12/2024 12/2024

Dänemark hat es vorgemacht?

Kolumne

von Dr. Bernd Hontschik
Chirurg in Frankfurt/Main

Eine unter Gesundheitsökonomen verbreitete Unsitte ist es, sich in Europa, manchmal auch in den USA, umzuschauen, und sich dies und das aus den dortigen Gesamtkonzepten herauszupicken, aber nur das, was in den eigenen Kram passt. Alles andere wird ignoriert.

Zum Beispiel wird das Patientenverhalten in Deutschland mit bis zu achtzehn Arztbesuchen im Jahr scharf kritisiert, wo man doch in den Niederlanden nur sechs Mal und in Schweden sogar nur zwei bis drei Mal im Jahr zu Arztkontakten kommt. In den Niederlanden bekommt man seine Krankschreibung aber im Sozialzentrum, auch ein Wiederholungsrezept erhält man ohne weiteren Arztkontakt. Und in Schweden kommt man erst nach einer telefonischen Beratung oder einer Untersuchung durch qualifizierte Pflegekräfte zu einem direkten Arztkontakt.

So kommen die unterschiedlichen, nichtssagenden Zahlen zustande. Man muss halt genau hinschauen, wenn man Zahlen verstehen und vergleichen will.

Zurzeit ist Dänemark groß in Mode gekommen. „Dänemark baut die Krankenhäuser der Zukunft“, "Dänemark macht Krankenhausreform vor“, „Hospitalrevolution in großem Stil“, „Dänemark, das Vorbild“, so kann man es überall lesen. Was ist da los im Staate Dänemark?

Wer in Dänemark mit Wohnsitz gemeldet ist, ist automatisch in der nationalen Krankenversicherung versichert. Diese Krankenversicherung ist, so wie das gesamte dänische Gesundheitswesen, komplett steuerfinanziert. Dies gilt nicht nur für die Versorgung von Kranken, sondern auch für alle Pflegebedürftigen.

Trotz dieser völlig anderen Voraussetzungen ist Dänemark ein willkommenes Vorbild für Gesundheitsökonomen, die Hand an das deutsche Krankenhauswesen legen wollen. Dänemark hat mit 6,5 Milliarden Euro ein komplett neues Krankenhaussystem aus dem Boden gestampft. Die Hälfte der dänischen Krankenhäuser wurde geschlossen, und nach einer enormen Zentralisierung wird es ab 2025 nur noch 16 Superkrankenhäuser geben, sechs davon als Neubauten, weitere zehn durch maximale Modernisierungen vorhandener Hospitäler.

Einen nationalen Krankenhausplan mit festgelegten Zuständigkeiten, eine umfassende elektronische Patientenakte für alle Versicherten und einen transparenten Datenaustausch mit allen Sektoren, von Arztpraxen über Krankenwagen bis zur Intensivstation, kann das Land vorweisen.

Was so attraktiv und nachahmenswert aussieht, hat bei näherer Betrachtung aber erhebliche Schattenseiten. Nachdem die Baukosten explodiert waren, haben die regionalen Krankenhausträger zu Kündigungen gegriffen, um ihre Sparziele zu erreichen.

Verbunden mit einer sogleich massiv kritisierten Einführung von Fallpauschalen ist es zu einer Kündigungswelle im Pflegebereich gekommen. Wegen der dadurch verschärften Arbeitsbedingungen kam es zu Streiks der Pflegekräfte und zu einer regelrechten Berufsflucht.

Das Credo der Reform hieß ja eigentlich Qualität statt Nähe. Wegen Personalmangel aber mussten werdende Mütter an weit entfernte Häuser abgewiesen werden, es kam zu unnötigen Operationen, sogar Amputationen, und es kam zu Verweigerung von erforderlichen Eingriffen, weil sie dem Krankenhaus zu teuer waren. Außerhalb der Ballungsräume sind Fahrtstrecken von mehr als dreißig Kilometer zur nächstgelegenen Klinik inzwischen zu einem großen Problem für Schwerkranke geworden.

Die elektronischen Patientenakten weisen erhebliche Lücken auf, weil die Vergütung für deren Befüllung nicht ausreicht. Zu den größten Problemen des dänischen Gesundheitssystems gehören auch die langen Wartelisten: Die Wartezeit für Behandlungen stieg von dreißig auf durchschnittlich 45 Tage. Das alles wird in Dänemark heftig diskutiert. Es wird über die Wiedereinführung von Nahkrankenhäusern nachgedacht. Die Fallpauschalen sollen wieder abgeschafft werden. Die Verbesserung der IT-Infrastruktur, der Telematik und der Praxisverwaltungssysteme ist in Arbeit. Eine Notlösung für die Wartezeiten wurde eingeführt: Wenn die Wartezeit länger als einen Monat beträgt, können Patienten sich auf Staatskosten in einer privaten Klinik oder im Ausland behandeln lassen.

An den explodierten Gestehungskosten der Krankenhausbauten lässt sich nachträglich nichts ändern, aber man hat die Probleme erkannt und man wird eine Lösung finden.
Eines steht aber fest: Zum Kopieren, zum Nachmachen oder zum Rosinenpicken eignet sich ein so völlig anderes System eines so viel kleineren Landes absolut nicht. Oder übernehmen wir auch das staatlich finanzierte einheitliche Krankenversicherungssystem gleich mit?

DR. MED. BERND HONTSCHIK ist Chirurg und Buchautor.
Zuerst abgedruckt in der Frankfurter Rundschau – Nachdruck mit freundlicher Genehmigung des Autors
Aktuell im Buchhandel: „Heile und herrsche. Eine gesundheitspolitische Tragödie“, Westend-Verlag
E-Mail: chirurg@hontschik.de
https://chirurg.hontschik.de/

In dieser Rubrik drucken wir abwechselnd Texte von Dr. Bernd Hontschik, Dr. Christine Löber und Dr. Matthias Soyka.

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