Geheimhaltung greift um sich
Kolumne
von Dr. Bernd Hontschik
Chirurg in Frankfurt/Main
Ein Fußballspieler kracht im WM-Endspiel 2014 Kopf an Kopf mit einem Gegenspieler zusammen, torkelt, verliert die Orientierung und fragt den Schiedsrichter, ob das hier wirklich das WM-Finale sei. Erst nach einer Viertelstunde wird er vom Feld genommen und kann sich bis heute an nichts erinnern. Vom Vortrag eines renommierten Sportmediziners über die „Rolle von Kopfbällen auf das Gehirn“ schloss die UEFA in Frankfurt jüngst sämtliche Medienvertreter aus. Warum, was will die UEFA verbergen?
Als die Universitätskliniken Marburg und Gießen 2006 von der Regierung Koch an den Rhön-Konzern verscherbelt wurden, konnte der Kaufvertrag nicht öffentlich diskutiert werden, obwohl es sich hier um öffentliches Eigentum handelte. Der Kaufvertrag ist bis heute geheim! Warum, was will die Landesregierung verbergen?
Die EU-Kommission bestellte 2020 bei verschiedenen Pharmakonzernen Corona-Impfstoffe. Die gleiche Dosis Impfstoffe kostete einmal 2,30 Euro, ein andermal 18,20 Euro – reine Willkür. Mitten in der Pandemie erhöhten Biontech, Moderna und Pfizer ihre Preise erheblich, zum Teil bis zum Doppelten. Bis heute sind über diese Vorgänge nur bruchstückhafte Informationen durchgesickert. Die Inhalte aller Kaufverträge sind auf Dauer geheim. Warum, was will die EU-Kommission verbergen?
Eine Hauptursache für den gegenwärtigen Medikamentenmangel sind die sogenannten Rabattverträge. In diesem Fall sind die Pharmafirmen ausnahmsweise nicht die Bösen, sondern das sind die Krankenkassen. Sie haben die Pharmafirmen in einen ruinösen Preiskampf gezwungen, indem sie ihren Versicherten nur noch das billigste Medikament ersetzt haben. Viele Firmen haben daraufhin die Produktion bestimmter Generics ganz eingestellt. Sämtliche Rabattverträge aller Krankenkassen waren von Anfang an und sind bis heute geheim. Warum, was wollen die Krankenkassen verbergen?
In der allgemeinen Seuchenhysterie veranlasste der damalige Bundesgesundheitsminister Jens Spahn Anfang 2020 ein sogenanntes Open-House-Verfahren. Ohne jede Ausschreibung erhielt jeder Verkäufer einen Vertrag, der FFP-2-Masken für 4,50 Euro und OP-Masken für 60 Cent anbieten konnte – Wucherpreise für diese Pfennigartikel. Schon nach wenigen Tagen waren 733 Verträge mit 535 Lieferanten über mehr als 6,4 Milliarden Euro zu Stande gekommen. Aber ein großer Teil dieser Masken war minderwertig. Man schämte sich nicht, Millionen mangelhafter Masken an Pflegeheime und andere Einrichtungen zu verschicken und einen großen Teil der nutzlosen Masken an Menschen mit Behinderung, an Obdachlose und an Hartz-IV-Empfänger zu verschenken. Dann kaufte man auch noch 570.000 FFP2-Masken von der Burda GmbH, dem Arbeitgeber von Daniel Funke, dem Ehemann von Jens Spahn. Die Einzelheiten sämtlicher Kaufverträge sind geheim. Warum, was will das Bundesgesundheitsministerium verbergen?
Es folgten etwa hundert Klagen von Maskenlieferanten, weil das Ministerium ihre Rechnungen nicht bezahlt hat. Allein an die Ernst & Young Law GmbH hat das Ministerium 42 Millionen Euro für Anwaltstätigkeiten bezahlt, um diese Klagen abzuwehren. Auch unter Karl Lauterbach bleibt das Ministerium intransparent und erklärte lapidar gegenüber der Bild-Zeitung: „Bisher sind rund 50 Vergleiche geschlossen worden. Zu den Vertragsdetails gibt das Bundesministerium für Gesundheit keine Auskunft.“ Warum, was will das Ministerium verbergen?
Geheimhaltung greift um sich. Geheimhaltung untergräbt die Dreiteilung der Gewalten. Geheimhaltung ist Gift für das Vertrauen in die demokratischen Institutionen. Geheimhaltung ist Wasser auf die Mühlen von Verschwörungstheoretikern und Staatsverächtern. Geheimhaltung ist außerdem eine arrogante Anmaßung von Regierungen gegenüber dem eigenen Volk, obwohl es in Artikel 20 des Grundgesetzes heißt, dass „alle Staatsgewalt vom Volke“ auszugehen hat: „Sie wird vom Volke in Wahlen und Abstimmungen und durch besondere Organe der Gesetzgebung, der vollziehenden Gewalt und der Rechtsprechung ausgeübt.“
Von Geheimhaltung durch die vollziehende Gewalt ist da keine Rede.
DR. MED. BERND HONTSCHIK ist Chirurg und Buchautor.
Zuerst abgedruckt in der Frankfurter Rundschau – Nachdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors
Aktuell im Buchhandel: „Heile und herrsche. Eine gesundheitspolitische Tragödie“, Westend-Verlag
chirurg@hontschik.de
https://chirurg.hontschik.de/
In dieser Rubrik drucken wir abwechselnd Texte von Dr. Bernd Hontschik, Dr. Christine Löber und Dr. Matthias Soyka.