Wie haben Sie die Infektwelle dieses Winters in Ihrer Praxis erlebt?
Nachgefragt
Mehrbelastung ist erheblich
Der Unterschied zu den vorherigen Wintern ist deutlich spürbar: Wir sehen in unserer HNO-Praxis viel mehr akute und oftmals auch ziemlich langwierige Infekte. Ganze Familien kommen zu uns – auch viele Kinder, die in den pädiatrischen Praxen nicht unterkommen und deshalb von uns mitversorgt werden. Die Mehrbelastung ist erheblich. Gleichzeitig werden wir von der fachlichen Arbeit abgehalten: durch Bürokratie, ständig veränderte Regelungen und eine dysfunktionale Telematikinfrastruktur.
Mich beschäftigt schon, dass die Praxen viel leisten und auch krisenhafte Situationen flexibel abfangen – aber von der Politik nahezu völlig marginalisiert werden. Die fehlende Wertschätzung ärgert mich. Es ist höchste Zeit, dass die Honorare der Vertragsärztinnen und Vertragsärzte entbudgetiert werden. Seit den 1990er Jahren mussten wir finanzielle Einbußen hinnehmen, während die Löhne der meisten anderen Berufsgruppen angestiegen sind. Dazu kommen die gestiegenen Ausgaben und die Inflation. Wir werden sehen, was die erneute Budgetierung der OT- und Neupatienten für die Einnahmesituation unserer Praxis bedeutet. Gut möglich, dass wir unser Leistungsangebot den wirtschaftlichen Realitäten anpassen müssen.
Alle haben die Nase voll
Die Infektwelle hat uns in unserer Praxisgemeinschaft gleich auf mehreren Ebenen stark beansprucht. Die Patientenzahlen haben zugenommen. Unter anderem viele junge Menschen haben erkannt, wie wichtig und hilfreich es sein kann, hausärztlich gut versorgt zu sein. Gleichzeitig ist der Beratungsaufwand höher geworden. Eine einfache Erkältung wirft in diesem Winter mehr Fragen auf als vor der Pandemie. Und: Die Team-Mitglieder der Praxis waren selbst wiederholt von Infekten betroffen. Unsere MFAs haben alles gegeben, um den Praxisbetrieb auch bei hohem Krankenstand aufrecht zu erhalten. Dafür sind wir sehr, sehr dankbar.
Wir müssen unser Team dringend verstärken, denn mit unserer derzeitigen dünnen Personaldecke kann es eigentlich nicht weitergehen. Leider konnten wir zwei offene Stelle bislang nicht nachbesetzen. Das Team ist erschöpft von den Anstrengungen der letzten drei Jahre. Wir haben uns mit Ach und Krach in die Feiertage gerettet und hatten doch kaum Gelegenheit, uns zu erholen. Alle haben die Nase voll, faktisch und sprichwörtlich.
Was wir uns wünschen? Die Hausarztmedizin muss entbudgetiert und nachhaltig solide honoriert werden, damit wir unser Team verstärken können und unseren Angestellten einen attraktiven Job anbieten können. Hausärztinnen und Hausärzte haben eine wichtige gesellschaftliche Aufgabe. Die müssen wir erfüllen können, ohne dabei selbst vor die Hunde zu gehen. Dazu braucht es entschlossene Politik, die auf Basis der lange bekannten demografischen Prognosen tragfähige Entscheidungen trifft.
Widrige Rahmenbedingungen
Die Behandlungskapazitäten unserer pneumologischen Praxis waren schon ausgeschöpft, bevor die Infektionswelle begann. Nun schieben wir trotzdem zusätzliche Fälle dazwischen. Der Vorteil der ambulanten Versorgungsstruktur ist ja, dass wir unsere Patientinnen und Patienten kennen und oftmals verhindern können, dass schwere COPD-Fälle stationär eingewiesen und beatmet werden müssen.
Allerdings haben wir im vertragsärztlichen Bereich mit widrigen Rahmenbedingungen zu kämpfen. Dass wir uns mit der bisher völlig unnützen Telematikinfrastruktur auseinandersetzen müssen und nun schon wieder sämtliche Komponenten austauschen müssen ohne Vorteil für Patienten und Praxis, stößt auf mein grenzenloses Unverständnis. Die Neupatientenregelung abzuschaffen, war ein großer Fehler. Unsere Praxis ist ausgebucht bis Juni. Wenn wir mehr Sprechstunden anbieten wollten, bräuchten wir zusätzliches Personal, für das die Finanzierung fehlt. Politiker und Krankenkassen achten nicht, was wir leisten – und geleistet haben, auch während der Pandemie. Wenn ich höre, die Ärztinnen und Ärzte hätten beim Impfen satt verdient, fühle ich mich wirklich verhöhnt.