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Traumatische Meniskusrisse bei jungen Menschen: Konservativ behandeln oder operieren?

Aus dem Netzwerk evidenzbasierte Medizin

Von Roland Büchter im Auftrag des Netzwerks Evidenzbasierte Medizin e. V. (www.ebm-netzwerk.de)

Vor 50 Jahren erforderte ein Eingriff am Meniskus die Operation am offenen Knie. Die Indikation war auf Situationen beschränkt, in denen das Knie zum Beispiel durch einen Korbhenkelriss blockiert war – und nicht mehr vollständig gestreckt werden konnte. Mit dem Einzug arthroskopischer Techniken wurde die Indikation stetig ausgeweitet [1]. Technische Innovationen allein bedeuten aber noch keinen Fortschritt. Erst die Kombination von Innovation plus Evaluation stellt tatsächlichen Fortschritt sicher [2].

Für degenerative Meniskusrisse ist lange belegt, dass arthroskopische Eingriffe keine oder nur minimale und temporäre Linderung bieten [3,4]. Bei traumatischen Meniskusrissen, die meist Folge arbeits- oder sportbedingter Verletzungen bei jüngeren Menschen sind, wird ein Eingriff mitunter als unumgänglich angesehen. So heißt es in der Einleitung der Konsensus-Leitlinie der Deutschen Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie (DGOU) von 2018: „Generell gilt aber weiterhin, dass bei einem akuten, traumatischen Meniskusschaden von einer konservativen Therapie Abstand genommen werden sollte“ [5]. Randomisierte kontrollierte Studien, die eine solche Empfehlung stützen würden, gab es bis vor kurzem nicht [6]. Dies hat sich mit der 2022 veröffentlichten DREAM-Studie geändert (DREAM: Danish RCT on Exercise versus Arthroscopic Meniscal Surgery for Young Adults) [7].

WAS WURDE IN DREAM UNTERSUCHT?

In DREAM wurden 121 Patientinnen und Patienten zwischen 18 und 40 Jahren mit traumatischen Meniskusrissen zu operativer oder konservativer Behandlung randomisiert und für 12 Monate nachbeobachtet. Die schmerzhaften Risse wurden sowohl klinisch (positiver Thessaly- oder McMurray-Test) als auch mittels MRT verifiziert. Personen mit Kreuz- oder Außenbandrissen wurden ausgeschlossen.

Die Operateurinnen und Operateure entschieden sich während der Arthroskopie anhand ihrer klinischen Einschätzung für eine partielle Meniskektomie (mit anschließender Edukation) oder eine Meniskusreparatur (mit anschließender Rehabilitation). Konservativ behandelte Patientinnen und Patienten erhielten eine in Gruppen angebotene 12-wöchige Physiotherapie mit zwei 60 bis 90-minütigen Therapieeinheiten pro Woche. Die darin enthaltenen neuromuskulären Übungen und Kraftübungen wurden im Schweregrad individualisiert.

Drei Viertel der Patientinnen und Patienten in DREAM hatten traumatische Risse (zum Beispiel Sport­unfall) oder semi-traumatische Risse (zum Beispiel Knie verdreht). Die Beschwerdedauer lag typischerweise zwischen 0 und 6 Monaten, in etwa 50% der Fälle lagen gelegentliche Einklemmungssymptome vor. Die Adhärenz mit der konservativen Behandlung lag bei 59% (definiert als mindestens 18 von 24 Teilnahmen an den Therapiesitzungen). Die arthroskopische Behandlung bestand in etwa 70% der Fälle in einer Meniskus-Teilresektion; nur in etwa 10% war eine alleinige Naht des Meniskus ausreichend.

Der primäre Endpunkt der Studie war der Gruppenunterschied in der Besserung der Kniebeschwerden von Baseline zu 12 Monaten. Gemessen wurden die Beschwerden mit dem Knee Injury and Osteoarthritis Outcome Score (KOOS4). Dieser validierte Fragebogen bildet unter anderem Symptome (z.B. Schmerzen, Klicken, Geräusche), Beweglichkeitseinschränkungen, Steifigkeit sowie Einschränkungen in der Freizeit und beim Sport ab (Skala: 0 bis 100; 100 = absolute Beschwerdefreiheit). Laut Autorengruppe sind Veränderungen von 10 oder mehr Punkten spürbar und damit klinisch relevant. Dies deckt sich mit der Literatur, wobei es kaum Daten zur Bestimmung klinischer Relevanzgrenzen bei Populationen mit Meniskusrissen gibt [8].

