„Das von Ihnen verordnete Mittel haben wir nicht“
VON DR. med. claudia haupt
Was bedeutet der Mangel an kindgerechten Antibiotika für die Versorgung? Das Management der Engpässe kostet Zeit. Eine Verordnung von Medikamenten der ersten Wahl ist oft nicht möglich. Und wenn die ambulante Antibiose nicht mehr sichergestellt werden kann, werden Kinder ins Krankenhaus eingewiesen.
Die Verfügbarkeit von Antibiotika ist in der ambulanten Pädiatrie schon seit Monaten stark eingeschränkt. Ich möchte vorwegschicken: Wir verordnen Antibiotika sehr zurückhaltend. Wenn wir es tun, ist es unserer Einschätzung nach wirklich notwendig: beispielsweise bei bakterieller Lungenentzündung, fortgeschrittener Mittelohrentzündung, hochfieberhafter Scharlacherkrankung oder hochfieberhafter Harnwegsinfektion.
Antibiotic Stewardship bedeutet aber auch, Medikamente mit möglichst eng auf die jeweilige Indikation ausgerichtetem Wirkspektrum zu verordnen. Das ist in der aktuellen Mangelsituation oftmals nicht möglich.
Schwer erhältlich sind Amoxicillin, Amoxicillin Clavulansäure, die meisten Cephalosporine, Penicillin V Saft und sogar das von uns manchmal zum Ausweichen benutzte Azithromycin – alles Antibiotika, die wir häufig brauchen.
Wenn ich diese Mittel verordne, weiß ich: Die Eltern werden das Rezept mit hoher Wahrscheinlichkeit nicht problemlos einlösen können.
Eltern mit guten Sprachkenntnissen, denen wir eine gewisse Hartnäckigkeit zutrauen, schicken wir los, um Rezepte auf eigene Faust einzulösen. Das ist nicht einfach. Manchmal gelingt es erst in der sechsten oder siebten Apotheke.
Wenn verzweifelte Eltern in der Apotheke stehen, rufen Mitarbeiter:innen bei uns in der Praxis an und fragen nach Alternativen: „Das von Ihnen verordnete Mittel haben wir nicht. Was können wir stattdessen rausgeben?“ Dann geht es einige Male hin und her: Haben Sie dies? Haben Sie jenes? Wenn ein passendes Mittel gefunden wird, stellen wir ein neues Rezept aus, das wir per Fax an die Apotheke schicken und dann noch im Original per Post nachsenden müssen.
Für Familien, denen die Suche beispielsweise aufgrund einer Sprachbarriere nicht zuzumuten ist, übernehmen unsere Mitarbeiterinnen die telefonische Suche nach einem verfügbaren Medikament.
Einige Apotheken aus der Nachbarschaft haben wir gebeten, uns am Montagmorgen mitzuteilen, wie viele Fläschchen von welchem Antibiotikum in welcher Dosierung sie vorrätig haben oder in den nächsten Tagen bereitstellen können. So können wir Eltern öfter gezielt in eine bestimmte Apotheke schicken. Oder die Apotheke bitten, ein Mittel für eine bestimmte Familie zu reservieren.
Das alles ist ein Riesen-Aufwand. Und der Mangel hat Folgen für die Versorgung: Teilweise müssen wir Mengen nehmen, die nicht passen: etwa zwei kleine Flaschen, weil eine größere nicht verfügbar ist – was unter normalen Umständen als unwirtschaftlich gelten würde. Manchmal sind wir gezwungen, Mittel zu verordnen, die nicht erste Wahl sind oder nicht das engste Wirkspektrum aufweisen.
Und die Unsicherheit wächst: Ich habe von Kolleg:innen gehört, die Kinder ins Krankenhaus einweisen mussten, weil die ambulante Antibiose nicht mehr sichergestellt werden konnte.
Das Bundesgesundheitsministerium will mit einem Gesetz dafür sorgen, dass insbesondere Kinderarzneimittel verlässlicher verfügbar werden. Ich würde mir darüber hinaus eine schnelle Initiative wünschen, die wichtigsten Arzneimittel auf dem internationalen Markt zu beschaffen. Denn so kann es nicht weitergehen, und die gesetzlichen Maßnahmen werden wohl erst mittelfristig greifen.
DR. MED. CLAUDIA HAUPT, Fachärztin für Kinder- und Jugendmedizin in Blankenese und Hamburger Landesvorsitzende des Berufsverbandes der Kinder- und Jugendärzte (BVKJ)