Symposium: Psyche und Soma bei Post-Covid
Forum
Bericht über das Symposium der DGPM zum Thema „Psyche & Soma bei Post-COVID. Neue Herausforderungen für die Psychosomatik“
Für viele ist die Corona-Pandemie längst Vergangenheit. Masken, Hygieneregeln, täglich neue Fallzahlen – all das scheint lange her.
Für Post-COVID-Patient:innen ist die Pandemie hingegen noch lange nicht vergessen. Denn diese Menschen haben auch drei Monate nach einer Sars-CoV-2-Infektion mit den Folgen zu kämpfen und sind durch chronische Erschöpfung und andere Symptome stark beeinträchtigt. Schätzungsweise 6 bis 13 Prozent der Bevölkerung sind davon betroffen (1).
Wie kann man ihnen am besten helfen? Diese Frage stand im Mittelpunkt eines Symposiums, das der Landesverband Hamburg/Schleswig-Holstein der Deutschen Gesellschaft für Psychosomatische Medizin und Ärztliche Psychotherapie (DGPM) e.V. am 9. September 2023 in Hamburg veranstaltet hat.
In seiner Begrüßung ging Prof. Dr. Hans Ulrich Schmidt, Vorsitzender dieses DGPM-Landesverbands und Ärztlicher Leiter des Ambulanzzentrums Psychosomatische Medizin am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE), kurz darauf ein, wie erbittert darüber diskutiert werde, ob Post-COVID ein psychisches oder somatisches Problem sei. Er wünsche sich deshalb von der Veranstaltung „etwas mehr Ganzheitlichkeit“.
Im Folgenden haben wir einige Aussagen aus den vier Vorträgen und der Podiumsdiskussion für Sie zusammengefasst.
Post-COVID ähnelt ME /CFS
Im ersten Vortrag erklärte Prof. Dr. Carmen Scheibenbogen, Direktorin des Instituts für Medizinische Immunologie an der Charité in Berlin und Mitbegründerin des Post-COVID-Netzwerks der Charité, dass es viele Überschneidungen zwischen dem Post-COVID-Syndrom und der neuroimmunologischen Erkrankung ME / CFS (Myalgische Enzephalomyelitis / Chronisches Fatigue-Syndrom) gibt.
Zu den wichtigsten Leitsymptomen beider Erkrankungen zählten anhaltende schwere Erschöpfung (Fatigue) und eine ausgeprägte Belastungsintoleranz (Post-Exertional Malaise, kurz PEM). Sowohl Post-COVID als auch ME / CFS seien „klinisch sehr komplexe Krankheitsbilder“ mit einem hohen Risiko der Chronifizierung.
Laut Scheibenbogen ist eine interdisziplinäre symptomorientierte Behandlung unverzichtbar. Besonders wichtig sei hier das „Pacing“ – eine Krankheitsmanagement-Strategie – und psychologische Unterstützung. Zudem gäbe es verschiedene medikamentöse Off-Label-Therapien.
Die Evidenz sei allerdings noch gering. Sie forderte deshalb umfassende Studien und die Erarbeitung allgemeiner Richtlinien und begrüßte es, dass das BMG unter anderem interdisziplinäre Versorgungszentren plane.
Impfschutz bleibt wichtig
Im Anschluss begann Prof. Dr. Julian Schulze zur Wiesch seinen Vortrag mit der Frage: Ist die Pandemie vorüber? Schulze zur Wiesch ist Leitender Oberarzt der Infektiologie am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) und hob hervor, dass SARS-CoV-2 kein harmloses respiratorisches Virus sei.
Zwar habe die WHO im Mai 2023 den Gesundheitsnotstand aufgehoben, aus der Pandemie sei eine Endemie geworden und die meisten Menschen seien mittlerweile vor einer schweren Infektion oder Reinfektion geschützt. Aber: „Für einige Patienten ist das Virus immer noch sehr riskant“, so Prof. Dr. Schulze zur Wiesch. Da Post-COVID bei geimpften Patient:innen seltener auftrete, betonte der Infektiologe, wie wichtig es für diese Personen sei, den Impfschutz im Herbst wieder aufzufrischen. Auch eine frühzeitige antivirale Therapie senke das Risiko für Post-COVID.
