Zink bei Erkältungen
Aus dem Netzwerk Evidenzbasierte Medizin
Ein Blick auf die Cochrane-Evidenz
Von Dr. med. Alexander Benkendorff, Prof. Dr. med. Jörg Meerpohl und Dr. rer. nat. Birgit Schindler im Auftrag des Netzwerks Evidenzbasierte Medizin e. V. (www.ebm-netzwerk.de)
Husten, Schnupfen, Heiserkeit – die Erkältung, eine milde, meist virale Infektion der oberen Atemwege, ist eine der häufigsten Atemweginfektionen. Kinder im Vorschulalter machen durchschnittlich fünf bis sieben Erkältungen pro Jahr durch, Erwachsene zwei bis drei [1]. In Zeiten mit hoher Inzidenz erkranken in Deutschland mehrere Millionen Menschen pro Woche [2]. Zur Behandlung dieser selbstlimitierenden Erkrankung greifen viele Menschen zu altbewährten Hausmitteln, rezeptfreien Medikamenten oder Nahrungsergänzungsmitteln, in der Hoffnung, die Symptome zu lindern oder die Krankheitsdauer zu verkürzen [3]. Häufig kommen dabei Zinkpräparate zum Einsatz [4, 5].
Zur möglichen Wirksamkeit von Zink zur Vorbeugung oder Behandlung von Erkältungskrankheiten werden zwei unterschiedliche potenzielle Wirkmechanismen diskutiert: Zum einen könnte Zink systemisch wirken, indem es das Immunsystem unterstützt [6, 7]. Zum anderen gibt es Hinweise auf eine lokale Wirkung: Zink könnte die Anhaftung und Vermehrung von Erkältungsviren im Nasen- oder Mund-Rachenraum hemmen [8]. Letzteres würde jedoch spezielle Darreichungsformen erfordern – etwa Lutschtabletten oder nasale Anwendungsformen wie Sprays oder Nasengele [9].
Kann Zink also wirklich helfen, eine Erkältung schneller zu überwinden oder einer Erkältung vorzubeugen? Mit diesen Fragen beschäftigte sich ein im Jahr 2024 veröffentlichter Cochrane-Review [10]. Die Ergebnisse und deren Interpretation werden jedoch in der breiten Öffentlichkeit und in der Wissenschaft kontrovers diskutiert [11, 12].
Im wissenschaftlichen Diskurs bezieht sich die Kritik verschiedener Kommentatoren an der Ergebnisdarstellung und -interpretation hauptsächlich darauf, ob die Studien ausreichend ähnlich sind, um eine Metaanalyse zu rechtfertigen [12]. Kritik an Analysemethoden hatte bereits bei einem 2011 veröffentlichten Cochrane-Review zu diesem Thema [13] eine Überarbeitung notwendig gemacht [14] und schließlich (zusammen mit Plagiatsvorwürfen) sogar dazu geführt, dass dieser 2015 zurückgezogen wurde [15]. Auch der aktuelle Review wird jetzt wegen hoher Heterogenität in Metaanalysen wieder kritisch kommentiert [16].
Auch außerhalb der Wissenschaft stößt die Frage ‚Hilft Zink bei Erkältung?‘ auf großes Interesse. Zinkpräparate werden zur Therapie und Vorbeugung von Erkältungskrankheiten beworben [5, 17]. Dabei wird auch der aktuelle Cochrane-Review als Beleg für die Wirksamkeit bei Erkältungen angeführt [17] (ebenfalls aufgriffen vom arznei-telegramm [11]).
WAS WIRD DISKUTIERT?
Die wissenschaftliche Kritik am Cochrane-Review bezieht sich hauptsächlich auf Aspekte, die für Heterogenität zwischen den Studienergebnissen verantwortlich sein können [12]. In den durchgeführten Metaanalysen wurden unterschiedliche Präparate mit unterschiedlichen Dosierungen und Anwendungsformen sowie unterschiedliche Patientenkollektive zusammengefasst. Dies führte zum Teil zu sehr großer (statistischer) Heterogenität sowie zu größerer Ungenauigkeit und vermindert so das Vertrauen in die Ergebnisse. Bei so großen Unterschieden in der Studiendurchführung und in den Ergebnissen fällt es schwerer, das gepoolte Ergebnis für die Praxis und den Einzelfall zu interpretieren.
