12/2025 12/2025

Falsche Privatisierung und gefährliche Kollektivierung im Gesundheitswesen

Kolumne

von Dr. Matthias Soyka
Orthopäde in Hamburg-Bergedorf

Deutschland hatte mal ein vorbildliches Gesundheitswesen, um das uns die meisten Länder beneideten. In diesem Gesundheitswesen wurden die meisten Krankenhäuser staatlich geführt, vorwiegend von Städten, Gemeinden oder Landkreisen. Fast alle Arztpraxen gehörten den darin arbeitenden Ärzten, die sich als Freiberufler verstanden.

Doch das ist Vergangenheit. Anfang des Jahrtausends wurde das Gesundheitssystem komplett umgekrempelt. Gesundheitsministerin Ulla Schmidt und ihre Lieblingsberater tobten sich bei der Verwirklichung ihrer Utopien hemmungslos aus. Der Krankenkassen-Multifunktionär Franz Knieps und der grandiose Karl Lauterbach ließen sich die Gelegenheit nicht entgehen. Sie schufen mit den Diagnosis Related Groups die Basis der Ökonomisierung und Profitorientierung der Krankenhäuser, die den Weg für die Privatisierung der Krankenhäuser ebnete und damit die Probleme hervorrief, die Lauterbach 20 Jahre später, jetzt als Minister, so anprangerte, als hätte er nicht das Geringste damit zu tun. Zugleich säte er ungerührt mit seinem Krankenhausförderungsgesetz die Probleme der Zukunft.

Noch gravierender als die Krankenhausprivatisierung war allerdings, dass Schmidt, Knieps und Lauterbach den Startschuss für die Abschaffung der freiberuflichen Arztpraxen gaben. Sie zielten zunächst auf die Praxen der Fachärzte, aber erledigten viele Hausarztpraxen gleich mit.

Dazu mussten sie nicht viel tun. Es reichte, die Honorare der Praxen über mehrere Jahre nicht an die Inflation anzupassen. Ihr Mittel war die finanzielle Austrocknung des ambulanten Bereichs, die jetzt mehr als zwei Jahrzehnte andauert. Die miese Finanzlage der Praxen führte erst langsam, dann immer schneller zu einem hoffnungslosen Investitionsklima. Immer häufiger fanden Praxen keinen Nachfolger.

Wie geplant schlug jetzt die Stunde der mutigen Investoren, denen die Gesundheitspolitik auch rechtlich viele Wege ebnete. Das, was zuvor verboten war, wurde plötzlich massiv gefördert. Mit allerlei Konstrukten ermöglichte die Politik den Investoren, Praxen aufzukaufen und die dort tätigen Ärzte in Medizinischen Versorgungszentren zu konzentrieren.

Natürlich gab und gibt es auch MVZ in ärztlicher Hand, aber die Mehrheit der neuen MVZ gehört inzwischen gewinnorientierten Akteuren. Das sind Kliniken, die sich dadurch mehr Zuweisung erhoffen. Das sind Apotheken und Pharmafirmen, die sich durch legale und illegale Wege den Zugriff auf Medikamenten-Verordnungen sichern wollen – vor allem im Bereich der Onkologie.

Und es sind Investoren, die hoffen, die Praxen so auf Kurs zu bringen, dass von den schmalen Honoraren irgendwie ein Profit abfällt. Schließlich gibt es noch die kommunalen oder sonst wie staatlichen MVZ, die meist eine Notlösung darstellen, weil sich zu den jetzigen Honoraren kein freier Arzt findet, der das Wagnis einer Praxisübernahme eingeht.

Damit sieht die Gesundheitslandschaft heute umgekehrt aus wie früher. Viele Kliniken sind in privater Hand und viele einst privat geführte Praxen sind verschwunden – ersetzt durch Institutionen der Kollektivierung. Und genau das ist das Problem.

Krankenhäuser gehören zur Daseinsvorsorge, um die sich der Staat kümmern muss, wie um Feuerwehr und Polizei. Sie für den Profit zu öffnen, birgt ein großes Risiko. Das erkennt man z.B. am Umgang mit Krankenhausabteilungen, die zwar medizinisch sinnvoll sind, aber nicht profitabel.

Krankenhauskonzerne schließen Abteilungen wie Geburtshilfe oder Kinderkliniken, nur weil sie keinen Gewinn abwerfen. Umgekehrt werden Krankenhauskapazitäten dafür verwendet, lukrative Behandlungen an Auslandspatienten zu verkaufen. Oder es werden aus Profitgier überflüssige Proceduren angeboten.

Das Vorhalten von Krankenhäusern wurde früher zu Recht als eine Pflicht des Staates angesehen. Doch diese Pflicht hat er schon damals schlecht erfüllt. Die von Landräten, Kirchenkreisen und Gesundheitssenatoren geführten Kliniken litten unter Investitionsstau bis hin zum Verfall von Gebäuden.