KONSERVATIVE THERAPIE ZEIGT SICH ALS GEEIGNETE BEHANDLUNGSOPTION

Die KOOS4-Werte besserten sich innerhalb von 12 Monaten im Mittel um 19,2 Punkte (Meniskus-Operation) bzw. 16,4 Punkte (konservative Behandlung). Im Durchschnitt lagen sie zu Baseline bei 56 Punkten und nach 12 Monaten bei 75 Punkten, wobei die Besserung hauptsächlich in den ersten 3 bis 6 Monaten eintrat. KOOS-Referenzwerte aus jungen und gesunden Populationen liegen im Bereich von 90 Punkten [9,10]. Die vollständigen Ergebnisse für den primären und die sekundären Endpunkte finden sich in der Tabelle.

Tabelle: Ergebnisse nach 12 Monaten

Der nach Alter, Geschlecht und Studienzentrum adjustierte Gruppenunterschied für den primären Endpunkt lag numerisch bei 5,4 Punkten zugunsten der Operation und war nicht statistisch signifikant. Das 95%-Konfidenzintervall reichte von -0,7 bis 11,4 und schloss einen klinisch relevanten Unterschied zwischen den Gruppen von 10 Punkten damit annähernd aus.

Von den Patientinnen und Patienten, die zur konservativen Therapie randomisiert wurden, entschieden sich 26% (16 von 61) im Studienverlauf für eine Operation; 13% der zur Operation randomisierten Teilnehmenden entschieden sich dann doch gegen eine Operation (8 von 60).

Der Gruppenunterschied aus der oben berichteten Intention-to-treat-Analyse (Auswertung unter Einhaltung der Randomisierung) war konsistent mit Ergebnissen aus Per-Protokoll-Analysen (Ausschluss von Therapiearmwechslern und Personen mit niedriger Adhärenz) und As-treated-Analysen (Vergleich operierter und nicht-operierter Personen unter Verletzung der Randomisierung).

Die DREAM-Studie hatte keinen Sham-Arthroskopie-Arm, der eine Differenzierung von spezifischen und unspezifischen Effekten der Operation (Placebo- bzw. Kontexteffekten) erlaubt hätte. Bemerkenswert ist jedoch die große Transparenz der Studienunterlagen sowie die methodische Rigorosität, mit der die Forschergruppe vorgegangen ist. Beispielsweise hat die Autorengruppe den Ergebnisbericht für den primären Endpunkt der Studie verblindet verfasst, um den Einfluss persönlicher Vorannahmen bei der Interpretation zu begrenzen.

DIE BEHANDLUNG TRAUMATISCHER MENISKUSRISSE IST EINE PRÄFERENZ-SENSITIVE ENTSCHEIDUNG

In der Gesamtschau zeigt diese gut gemachte und transparent berichtete Studie, dass sowohl eine konservative als auch eine operative Behandlung traumatischer Meniskusrisse geeignete Therapiealternativen sind. Die Behandlungswahl ist eine klassische präferenzsensitive Entscheidung, die am besten unter partizipativer Entscheidungsfindung getroffen wird. Die Ergebnisse der DREAM-Studie können diese Entscheidung im Konsultationsgespräch stützen.

Die Präferenzsensitivität der Entscheidung ergibt sich neben praktischen Aspekten auch aus den Risiken einer Operation. So ist bei jeweils etwa 1000 partiellen Meniskektomien mit einer Lungenembolie und einer septischen Arthritis zu rechnen [11]. Die Nachbeobachtungsdauer von einem Jahr in der DREAM-Studie war deutlich zu kurz, um das Arthrose-Risiko abschätzen zu können. Nach anderen Untersuchungen können Meniskusteilresektionen jedoch zu Knorpelschäden führen und das Risiko für Kniearthrose und einen Gelenkersatz um etwa 25% erhöhen [3,12,13].

Die unterschiedlichen Präferenzen zeigen sich mitunter auch in den Gründen, aus denen sich einige Studienteilnehmende in DREAM nach der Randomisierung für einen Therapiewechsel entschieden haben. Darunter befanden sich zum einen (mitunter ausgeprägte) Beschwerden, die sich unter konservativer Behandlung nicht besserten und den Wunsch nach einer OP begründeten, zum anderen rasche Besserungen der Beschwerden vor dem geplanten OP-Termin. Auch persönliche Gründe wie Angst vor der Operation oder berufliche Hintergründe wurden von den Studienteilnehmenden genannt. Einige Patientinnen und Patienten, die für die Studie infrage gekommen wären, ließen sich zudem nicht für eine Teilnahme gewinnen, weil sie eine klare Präferenz für die eine oder die andere Behandlung hatten.