Geplante Subgruppenanalysen
Die Autor:innen des aktuellen Cochrane-Reviews geben im Methodenteil an, dass sie die folgenden Ursachen für Heterogenität im Blick hatten und entsprechende Subgruppenanalysen durchführen wollten, wenn ausreichend Daten vorgelegen hätten:
Verschiedene Applikationsformen (Tabletten, Kapseln, Pulver zum Auflösen, Sirup, Lutschtabletten, intranasale Applikationsformen),
Unterschiedliche Zink-Salze (Zinkgluconat, Zinksulfat, Zinkacetat, Zinkorotat u.a.) oder weiterer Faktoren, die die Bioverfügbarkeit beeinflussen können
Unterschiedliche Dosis (Zink-Dosierungen von < 75 mg/Tag versus 75 mg/Tag oder höher)
Verschiedene Patientenkollektive: Kinder, Erwachsene, Ältere, Menschen mit Zinkmangel
Nicht alle der geplanten Subgruppenanalysen konnten allerdings durchgeführt werden:
Für die Prävention (primärer Endpunkt: “Entwicklung einer Erkältung”) konnten wegen unzureichender Daten gar keine Subgruppenanalysen durchgeführt werden. Für die Behandlung (primärer Endpunkt: „mittlere Dauer der Erkältungssymptome“) wurden zwar Lutschtabletten versus intranasal angewendete Zinkpräparate untersucht. Für den primären Endpunkt gab es jedoch keine Studie, die systemisch wirksame Zinkpräparate (z.B. Tabletten) untersuchte. Auch eine Analyse getrennt nach Studien mit Kindern versus Studien mit Erwachsenen war für den primären Endpunkt nicht durchführbar. Die Subgruppen nach Dosis wurden etwas anders eingeteilt als geplant: hohe (≥ 85 mg/Tag) versus niedrige Zinkdosierung (geplant war < 75 mg versus 75 mg oder höher). Hier fällt zudem auf, dass bei der Subgruppe mit < 85 mg die Studie von Hirt et al. 2000 das Ergebnis stark zugunsten von Zink beeinflusst. Diese Studie hat ein hohes Risiko für Reporting-Bias und in fünf anderen Domänen ein unklares Biasrisiko und ist hinsichtlich eines möglichen Nutzens von Zink ein deutlicher Ausreißer. Ohne die Studie von Hirt et al. hätte diese Subgruppenanalyse möglicherweise auf eine bessere Wirksamkeit von höheren Zinkdosierungen hingewiesen.
Definition von „Erkältung“ ebenfalls heterogen
Zwischen den Studien variierte zudem die Definition von „Erkältung“ (in einigen Studien auch „Infektion der oberen Atemwege“ statt „Erkältung“ benannt). Während einige Studien über ein festgelegtes Zeitfenster die Teilnehmenden befragten, ob sie am Ende noch eine Erkältung hatten, maßen andere die Zeit zwischen dem Beginn der Symptome und deren (vollständigem) Verschwinden (wobei „Verschwinden“ ebenfalls uneinheitlich definiert war).
WELCHE GRÜNDE GIBT ES FÜR DIE SCHIEFLAGE IN DER INTERPRETATION DES REVIEWS FÜR DIE PRAXIS?
Cochrane-Reviews geben neben der Stärke des Effektes einer Intervention auch die Vertrauenswürdigkeit der Ergebnisse nach dem vierstufigen GRADE-Bewertungssystem an. Im vorliegenden Fall wird die Vertrauenswürdigkeit in das Ergebnis, dass Zink die Dauer der Erkältung verkürzt, als niedrig eingestuft. Insgesamt ist die Beweislage für Zink bei einer ausgebrochenen Erkältung also alles andere als eindeutig. In Industrie-finanzierten Artikeln wird die niedrige Ergebnissicherheit hingegen teils nicht erwähnt [17]. Auch andere Ergebnisse des Cochrane-Reviews - zu unerwünschten Wirkungen oder zu fehlender präventiver Wirkung - finden keine Berücksichtigung [17].