Eine wichtige Ursache war die Überbürokratisierung. So verfügten die Allgemeinen Krankenhäuser in Hamburg nicht nur über einen gewaltigen internen Verwaltungsapparat. Darüber thronte auch noch ein „Landesbetrieb Krankenhäuser“, dem wiederum eine üppig bestückte Gesundheitsbehörde vorstand. Eine weitere Facette der Krankenhauskrise war eine toxische Personalführung, die zu einer trägen Unternehmenskultur in den staatlichen Häusern führte. Ein einziger Satz charakterisiert diesen Geist ziemlich gut: „Das mache ich nicht, das ist Arztaufgabe.“

Private Krankenhäuser wirkten in diesen Zeiten erfrischend und waren eine bereichernde „Beimischung“, die den trägen staatlichen Häusern die Benchmark vorhielten. Viele Politiker sahen daher die Privatisierung der Krankenhäuser als bequemen Ausweg aus der von ihnen selbst produzierten Dysfunktionalität, der zudem oft auch noch etwas Geld in die klammen Kassen spülte.

Dass aber private Krankenhäuser inzwischen der Normalfall und staatliche Häuser die Ausnahme sind, ist grundfalsch und eine der Ursachen der aktuellen Krise im Gesundheitswesen. Statt die staatlichen Aufgaben anständig zu erfüllen, gaben die Politiker diese Aufgabe in Hände der Investoren. Dabei wäre eine straff und gut geführte öffentliche Kliniklandschaft das beste Modell für die stationäre Krankenversorgung.

Im ambulanten Bereich ist es genau umgekehrt. Hier ist die inhabergeführte Praxis die ideale Organisationsform. Der Grund ist nicht nur die enorme intrinsische Motivation des Eigentümers. Es ist vor allem die Unabhängigkeit seines medizinischen Urteils. Als Patient wünscht man sich einen Arzt, der ohne organisatorische oder wirtschaftliche Verflechtungen berät. Man möchte auch, dass niemand sonst Zugriff auf die Patientenkartei hat. Und man möchte nicht ständig seinen Arzt wechseln.

Das alles bieten die freien Arztpraxen. Natürlich wird die Einzelpraxis nicht die Zukunft sein, auch wenn sie für manche durchaus gute, aber eigenwillige Ärzte die ideale Organisationsform ist.

Die meisten Ärzte arbeiten lieber in einem Team. Doch zu große Einheiten machen die Vorteile des kollegialen Miteinanders wieder zunichte. Der Kommunikationsbedarf steigt mit jedem zusätzlichen Teammitglied. Während kleinere Einheiten von tüchtigen Ärzten effektiv selbst verwaltet werden können, benötigt man ab einer bestimmten Größe eine Geschäftsführung, die man für teures Geld einkaufen muss.

Größe ist im ambulanten Bereich daher kein Vorteil, sondern meist ein Nachteil. Das spürt man nicht zuletzt, wenn eine große MVZ Kette pleite geht. Dann ist der Schaden kaum zu reparieren.

Ein Mythos der Kollektivierung besteht in dem Glauben, dass größere Einheiten Rationalisierungsmöglichkeiten und Synergien wie im industriellen Bereich schaffen.

Aber ärztliche Tätigkeit ist keine Industrie. Das in der Industrie mit Rationalisierungen verfolgte Ziel, mit weniger Personal mehr zu leisten, wünscht sich kein Patient. Er möchte einen Arzt, der sich Zeit nimmt. Synergien gibt es nur dort, wo große Geräte oder Gebäude für den Praxisbetrieb nötig sind, die für einen Einzelnen zu teuer sind, z.B. in der Radiologie oder Labormedizin.

Für alles andere ist eine kleine, effektive und überschaubare Praxis mit Ärzten, die unabhängig von staatlichen Stellen und von Investoren sind, die beste Organisationsform.

Dass dieses Modell jetzt auf dem Altar der modernen Gesundheitspolitik geopfert wird – und zwar nicht in erster Linie von den gefürchteten „Neoliberalen“, sondern vor allem von denen, die sich für sozial halten, ist ein gewaltiger Fehler. Wir sollten ihn schleunigst korrigieren.

DR. MATTHIAS SOYKA ist Orthopäde und Buchautor.
Aktuell im Buchhandel: „Dein Rückenretter bist du selbst“, Ellert&Richter / Hamburg
www.dr-soyka.de
Youtube Kanal „Hilfe zur Selbsthilfe“

In dieser Rubrik drucken wir abwechselnd Texte von Dr. Matthias Soyka, Dr. Bernd Hontschik und Dr. Christine Löber.

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