gezielte Gesamtsteuerung der TI, die ein höheres Tempo und eine klare Ausrichtung ermöglicht sowie Einzelinteressen neutralisiert.