In der Zusammenfassung in einfacher Sprache und im Abstract des Cochrane-Reviews wird nicht explizit auf die Auswirkungen unterschiedlicher Applikationsformen oder Dosierungen eingegangen. Erst durch einen genaueren Blick auf die Studien, welche den zahlreichen Analysen zugrunde liegen, und die Subgruppenanalysen werden mögliche Heterogenitätsfaktoren deutlich. Die Variabilität der Interventionen war hoch, so dass die beste Applikationsform und Dosierung unklar bleiben. Einige dieser Unklarheiten können auch im Volltext des Cochrane-Reviews nicht vollständig ausgeräumt werden.
Zur Schieflage in der öffentlichen Wahrnehmung könnte auch beigetragen haben, dass die Diskussion der Cochrane-Autor:innen sich sehr stark auf die Beschreibung formaler Kriterien fokussiert. Die Auswirkung der Heterogenitätsaspekte auf Fragen, die sich in der Praxis stellen, werden hingegen nicht ausreichend adressiert.
FAZIT
Die Ergebnisse eines Cochrane-Reviews zu einer möglichen Verkürzung der Erkältungsdauer durch Zinkpräparate sorgen für viel Diskussionsstoff in der Wissenschaft und Öffentlichkeit. Die Ergebnisse beruhen auf einer Metaanalyse aus Studien mit unterschiedlichen Darreichungsformen, Alterskollektiven und Dosierungen. Für größere Klarheit wäre eine differenziertere Betrachtung mit weitergehenden Subgruppenanalysen wichtig; dies ist aufgrund der aktuellen Studienlage aber nur bedingt möglich. Wünschenswert wäre auch eine dezidiertere Diskussion der Auswirkungen möglicher Heterogenitätsfaktoren auf das Ergebnis oder möglicherweise der Verzicht auf das Berichten eines gepoolten Effektschätzers.
Beim Lesen und Referenzieren von Cochrane-Reviews sollte neben der Effektstärke auch immer die Vertrauenswürdigkeit der Evidenz mitbetrachtet und mit angegeben werden. Mögliche positive Effekte sollten vor einer Therapieentscheidung stets im Verhältnis zu potenziellen unerwünschten Wirkungen sowie dem damit verbundenen Aufwand und den Kosten betrachtet und abgewogen werden. Eine entsprechende Einordnung der Relevanz der Ergebnisse für die Praxis sollte im Kontext von entsprechenden Leitlinienempfehlungen erfolgen.
DR. MED. ALEXANDER BENKENDORFF
wissenschaftlicher Mitarbeiter des Instituts für Evidenz in der Medizin des Universitätsklinikums Freiburg
PROF. DR. MED. JÖRG MEERPOHL
Direktor Cochrane Deutschland und Direktor des Instituts für Evidenz in der Medizin des Universitätsklinikums Freiburg
DR. RER. NAT. BIRGIT SCHINDLER
wissenschaftliche Mitarbeiterin der Cochrane Deutschland Stiftung
Referenzen:
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2. Robert Koch Institut. Surveillance akuter Atemwegserkrankungen [online]. 2025 [Zugriff: 13.05.2025]. URL: https://www.rki.de/SharedDocs/FAQs/DE/ARE-Surveillance/ARE_gesamt.html#entry_16869644
3. Frank D, Mühlbauer R. Erkältung: Was hilft am besten? Apotheken Umschau 2024.
4. Aerni S. Nahrungsergänzungsmittel: Hilft Zink wirklich gegen Erkältungen? Süddeutsche Zeitung 2023.
5. Niedersächsisches Landesamt für Verbraucherschutz und Lebensmittelsicherheit. Nahrungsergänzungsmittel mit Vitamin C und Zink – was können sie wirklich? [online]. [Zugriff: 13.05.2025]. URL: https://www.laves.niedersachsen.de/startseite/lebensmittel/lebensmittelgruppen/nahrungserganzungsmittel/nahrungserganzungsmittel-mit-vitamin-c-und-zink-was-konnen-sie-wirklich-73925.html
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