Komplex-Rehas können helfen
Im dritten Vortrag verdeutlichte Dr. Melanie Hümmelgen, Kardiologin und Ärztliche Direktorin der Mühlenbergklinik in Malente, dass Post-COVID eine Multisystem-Erkrankung ist, die oft mit Mikro-Infarkten in den Kapillaren einhergeht. Vor allem Menschen zwischen 30 und 60 Jahren seien betroffen. Deshalb sei Post-COVID ein wichtiges Thema für die Rentenversicherung – und damit auch für Reha-Kliniken.
Für Post-COVID-Patienten und -Patientinnen müsse es multidisziplinäre Komplex-Reha-Angebote geben. Dr. Hümmelgen erzählte, wie interdisziplinär in der Reha-Klinik in Malente gearbeitet werde: „Alle Patienten werden von allen gesehen“ – schließlich könne man Menschen und ihre Beschwerden nicht einzelnen Fachrichtungen zuordnen. Diese Art der Reha führe zu einer hohen Zufriedenheit.
Soma und Psyche gehören zusammen
Im vierten und letzten Vortrag des Symposiums ging Prof. Dr. Bernd Löwe auf ein weit verbreitetes Missverständnis in Bezug auf die Psychosomatik ein. Löwe ist Direktor der Klinik und Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie am UKE in Hamburg.
Oft werde der Begriff ‚psychosomatisch‘ gleichgesetzt mit ‚psychogen‘, also ‚eingebildet‘. Dieses „völlig falsche Grundverständnis der Psychosomatik“ führe dazu, dass einige Post-COVID-Patienten teilweise erbittert darum kämpfen, dass ihre Krankheit als somatische Krankheit ernstgenommen wird.
Aber: „Somatisch und psychosomatisch ist doch kein Gegensatz“, so Prof. Dr. Löwe. Die Trennung ‚Soma versus Psyche‘ beruhe auf einem „zutiefst veralteten dichotomen Körperverständnis“. Moderne Medizin müsse hingegen immer die Wechselwirkungen von Körper und Seele im Blick behalten.
Löwe verwies auf verschiedene Studien, die belegen, dass bei Post-COVID sowohl biologische als auch psychologische und soziale Faktoren eine Rolle spielen. Sein Fazit: „Es lohnt sich, Post-COVID psychosomatisch zu behandeln!“
Interdisziplinär ist unumgänglich
In der Podiusmsdiskussion, die der Medizinjournalist Dr. Werner Bartens moderierte, wurde erneut darüber gesprochen, dass immer noch viele Ärzt:innen und Patient:innen Körper und Psyche als Gegensätze betrachten und "psychosomatisch" oft als "eingebildet" missverstanden werde.
Nochmals wurde betont, wie sehr Post-COVID-Patientinnen und -Patienten darum kämpfen, dass ihre Krankheit als ‚echte‘ Krankheit betrachtet werde. Auch deshalb sei Prof. Dr. Scheibenbogen mit ihren immunologischen Erklärungen wohl für einige zur Gallionsfigur geworden.
Letztlich waren sich alle Redner und Rednerinnen einig, dass eine differenzierte interdisziplinäre Diagnostik und Behandlung für das komplexe Krankheitsbild unumgänglich sei – und dass es noch viel Forschung brauche, um die Rolle von Psyche und Soma bei Post-COVID besser zu verstehen. Und so schien es am Ende dann doch so, als habe die Veranstaltung zu „etwas mehr Ganzheitlichkeit“ geführt.
CLAUDIA MINNER
ist freie Journalistin. Sie schreibt zu psychologischen und gesundheitlichen Themen, unter anderem für Stern und stern.de.
Referenzen
1) Hinweise zur Häufigkeit von Long- und Post-Covid:
https://www.rki.de/SharedDocs/FAQ/NCOV2019/FAQ_ListeGesundheitliche_Langzeitfolgen.html
2) Ausführliche Infos zu Fatigue und ME / CFS:
https://cfc.charite.de/
https://www.mecfs.de/
3) Infos zu Post-Covid:
https://www.bmg-longcovid.de/
https://www.longcovid-info.de/
https://pcn.charite.de/