Für Patientinnen und Patienten, die eine OP eher ablehnen, ist die Physiotherapie eine gute Alternative – zumal der Meniskus bei anhaltenden Beschwerden später immer noch operiert werden kann. Wie vor 50 Jahren sollten wohl auch heute nur wenige Gründe, wie beispielsweise eine absolute Knieblockade, als starke Indikation für eine Meniskusoperation betrachtet werden.

ROLAND BÜCHTER
Wissenschaftlicher Mitarbeiter Institut für Qualität und Wirtschaftlich­keit im Gesundheitswesen (IQWiG)
roland.buechter@iqwig.de

Quellen:

1. Järvinen TLN, Guyatt GH. Surgery: Falling out of love with knee arthroscopy. Nat Rev Rheumatol 2017; 13(9): 515-516. https://dx.doi.org/10.1038/nrrheum.2017.106

2. Glasziou P. Most innovations are not advances: innovation + evaluation = progress. BMJ Opinion: 2013. URL: https://blogs.bmj.com/bmj/2013/01/14/paul-glasziou-most-innovations-are-not-advances-innovation-evaluation-progress/

3. O'Connor D, Johnston RV, Brignardello-Petersen R et al. Arthroscopic surgery for degenerative knee disease (osteoarthritis including degenerative meniscal tears). Cochrane Database Syst Rev 2022; 3(3): Cd014328. https://dx.doi.org/10.1002/14651858.Cd014328

4. Wijn SRW, Hannink G, Østerås H et al. Arthroscopic partial meniscectomy vs non-surgical or sham treatment in patients with MRI-confirmed degenerative meniscus tears: a systematic review and meta-analysis with individual participant data from 605 randomised patients. Osteoarthritis Cartilage 2023; 13 January [ahead of print]. doi: https://doi.org/10.1016/j.joca.2023.01.002

5. Siebert CH, Becker R, Buchner M et al. S2k-Leitlinie Meniskuserkrankung: konservative und operative Therapie. Z Orthop Unfall 2018; 156(3): 324-329. https://dx.doi.org/10.1055/s-0044-101558

6. Thorlund JB, Juhl CB, Ingelsrud LH et al. Risk factors, diagnosis and non-surgical treatment for meniscal tears: evidence and recommendations: a statement paper commissioned by the Danish Society of Sports Physical Therapy (DSSF). Br J Sports Med 2018; 52(9): 557-565. https://dx.doi.org/10.1136/bjsports-2017-098429

7. Skou ST, Hölmich P, Lind M et al. Early Surgery or Exercise and Education for Meniscal Tears in Young Adults. NEJM Evidence 2022; 1(2): EVIDoa2100038. https://dx.doi.org/doi:10.1056/EVIDoa2100038

8. Çelik D, Çoban Ö, Kılıçoğlu Ö. Minimal clinically important difference of commonly used hip-, knee-, foot-, and ankle-specific questionnaires: a systematic review. J Clin Epidemiol 2019; 113: 44-57. https://dx.doi.org/10.1016/j.jclinepi.2019.04.017.

9. Frobell RB, Svensson E, Göthrick M et al. Self-reported activity level and knee function in amateur football players: the influence of age, gender, history of knee injury and level of competition. Knee Surg Sports Traumatol Arthrosc 2008; 16(7): 713-719. https://dx.doi.org/10.1007/s00167-008-0509-y

10. Paradowski PT, Bergman S, Sundén-Lundius A et al. Knee complaints vary with age and gender in the adult population. Population-based reference data for the Knee injury and Osteoarthritis Outcome Score (KOOS). BMC Musculoskelet Disord 2006; 7: 38. https://dx.doi.org/10.1186/1471-2474-7-38

11. Abram SGF, Judge A, Beard DJ et al. Adverse outcomes after arthroscopic partial meniscectomy: a study of 700 000 procedures in the national Hospital Episode Statistics database for England. Lancet 2018; 392(10160): 2194-2202. https://dx.doi.org/10.1016/s0140-6736(18)31771-9

12. Roemer FW, Kwoh CK, Hannon MJ et al. Partial meniscectomy is associated with increased risk of incident radiographic osteoarthritis and worsening cartilage damage in the following year. Eur Radiol 2017;27(1):404-413. doi: https://doi.org/10.1007%2Fs00330-016-4361-z

13. Park CM, Ryoo S, Choi M et al. Total Knee Replacement After Arthroscopic Meniscectomy in Knee Osteoarthritis: A Nationwide Population-Based Cohort Study. J Korean Med Sci 2023;38:e6. doi: https://doi.org/10.1016/j.joca.2023.01.002